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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit.0 Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Weißgedeckte Tische standen im Fluge unter den Kastanien des Tiefurter Parkes und füllten sich, als der Erntezug zu Ende war, mit Tassen, Kuchenkörben und Kaffeekannen; die dörfliche Musik verstärkte sich zur herzoglichen Capelle, nahm in einem Seitengebüsch Aufstellung, und die Gäste begrüßten sich lachend und scherzend in zwanglosem Verkehr. Man fand Platz, wie man ging und stand, die bäuerlich gekleideten Damen schenkten selbst den Kaffee ein, und alle ließen sich’s wohl sein.

So scheinbar unwillkürlich und absichtslos sich die Gäste auch zusammen gefunden hatten, so waren sie doch sämmtlich Leute aus der großen Welt, verknüpft durch verstohlene Beziehungen unter einander, oder getrennt durch Antipathien, die größtentheils von andern geahnt und berücksichtigt wurden und so Jeden zu Jeder führten, wie der Zug des Herzens es forderte.

Hier saß der schöne Wedel, als stämmiger Jägersmann, neben Henriette von Wöllwarth, der er seit einiger Zeit huldigte, und die ihm heute in ihrem grünen Rock und ihrem knappen Mieder, mit dem klugen, frischen Gesicht unter der grünbebänderten Haube, besonders gut gefiel. Sie benahm sich auch nicht so kühl, wie er sie sonst gefunden hatte, und er begann, sich ihr gegenüber mit ernsthaften Plänen zu tragen.

Ein neues Brautpaar in seiner Nähe erhöhte seine Lust zu einem gleichen Vorgehen. Es war dies Karoline Ilten’s ältere Schwester mit ihrem Bräutigam, dem Lieutenant von Lichtenberg; dieser, sonst ein rauher Mann und ganz Husar, that heute als Schäfer recht zart und lieb mit seiner Schäferin.

Prinz Constantin war bei der Rollenvertheilung zur Führung der Schäferpaare bestimmt; da aber die Herzogin seine ernsthafte Neigung für Karoline nicht billigte, hatte sie ihm eine andere Dame gegeben und das betrübte Linchen als Fischerin mit Herrn von Seckendorf verbunden. Constantin ließ nun den Kopf hängen, gestattete seinen Augen einen Verkehr, der ihm persönlich abgeschnitten war, und konnte seinen Mißmuth kaum verbergen, so sehr auch Fräulein von Klinkowström, das er führte, sich um seine Aufmerksamkeit bemühte.

Der Herzog flatterte unstät umher; er war durchaus nicht schwermüthig, solche Stimmung lag seinem heitern, derben Wesen fern, ihm fehlte aber der rechte Anreiz zum Fröhlichsein.

Wenn er an Luise dachte, geschah es mit dem Gefühl der Erleichterung, daß sie nicht da sei; Milli war auch halb vergessen, aber er neckte hier und da unbewußt schärfer als sonst, er blieb nicht lange auf demselben Platz, ihn verlangte darnach sich auszutoben, toll lustig zu sein, die Stunde zu nutzen und zu genießen.

Dort saß die jung vermählte Schwägerin der Frau von Stein, Sophie von Schardt, geborene Gräfin Bernstorf aus Holstein; ein zartes, liebliches Weib, der die süße Kinderseele aus den großen, fragenden Augen blickte.

Hier versuchte Frau von Stein, Goethe zu dem braunen Trank zu überreden, der ihm zuwider war. Die ließ sich dann – während er ihr die Kaffeekanne abnahm und sie der blonden Karoline von Ilten darreichte – an seiner Seite festhalten.

„Ihr Getränk mag ich nicht,“ sagte er und fügte mit innigem Blick hinzu: „überlassen Sie die Hebepflichten den Misels, die sich was drauf wissen, zwischen den Gästen herum zu hüpfen, und gönnen Sie mir ein Viertelstündchen Wohlsein in Ihrer Nähe. Schier hab ich einen Pik auf mich, daß ich Ihnen so gut bin, da Sie mir immer aus dem Wege gehen, wie soll ich’s aber ändern?

„So lassen Sie’s beim Alten,“ sagte sie herzlich. „Ich weiche Ihnen nicht mehr aus, als ich muß; Sie wissen, daß man sich in der guten Gesellschaft nicht absondern und ausschließen darf; sind wir mit einander allein, dann können wir uns in unsere Plauderei versenken.“

„Dich sehen, liebste Frau, ist für mich Alles!“ flüsterte er, sich zu ihr neigend. „Du bist die einzige unter den Weibern, die mir eine Liebe in’s Herz giebt, welche mich glücklich macht.“

„Die Herzogin winkt!“ rief sie sich erhebend und eilte, von Amalien einen Auftrag entgegen zu nehmen und auszurichten, dann aber, auf den Wunsch der hohen Frau sich neben, sie zu setzen.

