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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Antiquitätenhändler.
Originalzeichnung von Eduard Grützner.


entledigen will, in die Gossen und kümmert sich weiter nicht darum. Die Städte des Ostens haben wenigstens verwilderte Hunde und Aasgeier, welche das Straßenreinigungsgeschäft besorgen. In Toulon fehlen auch diese freiwilligen Abräumer und der unsagbarste Unrath kann ruhig so lange in den Gossen und auf dem Straßendamm gähren, bis es einem Platzregen gefällt, ihn wegzuspülen. Allerdings auch dann nicht weit, nur bis in den Hafen, der sich bald bis an den Rand mit Schlamm und Müll füllt, so daß man ihn in sehr kurzen Zeitabständen mit Baggerschiffen reinigen muß. Dabei entsteigen den aufgewühlten Kothmassen Gerüche, welche die Stadt zeitweilig nahezu unbewohnbar machen.

Ich will jedoch den Leser mit den göttlich unverschämten Lebensgewohnheiten der Südländer und insbesondere der Mittelmeervölker[1] nicht zu ausführlich vertraut machen. Es genügt nur zu sagen, daß nicht allein in Toulon, sondern selbst in Marseille, einer Großstadt mit 320,000 Einwohnern, einem Knotenpunkt des Weltverkehrs und dem Wohnort einer Bevölkerung, welche großen Luxus treibt und Millionäre in ihrer Mitte nach Hunderten zählt – der Anstandsort so gut wie unbekannt ist.

Solche Sitten und Gewohnheiten erklären es, daß die Cholera in Toulon und Marseille und überhaupt in allen Mittelmeerhäfen, wenn sie da einmal eingeschleppt ist, eine unvergleichliche Brutstätte findet. Wir wissen, dank den Untersuchungen Dr. Koch’s, welche Rolle die menschlichen Auswurfsstoffe in der Verbreitung der Cholera-Mikro-Organismen spielen. Mit diesen Stoffen ist aber Toulon buchstäblich bedeckt. Und noch andere Umstände treten hinzu, um die Epidemien da besonders fürchterlich zu machen.

Die französischen Mittelmeerhäfen beherbergen ein Proletariat, von dessen leiblichen und geistigen Zuständen man sich in der Ferne kaum einen Begriff macht. Der jetzt im Aussterben begriffene Lazzarone von Neapel, der Facchino von Genua stellen noch aristokratische Typen dar im Vergleiche mit dem Quaibummler oder Hafenarbeiter von Marseille oder Toulon. Dieses Proletariat bildet ein Völkergemisch, in welchem alle um das mittelländische Meeresbecken wohnenden Stämme ungefähr gleichmäßig vertreten sind. Der Provençale, der Spanier, der ligurische Italiener, der Grieche, der Malteser, der nordafrikanische Berber und Maure wimmeln da durch einander, selbst von einem geübten Auge kaum von einander unterscheidbar. Alle haben dieselben dunkeln Augen, aus denen uns Mißtrauen, List und Grausamkeit entgegenblitzen und in welchen man vergebens den still-freundlichen treuherzigen Blick des Nordländers suchen würde, alle zeigen dieselben scharf geschnittenen, ewig aufgeregten und leidenschaftlichen Gesichter, dieselben dichten wirren Bärte, dasselbe krause Haupthaar, und wenn die Lippen bald dünn, bald wulstig aufgeworfen, die Nasen bald jäh gebogen, bald geradlinig sind, so verwischt der gleichmäßig über sie gegossene bronzene Teint, das

  1. Vergl. die Schilderung von Marseille in meinem Buche „Vom Kreml zur Alhambra“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_545.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)