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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

zum Bewußtsein, daß er doch nicht wohl von seiner Absicht, mit Leni Eibenheim entschieden zu brechen und sich aus ihrem Kreise zu befreien, reden könne, ohne Marie auch zu gestehen, was ihn denn dazu dränge, weshalb er solchen inneren Druck empfinde, bis ein Verhältniß gelöst sei, das sich ja auch ganz glimpflich und allmählich im Lauf der Zeit lösen lasse - ohne ausgesprochene „Zerschneidung des Tischtuchs“. Und würde er, wenn er Marie allein sprach, über seine Herzensempfindungen mit ihr sprach, dem Drange und Sturm seines Innern widerstehen können? Und war es nicht zu früh, Alles ihr zu sagen – mußte er nicht fürchten, die sinnige Seelenstille in ihr, aus deren Grunde er die knospende weiße Seerose einer ihn beglückenden Neigung emporwachsen sah, zu stören und sich das, was ihn beglückte, selbst zu verderben?

Aber auf der andern Seite – konnte Offenheit und Wahrheit, wenn er sie mit jener scheuen Ehrfurcht vor Mariens Wesen, die ihn ja erfüllte, aussprach und dann wie in Demutl von ihr die Entscheidung über sein Leben und sein ganzes Schicksal erflehte, sie erschrecken oder irgend etwas verderben? Und war es nicht am besten, ihr Klarheit über sein Gefühl für sie und über seine Absichten zu geben, um so auch sie innerlich zu befreien, um sie loszulösen aus dem Verhältnisse zu ihrem Vetter, das, es mochte nun sein wie es wollte, doch für Raban den Charakter einer Mariens unwürdigen Lage, einer verhängnißvollen und drückenden Gebundenheit hatte?

Ermuthigt und entschlossen in diesem Gedanken betrat am andern Morgen Raban vor der bestimmten Stunde den Stadtpark, der jetzt im schönsten Grün des völlig erblühten Frühlings prangte und von einem Sonnenlicht überfluthet war, das schon etwas von der kommenden Sommerwärme ausgoß.

„An einem solchen Tage, der in der Menschenseele nur ein süßes Echo des Lerchengeschmetters und aller Lenzlieder der Natur wachrufen zu können scheint, wandert sie zu düstern Stätten, in Schatten und Dunkel, wohin Bettler und Kranke sie rufen!“ sagte sich Raban. „Wunderbares Wesen, bist du von Gottes Hand aus demselben Stoff geformt wie alle diese Menschen, die hier, erfüllt von ihren egoistischen Verlangen, Betrieben und Geschäften vorüberströmen, die nur ihr Ich empfinden, ihr Ich denken, ihr Ich auf der Welt sehen? Und die für dies ihr Ich durch Noth, Gefahr und Schweiß, durch rücksichtsloses Niedertreten Anderer so oft nur das Werthloseste, Nichtigste, das Kindische erjagen wollen? Ein Wesen wie Marie kann nicht von demselben Stoffe sein. In der Menschenhülle bergen sich Wesen der verschiedensten Gattung und Art. Den Tiger verräth das Fell, und immer ist Tiger Tiger, Taube ist Taube; aber Mensch ist nicht immer Mensch, er ist Tiger oft und oft Taube! – Aber da kommt sie, die Taube!“

Marie Tholenstein kam elastischen Schrittes dahergegangen, in ihrer einfachsten Tracht, ein Fichu leicht um die Schultern geschlungen, mit einem Sonnenschirm von brauner Seide sich gegen das Licht schützend.

„Der verhängnißvolle von damals,“ sagte Raban nach dem Schirm blickend, während er Marie begrüßte, „der verhängnißvolle war heller, denk’ ich.“

„Er war blau,“ entgegnete sie lächelnd.

„Sie wissen es noch?“

„Wie sollt’ ich nicht? Er hat noch sehr lange in der Ecke in meinem Zimmer auf Arholt gestanden – als ein Andenken!“ fügte sie scherzend hinzu.

Der Gedanke, daß dem nutzloser Ding als einem Andenken da eine Stelle vergönnt worden, machte Raban glücklich. Marie hatte sich unterdeß auf die nächste Bank gesetzt.

