Seite:Die Gartenlaube (1884) 571.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wenn ich mich nicht gewaltsam zu beherrschen hätte, weil Sie es wollen und mir auferlegen, so würde ich jetzt kniefällig vor Ihnen flehen: Vergeben Sie mir – was ich selbst mir nie vergeben kann – Sie in diesen Zustand gebracht, Sie unnütz, völlig unnütz in so schwere Sorge versetzt zu haben. Alle Schlüsse, die wir aus dem Briefe meines Vaters gezogen, sind unrichtig – es ist ein unseliges Verhängniß, daß dieser Brief je geschrieben wurde!“

Marie drückte ihre Hand stärker auf ihr Herz, mit der andern winkte sie Raban, als ob er schweigen, als ob er ihr Zeit lassen solle, sich zu fassen, und dann hochaufathmend sagte sie:

„Ist das möglich – möglich – Sie täuschen mich nicht? Nein, ich weiß, Sie, Raban, können mich nicht täuschen“ – und dabei streckte sie ihm glücklich lächelnd die Hand hin, die er ergriff und leidenschaftlich küßte. „Aber nun,“ fuhr sie fort, „erklären Sie mir . . .“

„Das bedarf einer langen Auseinandersetzung, der ganzen Mittheilung, die ich aus dem Munde des alten Melber erhalten habe. Für den Augenblick habe ich Ihnen etwas zu sagen, etwas von Ihnen zu erbitten, was mehr drängt als die Mittheilung der Enthüllungen Heinrich Melber’s. Es kommt darauf an, Wolfgang Melber einer sehr unangenehmen Lage zu entreißen, in welche ihn nicht just ein Verschulden, aber jedenfalls eine Handlung, die Sie selber beurtheilen mögen, gebracht hat.“

„Ah – und diese Lage ist . . .?“

„Ich hoffe, der Tropfen fällt nicht zu schwer auf Ihr Herz, Fräulein Marie, wenn ich antworte: diese Lage ist die eines Verhafteten, eines einer Schuld Verdächtigten, dessen sich das Gericht bemächtigt hat. Erschrecken Sie nicht darüber – Sie haben in der That nicht darüber zu erschrecken, liegt es doch in Ihrer Macht, seine Unschuld an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen darzuthun, da einige, nur schriftlich gegebene, Zeugniß für ihn ablegende Worte ihn aus seiner Lage retten . . . ihn ganz sicherlich sofort befreien werden.“

„Ich bitte Sie, was – o sprechen Sie rasch, was ist geschehen?“ rief Marie erregt aus.

„Erinnern Sie sich unseres neulichen Gesprächs über die auf Arholt gefundenen Münzen, von denen ein halbes Dutzend in das hiesige kaiserliche Cabinet gekommen, während in Ihren Händen noch drei derselben, welche Ihre Großmutter zurückbehalten, sich befänden?“

„Nun ja, nun ja . . .“

„Wohl – jene Münzen sind aus dem kaiserlichen Cabinet gestohlen und alle Antiquitätenhändler sind davon unterrichtet worden, aufmerksam gemacht für den Fall, daß dieselben ihnen zum Verkauf angeboten würden. Ihre Münzen dagegen haben Sie Wolfgang Melber geschenkt. Er aber hat sie einer Person, einer Bekannten geschenkt und diese sie zum Verkauf zu einem Händler getragen. Die weitere Entwicklung der Dinge können Sie sich denken: man hat Ihre Münzen für die aus dem Cabinet gestohlenen angesehen, man hat jene Person angehalten und dann Wolfgang verhaftet.“

„Ah – dann freilich,“ sagte Marie auffahrend, „muß ich für ihn zeugen, muß ihn retten. So rasch wie möglich! Was soll ich thun?“

„Fühlen Sie sich kräftig genug, schreiben zu können?“

„Sicherlich, wenn es sein muß. Holen Sie alles dazu Nöthige dort vom Schreibtisch herbei,“ antwortete Marie, indem sie zugleich klingelte und der eintretenden Anna befahl, etwas zu bringen, worauf sie schreiben könne. Anna legte ein großes Notenheft vor sie hin auf die Decke des Ruhebettes, und Marie sagte:

„Was soll ich schreiben – dictiren Sie mir, Herr von Mureck.“

Raban dictirte:

„Von den vor Jahren aus dem Gute Arholt bei H. gefundenen Goldmünzen aragonesischen Gepräges, welche dem dreizehnten Jahrhundert angehörig, sind sechs verkauft und später in das kaiserliche Cabinet dahier übergegangen. Drei dagegen sind im Besitz meiner Familie geblieben und mein Eigenthum geworden, und ich habe dieselben dem Bildhauer Wolfgang Melber dahier zum Geschenk gemacht. Im Augenblick unwohl, bin ich bereit, nach meiner Genesung dies Zeugniß persönlich abzugeben, auch eidlich zu erhärten.“

„So,“ sagte Raban, als Marie mit zitternder Hand dies Schriftstück zu Stande gebracht, „nun Ihre Unterschrift: Marie, Freiin Tholenstein zu Arholt, und dann, falls es zur Hand ist, Ihr Siegel.“

Anna brachte das letztere nebst Siegellack herbei. Endlich war das Schriftstück in aller Form vollendet, und Raban verabschiedete sich, um zu dem seiner sicherlich schon schmerzlich harrenden Vater Wolfgang’s zurückzukehren.

