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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Raban’s Sorge um sie war nun auf’s Drückendste vermehrt durch den Gedanken, daß sie viel zu rasch und unbedacht Wolfgang Melber in’s Spiel ziehen und diesem Rechte einräumen werde, welche ja noch immer zweifelhafter Natur waren. Konnte denn seines Vaters Voraussetzung nicht immer noch ungegründet sein – konnte Mariens Vater damals nicht, um sich zu rächen, um einen ewigen Grund der Beunruhigung in die Familie, die ihn mit seinen Ansprüchen zurückwies, zu schleudern, gesprochen haben? Hatte er denn bestimmte Erklärungen abgegeben? Nein, nur Andeutungen hatte er gemacht. Nichts als unbestimmte Andeutungen! Und wenn diese die Wahrheit enthielten, weshalb war von ihm nicht Wolfgang, der alsdann sein eigener Sohn war, eingeweiht? Weshalb hatte Wolfgang dann seine Rechte nicht schon geltend gemacht? Sein Vater – vorausgesetzt, der Schauspieler Melber wäre es gewesen – sein Vater war ja todt. Eine strafrechtliche Verfolgung wegen der Verwechselung der Kinder konnte ihn nlcht mehr treffen. Es war gar nicht denkbar, daß Wolfgang selber nicht längst mit der Geltendmachung seiner Geburtsrechte aufgetreten wäre, wenn er solche gehabt hätte!

Aber was konnte Raban thun, um sie jetzt aufzuhalten? Er hatte nicht das geringste Recht, sich einzumischen. Niemand auf Erden hatte es ihm gegeben. Sollte er den als Vater Wolfgang’s geltenden Graveur aufsuchen? Sollte er von diesem Manne die Wahrheit zu erkunden versuchen? Es war nicht die geringste Wahrscheinlichkeit da, daß dieser ihm, dem Wildfremden, die Wahrheit gestand!

Nur Eines konnte er thun – Wolfgang Melber in dessen Atelier sprechen. Vielleicht ergab sich im Laufe des Gesprächs mit diesem, wenn Raban es sondirend lenkte, etwas, wenn auch nur Geringes, was zur Aufklärung diente. Es war jedoch zu spät dazu für den Abend; Raban konnte erst am andern Vormittage den Künstler treffen.

(Fortsetzung folgt.)

Bilder von der Arlbergbahn.

(Mit Illustrationen von R. Püttner.)

Trisanna-Viaduct.

Die Jüngste der vielen kühnen Hochgebirgsbahnen, an denen die Habsburgische Monarchie so reich ist, und nächst der Gotthardbahn gewiß auch die interessanteste an verwegenen Kunstbauten – ist die im Herbste dieses Jahres nach gerade vierjähriger Bauzeit zu eröffnende Arlbergbahn. Das tirolische Innthal mit dem vorarlbergischen Illthale mittels eines mehr als zehn Kilometer langen Tunnels verbindend, bildet sie dadurch zugleich ein neues Band zwischen dem untern Donaugebiete, der Adria und dem Schwarzen Meere einerseits und dem obern Rheinthale und dem in commerzieller Beziehung so heiß umworbenen Bodenseebecken andererseits. So öffnet sie einen neuen internationalen Handelsweg zwischen Ost und West und kettet zugleich das kleine industriereiche Ländchen Vorarlberg, den letzten Rest der ehedem so ausgedehnten schwäbisch- österreichischen Vorlande – bisher von Tirol und den innerösterreichisch-bajuwarischen Provinzen durch die Querkette des Arlberges vollständig abgetrennt – mehr als je vordem an die Habsburgische Hausmacht.

Bis zur Regierung des unvergeßlichen Kaisers Joseph II. führte über den 1800 Meter hohen, im Winter und Frühling höchst lawinengefährlichen Arlbergpaß – denn einen eigentlichen Arlberg giebt es nicht, es wäre denn, man nennte den ganzen breiten von Süd nach Nord gestreckten Gebirgszug mit diesem Namen – nur ein schlechter Saumpfad; erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ der Kaiser eine Kunststraße bauen, die, mehr oder minder abgeändert, heute noch als eine der best erhaltenen Alpenstraßen besteht. Aber bis in die dreißiger Jahre lief auf dieser kaiserlichen Straße noch keine kaiserliche Post – an ihrer Stelle fuhr ein Bote in vier Tagen oder etwas länger von Bregenz nach Innsbruck. Erst in den vierziger Jahren, also vor etwas mehr als einem Menschenalter, wurden kaiserliche Eilwägen eingerichtet, die in dreißig Stunden obige Strecke zurücklegten, nur zu oft aber durch Lawinen und Schneefall auf dem Berge festgehalten wurden.

Aber auch in den späteren Jahrzehnten der Eisenbahnen und Dampfschiffe, während von allen Seiten die Schienen an den internationalen Bodensee drängten, dachte in Wien Niemand an dieses Westportal Oesterreichs, und die praktisch-rechnenden, aber bisher von Wien aus etwas stiefmütterllch angesehenen Vorarlberger meinen noch heute, die ganze Geschichte – Arlbergtunnel und Bodensee-Emporium – komme eigentlich um zehn bis fünfzehn Jahre zu spät und werde darum immer etliche Schwäche eines „Nachgebornen“ mit sich herumtragen.

Nun aber wollen wir eine wirthschaftlich-politische Erörterung der Arlbergbahn und was drum und dran hängt, fein säuberlich bei Seite liegen lassen; denn es ist Sommer, herrlicher Hochsommer, und darum eilen wir, der Sorge und der Qual des täglichen Lebens nicht gedenkend, in’s Hochgebirge, in das uns die neue Bahn fast ohne alle Vermittelung hineinführt, und aus ihren Krümmungen und Windungen wollen wir uns die herrlichsten, bis heute noch fast unbekannten Landschaftsbilder vor Augen zaubern lassen.

Von der Station Bludenz, die als eigentlicher Anfangspunkt der Arlbergbahn, inmitten eines wunderbaren Hochgebirgskranzes gelegen, im letzten Jahrzehnt ein Sammelpunkt der Touristenwelt geworden ist, sind wir durch das Thal der Alfenz, fast immer am Abhange der nördlichen Thalseite allmählich über die hinankriechende Poststraße aufsteigend, bis zur Station Dalaas gelangt, dem obersten Bilde unseres Zeichners. Bis dahin haben wir eine der schwierigsten Baustrecken zurückgelegt, denn hoch oben an steilen Wiesenhalden läuft die Bahn, der in den brüchigen Verwitterungsproducten der Werfner Schichten überall künstlicher Grund geschaffen werden mußte. Tief unten

an der schäumenden Alfenz liegt der Ort, fast senkrecht unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_542.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)