„Warten wir hier einen Augenblick auf Anna,“ sagte sie dabei, „sie hatte noch einen Gang für mich zu besorgen und kommt zu uns, hierher.“

„Hoffentlich nicht zu bald,“ versetzte Raban, „sodaß mir die Gelegenheit wird, ganz ungestört Ihnen zu sagen, was es mich drängt, Ihnen anzuvertrauen, Fräulein Marie; womit eine innere Nothwendigkeit, ein Zwang des Herzens mich zu Ihnen flüchten läßt; wie ich mit Allem, was je Schweres auf mich kommen könnte, mich zu Ihnen flüchten möchte, nur zu Ihnen. Ich möchte Ihnen sagen, zu welchem Zwecke ich eigentlich anfangs nach Wien gekommen . . .“

Marie Tholenstein hatte bei seinen ersten Worten ihn groß angesehen, dann war sie leicht erblaßt, und jetzt unterbrach sie ihn, indem sie sagte:

„Das weiß ich ja – Sie kamen, um sich mit Leni Eibenheim zu verloben.“

„Das wissen Sie?“

„Gewiß weiß ich es. Ich hörte im Kreise meiner Verwandten, daß Sie mit Leni Eibenheim verlobt seien. Da Sie weder der Tante noch mir etwas darüber sagten, habe ich es auch nicht berühren wollen, bis Sie selbst es uns mittheilten.“

„Ah, das überrascht mich. Und ich sei verlobt, hat man Ihnen gesagt?“

„Gewiß.“

„Aber ich bin es ja nicht – dem Himmel sei Dank, daß ich es nicht bin!“

„Sie sind es nicht? Aber man hat es mir doch mit einer solchen Bestimmtheit versichert . . .“

„Und doch – ich versichere Sie ebenso bestimmt, bin ich es nicht!“

Marie Tholenstein sah wieder mit denselben großen Augen zu ihm auf – aber offenbar erschrocken, bleicher als sie eben gewesen.

„O,“ sagte sie halblaut, wie unwillkürlich in ihrem Erschrecken, „das thut mir leid!“

„Leid? Ihnen thut es leid? Ihnen leid, Fräulein Marie?“ rief nun Raban tief betroffen aus.

Sie schwieg zu Boden blickend.

„Ich bitte Sie, weshalb leid?“

Sie schüttelte nur leise den Kopf, ohne zu antworten; er ließ sich neben sie auf die Bank nieder, auf welche sie sich gesetzt hatte, schwieg eine Weile und sagte dann mit unterdrückter Heftigkeit:

„Also es thut Ihnen leid, daß ich nicht gefesselt bin, daß ich nicht einer Andern gehöre, leid, daß nicht ein Drittes trennend zwischen uns steht – wie mir das durch die Seele schneidet, können Sie gar nicht ermessen, Marie . . .“

„Mein Gott, begreifen Sie denn nicht, daß es für uns, unsern Verkehr . . .“ fiel sie ein und schwieg dann wieder, ohne eine Silbe zur Erklärung hinzuzufügen, was er begreifen solle!

Es war zum Verzweifeln! Raban fühlte sich ganz hülflos diesem grausamen Wort gegenüber. Schweigend, ruhig auf eine Erklärung warten, war ihm unmöglich. Leidenschaftlich fuhr er fort:

„Ich begreife Sie in der That nicht, Fräulein Marie. Ich war gekommen, Sie um die Aeußerung einer Ansicht, die Ertheilung eines Raths zu bitten, was ich zu thun habe, um ein Verhältniß zu lösen, in das ich unüberlegt gerathen bin, das freilich schon kein Verhältniß mehr ist, vielleicht gar einer Lösung nicht mehr bedarf. Sie sollten mir es sagen und dann, wann ich innerlich von einem bedrückenden Gedanken frei geworden, dann wollte ich Ihnen - was soll ich es nicht gestehen - Alles das ausdrücken, was mir das Herz übervoll macht, was der Inhalt meines ganzen Lebens und Seins geworden – die ganze Fülle der Leidenschaft, die – doch was rede ich, wer nahte sich Ihnen mit glühender Leidenschaft, wer . . .“

„Um Gotteswillen, hören Sie auf, hören Sie auf mit dieser Sprache,“ unterbrach ihn Marie Tholenstein mit zitternden Lippen, „mit dieser grenzenlos thörichten Sprache, die ich von Ihnen so gar nicht, so niemals erwartet habe, die ich nicht anhören kann, nicht darf . . .“

„Nicht dürfen – weshalb nicht dürfen, Marie? Was in aller Welt kann Ihnen verwehren, mich anzuhören, wenn ich mit dem tiefsten und innigsten Gefühl, mit der Ueberzeugung, daß von Ihnen allein mein ganzes Erdenglück abhängt, um Ihre Hand werben will?“

„Sie machen mich grenzenlos unglücklich,“ sagte sie, wie nun sich auch ganz hülflos fühlend, „o hören Sie auf, so zu reden. Ich habe in Ihnen so den ruhigsten zuverlässigsten Freund gesehen – und nun – o wir hätten uns nie kennen lernen sollen – nie, nie – es ist ja ganz unmöglich, daß . . .“

„Was ist unmöglich? Daß Sie die Meine werden . . . unmöglich? – Doch, ich verstehe Sie. Ich verstehe, was Sie sagen wollen, und was Sie glauben, mir nicht sagen zu dürfen.

Sie dürfen mir Alles sagen. Denn sehen Sie, Marie, ich bin in Alles eingeweiht. Ich kenne das ganze Geheimniß, das um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_538.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2022)