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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Collegen ihr Besuche. Sie kam nicht zum Burgtheater, so kam das Burgtheater zu ihr.

Die trockenen Daten ihrer Lebensgeschichte fasse ich in Kürze zusammen, denn sie sind oftmals mitgetheilt worden. Am 6. Mai 1799 in Karlsruhe als Tochter des badischen Kammerfouriers Morstadt geboren, betrat sie, zehn Jahre alt, zum ersten Male die Bühne, und zwar in Wranisky’s Oper „Oberon, König der Elfen“. Alsbald widmete sie sich gänzlich der Bühne und heirathete 1816 den Schauspieler Neumann. Aus der Ehe mit ihm stammen die oben erwähnten Töchter Louise und Adolphine. Auf längeren Reisen begründete sie ihren Ruf und galt, noch ehe sie zwanzig Jahre zählte, als berühmte Künstlerin. Im September 1823 starb ihr Gatte; vier Jahre später schloß sie eine zweite Ehe mit dem Sänger Anton Haizinger. Mit Letzterem ging sie nach Paris, London, Petersburg und in die bemerkenswerthesten deutschen Städte. Ueberall entzündete sie lichterlohen Enthusiasmus. In Leipzig gründete man ihr zu Ehren einen Rosenorden, zu dessen Großmeisterin sie ernannt wurde. Im Jahre 1824 sagte Goethe von ihr: „Man sehe die Darstellungen der Frau Neumann; sie thun sich so zierlich und liebenswürdig hervor, als die Schauspielerin selbst.“ Unwillkürlich erinnert man sich daran, daß auch La Roche das Glück genossen hatte, Goethe zu kennen und von ihm beurtheilt zu werden.

Im Jahre 1836 erschien ein starker Band „Erinnerungsblätter aus dem Leben und Künstlerwirken der Frau Amalie Haizinger“, eine genaue Zusammenstellung aller Triumphe, die sie von 1810 bis 1836 gefeiert, aller Huldigungen, die sie innerhalb dieser Zeit erfahren. Sie hatte in Paris mit großem Erfolge gespielt, und man glaubte sich deshalb bemüßigt, sie mit der und jener französischen Künstlerin zu vergleichen. Mit Recht schrieb damals ein süddeutsches Blatt:

„Sie ist nicht gemacht, wie uns Deutschen eine Mars erscheinen müßte, nicht mit ihrer Genialität über die Schnur hauend wie die Dorval; nicht groß und dämonisch wie die Rachel. Amalie Haizinger war als Prototyp eines deutschen Mädchens geboren, sie war eine deutsche Schönheit ganz und gar mit ihrer lieblichen Fülle, ihren blonden Flechten, ihren Veilchenaugen, ihrem weichen Tone; ihr Herz war voll deutscher Empfindung. Trotz erweiterter Ausbildung und eines ausgedehnten Rollenkreises in verschiedenen Fächern ist die reine Unmittelbarkeit eines scharf ausgeprägten süddeutschen Naturells der Künstlerin geblieben. Sah man sie früher als Margarethe in den ‚Hagestolzen‘, hörte man sie singen: ‚Was frag’ ich viel nach Geld und Gut?‘, sah man sie herzige Kußhändchen zum Fenster des alten Hofrathes hinaufwerfen, so war’s das Mädchen aus Weinheim oder tiefer aus dem Odenwalde, wie es leibt und lebt. Sah man sie als Baronin in der ‚Lästerschule‘, so war es keine Puppe, komödiantisch aufgesteift, à peu près eine Salondame repräsentirend, wie man sie sich vorstellt, wenn man davon gelesen hat; die Baronin der Haizinger war eine durchaus deutsche Frau der höheren Gesellschaft, ganz in ihrem eigenthümlichen Sichgehenlassen, und zwar allereigentlichst, wie sie aus eigener Erfahrung dieselbe kannte, mit Einem Worte, wie sie selbst eine war…“

Zu solchen Citaten muß Unsereins seine Zuflucht nehmen, will man sich ein Bild von ihr machen aus der Zeit, da sie noch weit entfernt war von der „komischen Alten“, aus der Zeit, da noch das Gretchen in „Faust“, die Thekla in „Wallenstein“, die Melitta in Grillparzer’s „Sappho“ ihr zufielen. Was sie in Wien an besonders festlichen Gelegenheiten erlebte, das hing mit ihrem vorgerückten Alter zusammen. Ihr fünfzig- und ihr fünfundsechszigjähriges Künstlerjubiläum, ihr siebzigster und ihr achtzigster Geburtstag gaben Anlaß zu rauschenden Ovationen, wie die Leipziger „Rosenkönigin“ sie nicht rauschender erlebt haben konnte.

