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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

für ein kleines Herzensfaible; Sie kommen mit der Schröterin und anderer Jugend in einen viersitzigen Schlitten. Es giebt aber noch tausend Dinge im Stall zu arrangiren,“ fügte er aufstehend hinzu. „Welchen Schlitten bevorzugst Du, Charlotte? Der Oderhofmarschall von Witzleben wird Dich fahren. Es ist der mit dem Schwan für die kleinen Schimmel, der rothe mit der Tigerdecke und der Mohrenkopfschlitten mit dem großen Dunkelbraunen noch zur Verfügung; überlege Dir, was zu Deiner Toilette paßt.“

Er grüßte leicht und eilte, um seine Geschäfte zu besorgen, hinaus.

Der Hauslehrer folgte gleich darauf mit den beiden älteren Knaben. Frau von Stein nahm Fritzchen an die Hand und lud den Freund ein, mit in ihr Zimmer zu kommen. Während Fritz mit seinen Bauhölzern und Soldaten in der einen Fensternische spielte, saß Charlotte mit Goethe gewohnter Weise in der andern.

„Ich sehe es deutlich in Ihren bewegten Mienen, lieber Wolf,“ hob sie teilnehmend an, „es ist etwas geschehen, was Sie quält; reden Sie, berichten Sie mir, was vorgefallen ist, dann will ich auch sagen, was ich für Sie auf dem Herzen habe.“

Aufathmend theilte Goethe der vertrauten Seele sein Mißgeschick mit. Er gestand ihr, daß er wisse, wie sehr er die Herzogin verletzt habe, statt sie – wie er nie anders gewollt und gedacht – in mildester Weise über ihre selbstgewählte trübe Lage aufzuklären und sie wie Lila versöhnt und beglückt in den Kreis der Ihren zurück zu führen. Warm, hinreißend, bilderreich sprach er sich über sein Mißgeschick aus. Und wieder gewann die ruhig lauscheude Freundin einen tiefen Blick in das glühende, nach hohen Zielen ringende Herz des Dichters.

„Du siehst, liebe Seelenführerin,“ fahr er fort, „daß ich wieder einmal Deiner bedarf. Ich gebe ja sollst nichts auf das Gerede der Leute, wenn es mit meinem für recht Erkannten im Widerspruch steht, und packe die Sticheleien geduldig auf, weiß ich doch, daß alles nur Versuche und Vorbereitungen sind. Hier aber, wo es sich um eine Andere handelt, wo ich verletzt statt versöhnt habe, quält mich das Geschehniß auf das Bängste.“

Sie hatte ihn mit keiner Silbe unterbrochen; als er sie nun, wie nach einem Urteilsspruch verlangend, mit fragenden Augen ansah, reichte sie ihm voll Theilnahme die Hand und seufzte: „Armer Freund!“ Daun fuhr sie fort:

„Wenn Ihr Männer nicht gar so sicher gewesen, wenn Ihr zu uns gekommen wäret, Rath zu holen! Vorher war das unter Euch eine geheime Wichtigkeit, eine Selbstgewißheit. Als ich nun aber das Spiel sah, erkannte ich den ungeheuren Mißgriff! Ich wußte ganz genau: das vertrug Luise nicht; das hätte auch ich nicht vertragen! Ich konnte Luisens Gesicht nicht sehen, aber aus der Art, wie sie hastig und zitternd den Fächer bewegte, wie sie sich eifrig und gezwungen in den Pausen unterhielt, erkannte ich ihre tiefe Gemüthserregung. Mit Bedauern fühlte ich, daß auf lange hinaus viel verdorben sei.“

„Wenn ich sie nur allein sprechen, ihr erklären könnte – wirke mir das aus, Charlotte!“

„Das gerade wird die Herzogin ängstlich vermeiden. Es würde auch nichts helfen. Sie ist, zwanzig Jahre alt geworden, in ihrer einmal fest geprägten Eigenart schwer zu ändern. Daß sie Dir gestern Abend ihre Seele einen Augenblick erschlossen hat, schmerzt sie heute vielleicht mehr als alles Uebrige; sie ist ja eine so tief innerliche Natur! Sie lebt ganz einsam in der Welt und findet alle Formen, allen Verkehr zu leicht; sie besitzt keine Freundin und sehnt sich, wie ich glaube, nach keiner, weil sie die Wonne, ihr Herz aufzuthun, nicht kennt.“

„Ja, wenn ich nicht in ihre Seele sähe und so warm für sie fühlte, hätte sie mich schon oft erkältet!“ rief er zustimmend.

„Aber Du kannst uns bei ihr heraushelfen, liebste Lotte; sag, was wir thun können!“ fuhr er erregt fort.

„Versuchen kann ich’s diesen Abend in Belvedere,“ entgegnete Charlotte nachdenklich, „aber mir ahnt, daß es nichts helfen wird.“

Goethe küßte mit dankbarer Innigkeit ihre Hand, klagte, daß er bei der Schlittenfahrt wenig von ihrer lieben Gegenwart genießen werde, und verließ sie, wie immer, mit der Empfindung, daß etwas in ihm in’s Gleiche gerückt sei.