„Ja, eilen Sie,“ sagte Marie, „unterstützen Sie, indem Sie den Herrn Melber zum Gerichte begleiten, das Zeugniß durch Ihre Aussage und Versicherung, daß ich es in Ihrer Gegenwart geschrieben . . .“

„Gewiß, da Sie es wünschen, will ich Herrn Melber begleiten . . .“

„Und dann,“ fuhr Marie fort, „kommen Sie zurück, um mich zu beruhigen, daß dies Zeugniß hingereicht habe, um Wolfgang zu befreien – kommen Sie möglichst bald!“

„Jede Minute, die ich Sie noch besorgt weiß, wird mir schmerzlich sein,“ entgegnete Raban und eilte mit seinem Document davon.

In seiner Wohnung fand er den Graveur bereits vor, ungeduldig im Zimmer auf- und abschreitend. Hocherfreut nahm dieser die Schrift Mariens entgegen und beide fuhren nun zu dem großen und weitläufigen Justizgebäude. Der Graveur, der ja am vorigen Tage hier gewesen, wußte bereits, welche Wege hier einzuschlagen seien, und nach einigen vergeblich durchmessenen Corridoren, vergeblich an Unterbeamte gestellten Anfragen wurden sie endlich in das Zimmer eines der Untersuchungsrichter geführt, der ihr Anliegen anhörte, das Zeugniß Mariens entgegennahm und es sorgsam durchlas. Er fixirte dann scharf sowohl den Graveur wie Raban, prüfte des letzteren Paßkarte, die Raban zum Glücke in seiner Brusttasche bei sich trug, und sagte endlich:

„Sie sind also bereit, eidlich zu bezeugen, daß diese Erklärung in Ihrer Gegenwart von einer Ihnen persönlich als solche bekannten Marie, Freiin Tholenstein zu Arholt geschrieben und unterschrieben worden ist?“

Auf Raban’s Versicherung, daß er jeden Augenblick dazu bereit sei, begann der Richter den Vorgang zu protokolliren, ließ dann das, was er geschrieben, von Raban unterzeichnen und entließ die beiden Herren mit der Versicherung, daß er Wolfgang Melber’s Freilassung, der nun nichts mehr im Wege stehe, im Laufe der nächsten halben Stunde veranlassen wolle.

Raban wünschte, während sie sich nun entfernten, dem Graveur Glück zu der raschen und ohne Schwierigkeiten gelungenen Befreinng seines Sohnes, der nun von allem Verdacht gereinigt dastand. Er selbst wollte nun zu Marien zurückeilen, um ihr diesen Ausgang zu melden. Heinrich Melber aber bat ihn inständig, noch mit ihm während der halben Stunde zu warten, bis Wolfgang wirklich entlassen werde, damit dieser selbst ihm für den großen Dienst, den er ihm geleistet, danken könne. So schritten sie in der Nähe des Gebäudes, in welchem sich die Gefängnisse und Haftzellen befanden, auf und nieder – bis sie endlich, ehe noch die halbe Stunde verflossen, Wolfgang aus dem Portal hervortreten und ihnen entgegenschreiteu sahen. Er drückte Beiden mit einem erzwungenen Lächeln die Hand – und dankte nach seines Vaters Erzählung, wie Raban sich für ihn gemüht, diesem ohne viel Lebhaftigkeit mit kurzen Worten.

„Das war brav von Ihnen,“ schloß er, „und,“ fügte er mit erzwungener Scherzhaftigkeit hinzu, „Sie können fest und sicher auf meine Gegendienste bauen, falls Sie deren einmal bedürfen sollten. Man muß ja auch so etwas im Leben durchmachen; man ist dann immer um eine Erfahrung reicher. Für die zwei Tage, welche man mir von meiner Arbeitszeit geraubt hat, hätte man mir übrigens billiger Weise eine Entschädigung zahlen müssen! An so etwas aber denken sie da oben nicht. Man muß schon zufrieden sein, daß man nicht noch eine Logisrechnung ausgestellt bekommt, für Zimmer, Bougies etc.“

Raban wurde unangenehm durch diesen erzwungenen Humor nach solch einem Erlebniß berührt – er eilte nun, fortzukommen und ohne weiteren Aufenthalt Marien Bericht zu bringen.

(Schluß folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_571.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)