Seite:Die Gartenlaube (1884) 569.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 35.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Herrin von Arholt.
Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Raban war im höchsten Grade erstaunt, daß man Wolfgang des Diebstahls bezichtigte, und vermochte erst nach einer Pause den alten Graveur nach den näheren Umständen zu fragen.

„Ich will es Ihnen erklären,“ erwiderte Melber, „gerade deshalb komme ich zu Ihnen. Deshalb, und weil ich Ihren Beistand erbitten muß. Sehen Sie, das Fräulein von Tholenstein, das bei meinem Sohne Unterricht nimmt – sie ist ein wenig meines Sohnes Cousine, das Fräulein, doch das gehört nicht hierher – besaß solche Goldmünzen, die wohl sehr selten sein mögen, und hat sie eines Tages neben einigen anderen alten Sachen, alten künstlichen Schmucksachen, meinem Sohne gezeigt. Mein Sohn hat die Münzen besonders hübsch, von interessantem künstlerischen Gepräge gefunden, und sie hat sie ihm geschenkt. Vor zwei Tagen nun hat ihn der Böse verführt, diese Münzen weiter, einem Mädchen, zu schenken, einer Freundin, wie er ja leider deren mehrere hat, und das Mädchen ist am andern Morgen gleich gegangen, die goldenen Münzen in dem Laden eines Antiquitätenhändlers zu verkaufen. Der Mann hat die Münzen untersucht, gezögert, das Mädchen aufgehalten, und dann sind Polizisten erschienen, denen er erklärt hat, die Münzen seien aus dem kaiserlichen Cabinete gestohlen. Das Mädchen hat meinen Sohn als den genannt, von dem sie die Münzen erhalten. Man hat sie nun zu meinem Sohne geführt, der sofort durch seine Erklärung das unglückliche Geschöpf aus dem Spiele gebracht hat – selbst aber, da seine Angabe, er habe die Münzen von einem Fräulein von Tholenstein zum Geschenke erhalten, nicht genügend erschienen, verhaftet worden ist. Er hat auf der Polizei, wohin er zuerst geführt, stürmisch verlangt, daß man das Zeugniß des Fräulein von Tholenstein einhole; man hat auch einen Beamten in deren Wohnung geschickt, dieser ist aber mit der Meldung zurückgekehrt, das Fräulein sei krank und könne Niemand sprechen. Unterdeß ist auf der Polizei auch der Custos des kaiserlichen Cabinets erschienen und hat erklärt, die fraglichen, dem Antiquitätenhändler zum Kaufe angebotenen Goldmünzen seien identisch mit den der kaiserlichen Sammlung gestohlenen und von äußerster Seltenheit. Und darauf hin hat man meinen Sohn zur weiteren Untersuchung an’s Landgericht abgeliefert. Ich hab’s von einem Herrn von der Polizei bald darauf erfahren und bin zum Landgericht gegangen, man hat mir aber den Zugang zu Wolfgang verwehrt – dann bin ich selbst zur Wohnung des Fräulein von Tholenstein geeilt und bin da ebenfalls abgewiesen, weil sie Niemand sehen könne – und darauf bin ich hierher gelaufen, hierher in Ihre Wohnung, um – Sie nicht zu finden! Es war zum Verzweifeln Alles das!“

„Was hofften Sie von mir in dieser Sache?“ fiel Raban, der in größter Spannung diese Geschichte angehört hatte, ein.

„Von Ihnen, Herr von Mureck, hoffe ich, daß Sie uns aus dieser schrecklichen Fatalität retten. Sie sind – ich weiß es von meinem Sohne, mit dem Fräulein befreundet, sind auch mit der Stiftsdame befreundet, stammen ja aus einer und derselben Gegend – Ihnen wird man in einer so dringenden Sache den Zutritt nicht weigern, Sie werden mit dem Fräulein reden und, wie krank es auch sein mag, dieses bewegen können – es handelt sich ja um den Vetter des Fräuleins und dessen Existenz und Ehre – sogleich ein schriftliches Zeugniß auszustellen, daß sie die Münzen Wolfgang geschenkt, daß er unschuldig ist. – Wenn wir nur das erst vorlegen können, wird man ja Wolfgang sicherlich gleich entlassen, und dann, wann sie genesen ist, kann man sie ja, falls es dem Gerichte noch nöthig scheint, gründlicher vernehmen, für’s Erste handelt es sich ja nur um ein Zeugniß, das Wolfgang frei macht – denken Sie, wenn er länger sitzen müßte, wenn es ruchbar und kund würde ...“

Raban hatte Melber bei diesen Worten gedankenvoll angesehen, und sinnend schwieg er auch jetzt noch eine Weile, bevor er, den Graveur fest fixirend, antwortete:

„Sie haben Recht, Herr Melber, mit solch einem Zeugnisse ist sicherlich die augenblickliche Freilassung Ihres Sohnes zu erreichen – und ich verspreche es Ihnen, dieses Zeugniß zu besorgen, wenn Sie vorher eine Bedingung erfüllen. Erfüllen Sie dieselbe nicht, so werde ich verhindern, daß Sie das Zeugniß erhalten. Es kommt vor Allem darauf an, daß man Fräulein von Tholenstein, jetzt, wo sie krank ist, nicht die beunruhigende Aussicht, als Zeugin vor Gericht erscheinen zu müssen, eröffnet ... Ob Wolfgang noch heute frei wird, von allem Verdachte gerechtfertigt, oder ob er eine noch gar nicht zu bestimmende Zeit wird in seiner Zelle im Landgerichte sitzen müssen – das hängt ganz von Ihnen selbst ab ... von Niemand sonst!“

„Von mir – aber ich bitte Sie, welche Bedingung ...“

Raban, der klar durchschaut hatte, welche Handhabe sich ihm hier darbot, eine offene und rückhaltlose Auskunft von diesem Manne zu gewinnen, eine Aufklärung, wie er sie nie sonst von

ihm zu erhalten hoffen dürfte, ging ohne Umschweife auf sein Ziel los und erwiderte mit fester Stimme: „Es handelt sich um

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_569.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)