Zu Hause angelangt, hörte er, daß oben der Herzog auf ihn warte, er sprang hinauf und fand Karl August ungeduldig im Zimmer hin- und hergehend.

„Kommst Du endlich!“ rief er ihm entgegen. „Mir läßt diese dumme Geschichte mit Luise keine Ruhe. Ich bin gewiß kein Poltron, aber zu ihr sprechen, sie begütigen, dafür fehlt mir absolut die Courage. Noch vor ihrer Stubenthür würde ich auf der Schwelle Kehrt machen! Ich bin auch gründlich erbost auf sie. Dies Versöhnungsspiel von gestern war das Aeußerste, was ich noch für sie thun konnte! Weist sie die vergünstige Auffasssung meines guten Willens ab, so ist unsere Trennung ihre Schuld. Irgend Jemand kann ihr in meinem Auftrage ein Ultimatum stellen! Entweder oder! Ich werde sie laufen lassen, wenn sie nicht andere Saiten aufzieht; nur soll sie dann nicht mir unser Zerwürfniß in die Schuhe schieben.“

Goethe erzählte ihm, daß er von der Stein komme, deren Vermittelung er in Anspruch genommen und deren Zusage, einen Versuch wagen zu wollen, er empfangen habe.

„Es ist eigentlich viel zu viel Mühe, die man sich um sie giebt,“ brummte der Herzog halblaut. „Uebrigens, wenn die Stein es einmal unterninmt, kannst Du ihr sagen, daß sie auch für mich rede.“

Am Nachmittage fand die Schlittenfahrt, bei hellem Wintersonnenschein, der in bläulichen Lichtern über den Schnee glitzerte, statt.

Voran fuhr die herzogliche Capelle in phantastisch türkischem Ausputz; dann kamen zwei Vorreiter. Zunächst folgte die Herzogin Luise mit dem Gast in der Silbermuschel, Beide in buntem, türkischem Costüm, sie fast undurchsichtig verschleiert; die beiden herzoglichen Mohren standen in reicher Livree hintenauf; darauf kam der Herzog mit seiner Dame, seine Läufer zu beiden Seiten des Schlittens mit schellengeschmückten Stäben, dann die Herzogin Anna Amalie, mit zurückgeworfenem Schleier und einem brillanten-funkelnden Turban, von dem ein Reiherbusch keck ausstrebte. Sie selbst frisch, lachend und oft munter mit dem Oberstallmeister plaudernd.

Hieran schloß sich nun dem Range nach die ganze Hofgesellschaft, in kleineren einspännigen oder mehrsitzigen Schlitten. Die Musik spielte ihre lustigsten Weisen, die Schellen klingelten, die Peitschen knallten, die Zuschauer jauchzten, wo der prächtige Aufzug vorüberkam, und die helle Sonne brach sich mit Regenbogenfarben in dem schillernden Gemisch von frischem Schnee, bunten Stoffen und glänzendem Geschmeide.

So ging es lustig die gerade Kastanienallee zum Belvedereschloß hinauf!

Bald trat das im italienischen Stil ausgeführte zweistöckige Hauptgebäude deutlich hervor, vom tiefblauen, lichtdurchflutheten Frosthimmel sich scharf abhebend.

Zahlreiche Lakaien und Stallbediente unter Führung des Castellans empfingen die vorfahrenden Schlitten und leiteten die Gäste in den Speisesaal, wo eine dampfende Chocolade die Gesellschaft an den Marmorkaminen mit loderndem Holzfeuer versammelte.

Nach einer durch zwanglose Unterhaltung belebten Ruhestunde begann im angrenzenden Gemach die Musik; Corona, sowie die Rudorf, dann Beide zusammen, trugen unter lebhaftem Beifall beliebte Arien vor.

Man brachte Licht und der Tanz fing an. Anna Amalie sagte lachend zur Göchhausen:

„Spring Dich warm, Thusnelda, um für den Rückweg einzuheizen! Wir wollen keine Neige im Glase lassen!“ und eilig trat sie mit Stein zum Contretanze an.

Die Herzogin Luise konnte dem Erbprinzen, dem Vetter ihres Gemahls, den Ehrentanz nicht weigern; auch mit dem Herzoge ging sie zum folgenden Menuett. Sie gab sich Mühe, den Allschein einer zwischen ihnen waltenden Mißstimmung zu vermeiden, und das Ehepaar unterhielt sich in den Pausen über oberflächliche Dinge mit der besten Miene von der Welt. Karl August fühlte dabei aber ganz gethan, wie er mit ihr dran sei; sie waren anderthalb Jahre verheiratet, und wenn im eigenlichen Sinne auch nicht durch Liebe verbunden, doch klar über ihre beiderseitige Charakterrichtung und die Art sich zu geben.

Nach diesem Menuett erklärte die Herzogin gegen ihre Umgeebung, sie scheue wegen der kalten Rückfahrt im offenen Schlitten die Erhitzung und wolle nicht mehr tanzen.

Sogleich fanden sich einige ältere oder ihr besonders ergebene Personen, die sich um sie schaarten; zu diesen gehörte Frau von Stein, der es gelang, den Lehnsessel dicht am Sopha neben der Herzogin einzunehmen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_579.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)