Der Herzog ließ sich jetzt neben Goethe nieder.

„Da sie Dir doch abspenstig gemacht ist, deren Farben Du innerlich trägst,“ sagte er neckisch, „kannst Du Jeden hier dulden. Wenn ich nur wüßte, bei welchen schönen Augen ich mich herum lügen und trügen soll! Gustchen ist heute nicht übel – Bauermädel wie’s sein muß – die macht einem das Liebeln bequem; vielleicht komme ich nachher bei der Hüpferei besser vorwärts.“

Der Kaffee war getrunken, die Musik spielte einen Ländler. Der Herzog sprang auf, wählte Auguste von Kalb und war mit ihr der Erste und Unermüdlichste auf dem grünen Plan. Auch Goethe warf sich der Lust des Tanzes mit frohem Jugendmuth in die Arme.

Als sich die Freunde in einer Pause wieder trafen, rief Karl August:

„Mein nußbraun Mädel hat mich angewärmt, sie spielt die Gurli pompös, und da es heut Maskerade ist, hab ich so natürlich ein Durcheinandrium von Unsinn und Zärtlichkeit geschwatzt, daß ich beinah mir selber glauben könnte!“

„Ja!“ erwiderte Goethe mit freudigem Auflachen, „man muß den Lebensrausch im geselligen Strudel vor sich her peitschen und die sinkende Lust immer wieder aufjagen!“

Und vorwärts ging es, diesem Grundsatze getreu, sowie die Musik auf’s Neue intonirte.

„Eben habe ich mit Thusnelda gewalzt,“ sagte der Herzog, sich die erhitzte Stirn trocknend, worauf er Goethe’s Arm nahm und einen schattigen Bosquetweg mit ihm verfolgte.

„Der Hafer, sticht das kecke Ding; sie ist noch eitel Uebermuth ihres glücklichen Entrinnens halber, damals im Winter. Es läßt mir keine Ruhe, ich muß ihr einen Streich spielen. Diesmal soll sie mir nicht entkommen, denn alle Chancen sind für mich. Hör’, sie soll für diese Nacht ihr Quartier einbüßen; es ist Niemand im Hause, der ihr aushelfen kann, und ich sehe sie schon demüthig kümmerlich in einem Winkel hocken. Morgen früh wollen wir dann die übernächtige Bäuerin abfassen, sie in’s Grüne schleppen und mit ihr einen Rundtanz auf dem thauigen Rasen halten!“ Er brach in ein übermüthiges Gelächter aus.

Als Karl August sich anschickte zur Gesellschaft zurückzukehren, sah er seinen Bruder, in zärtlichem Gespräch mit dem geliebten Linchen, den Laubengang heraufkommen; sowie das vertiefte Paar seiner ansichtig wurde, errötheten Beide lebhaft. Karolinchen zog den Arm aus dem ihres Cavaliers und schlüpfte in den nächsten abzweigenden Weg, Constantin aber blieb stehen und erwartete den Herzog.

„Na, mein Junge,“ sagte dieser herankommend, „werden da wieder verbotene Früchte genascht?“

„Du hast gut reden, Karl,“ entgegnete der Prinz bitter, „Dir ist so früh das süße Eheglück gewährt, daß Du ein sehnendes Herz gar nicht zu begreifen weißt und eines Unglücklichen nicht noch obenein spotten solltest.“

Der Herzog war nicht aufgelegt, sentimentale Regungen zartsinnig zu behandeln. Kurz auflachend, sagte er:

„Tröste Dich, Kleiner, das Glück, eine Gemahlin zu haben, ist nicht so groß.“

„Da würde ich gewiß anderer Ansicht sein,“ entgegnete Constantin innig.

„Vielleicht hat Luise noch eine wohlerzogene, vermögliche Prinzeß Cousine, mit der man Dich versorgen könnte.“

„Ich danke!“ rief der Andere kurz und folgte seiner holden Freundin.

Wieder war eine Weile getanzt, als die Pause eintrat, welche dem Abendessen voranging, das gleichfalls an den Tischen unter den Kastanien eingenommen werden sollte. Der Herzog hatte – vielleicht in einem Anfall neckischer Laune gegen den Freund – sich zu Frau von Stein gesellt und diese zwischen sich und Knebel eingefangen, worauf Goethe der Aufforderung Hildebrand’s von Einsiedel willfahrte, mit ihm durch die Anlagen zu gehen.

Sie waren achtlos des Weges auf einen Hügel im Park gelangt, von dem aus sie einen schönen Rundblick hatten und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_547.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)