Die Rollen, mit denen sie in Wien so lange nachhaltig gewirkt, liegen alle in der Richtung ihrer Lieblingsrolle: der alten Bärbel in „Dorf und Stadt“. Es war etwas Herzbezwingendes, wenn sie sang: „Ueber’s Jahr, über’s Jahr, wenn i wiederum komm“ – und wohl niemals ergriff sie mit diesem Liede die Zuhörer so tiefinnig, wie an jenem 19. December 1856, als ihre Tochter Louise als Lorle in „Dorf und Stadt“ Abschied nahm von der Bühne und die Haizinger die Bärbel gab. In dieser Rolle trat ihr ganzes künstlerisches Wesen zu Tage, ein Wesen, an dem absolut nichts Unklares, nichts Räthselhaftes war. Amalie Haizinger besaß jenen Theaterinstinct, der sicherer geleitet als alle Reflexion; sie traf immer das Richtige, weil sie immer einfach, wahr und natürlich sein wollte und weil sie immer viel mehr sich selbst spielte als die Rolle, und weil sie selbst eine liebenswürdige, heitere, kreuzbrave, humorvolle und dabei tiefempfindende Frau war, eine allerliebste „Mama“. Es hat größere Darstellerinnen gegeben als sie, aber kaum eine stärkere Natur, geboren für die theatralische Vertretung der bürgerlichen Wirklichkeit. Es überkam Alle, die ihr Grab umstanden, ein wehmüthiges Gefühl, als der Oberregisseur des Burgtheaters, Herr Adolf Sonnenthal, ihr nachrief: „Nimmer wird das Lied der treuen Bärbel ertönen: ‚Wann i kumm, wann i kumm, wann i wied’rum kumm‘, denn nimmer wirst du wieder kommen…“

Ferd. Groß.

Blätter und Blüthen

Das vierhundertjährige Jubiläum eines Allbekannten. Ein in allen Kreisen Wohlbekannter, in allen Kreisen Wohlgelittener und Hochwillkommener, der sich seit Jahrhunderten überall im Palaste wie in der Hütte solch ungeheuchelten, allseitigen Wohlwollens zu erfreuen hat, daß Jeder wünscht, er möge tausend-, ja hunderttausendfach bei ihm einkehren, feiert heuer sein vierhundertjähriges Jubiläum. Hoch und Nieder, Reich und Arm, Jung und Alt, alle Kreise der Bevölkerung, die Angehörigen aller Stände, die Anhänger aller Confessionen, die Männer aller politischen Parteien bringen dem Jubilar in gleichem Maße ihre Verehrung entgegen.

Trotz dieser im wahrsten Sinne des Wortes allgemeinen Sympathien, deren sich der Jubilar erfreut, wird sein Jubiläum doch recht ruhig vorübergehen. Von einer Jubelfeier wird sehr wenig zu merken sein; es werden keine Fahnen deswegen herausgehängt, es finden keine Festzüge und keine musikalischen Aufführungen statt, obgleich die Musik, welche der Jubilar macht, Vielen die angenehmste und lieblichste der Welt ist; es werden ihm zu Ehren keine Zweckessen gehalten, wenn auch gerade nur er gewöhnlich die Abhaltung solcher ermöglicht, kurz, der ganze Apparat, der sonst bei diesen Feiern in Bewegung gesetzt zu werden pflegt, wird diesmal ruhen. Der Jubilar wird wahrscheinlich damit einverstanden sein; vielleicht hat er sich selbst jede Feierlichkeit verbeten, nachdem das deutsche Reich ihn, einen echt deutschen Sohn, von sich gestoßen und ihn zu einem Dreimarkstück degradirt hat, ja zu einem Dreimarkstück, denn von dem „Thaler“, dem altehrwürdigen Thaler, nach welchem wir und unsere Voreltern so lange Jahre gerechnet, der uns sozusagen an’s Herz gewachsen war, den aber die neue Reichswährung nicht mehr kennt, ist die Rede!

Er hat vor genau 400 Jahren, im Jahre 1484, als im Münzwesen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation große Unordnung eingerissen war, das Licht der Welt erblickt. Den Anfang zur Verbesserung dieses Zustandes machte Erzherzog Sigismund von Tirol, der letzte selbstständige Fürst dieses schönen, damals silberreichen Landes, indem er im Jahre 1484 die ersten größeren Silbermünzen fertigte, die nach kurzer Zeit auch von anderen Münzstätten, besonders aber in der zu jener Zeit sehr silberreichen böhmischen Bergstadt Joachimsthal von den Grafen Schlick hergestellt wurden.

Nach diesem Hauptfabrikationsorte sollten die großen Silbermünzen mit dem sehr umständlichen Namen „Joachimsthaler Gulden-Grosch-Pfenning“ genannt werden, welche langweilige Bezeichnung das Volk in Joachimsthaler, Jochimsthaler abkürzte. Der ehrwürdige erste evangelische Prediger von Joachimsthal, Joh. Mathesius, berichtet hierüber: „Wie man heut’ fast aller Herrn Schlag (Gepräge), so zwei Loth halten sollen, Jochimsthaler zu nennen pfleget, weil sie hie, wiewol nicht am ersten (denn die dreiköpfigen Annaberger sind älter) mit (in) Haufen geschlagen seien.“ Auch der wackere Schuhmacher und Poet Hans Sachs kennt diese Münze; er singt in einem seiner Gedichte von ihr:

„Dem gab er einen Jochimsthaler,
Daß er wär der Sackpfeif’ ein Zahler.“

Doch kam den Leuten das Wort Jochimsthaler noch immer zu lang vor, obgleich man damals die Zeit noch nicht als Geld betrachtete; sie halfen sich durch eine neue Kürzung, schickten den Joachim heim und nannten die große Silbermünze ganz einfach einen „Thaler“!

Die Zahl der verschiedenen Prägungen von Thalern seit vierhundert Jahren ist Legion; dicke Werke sind mit Verzeichnissen, Beschreibungen und Abbildungen derselben angefüllt und fortwährend veröffentlichen die numismatischen Werke Mittheilungen über bis dahin unbekannte Gepräge. Seit der Einführung der neuen Währung werden in Deutschland keine Thaler mehr hergestellt, nur die Wiener Münze prägt noch fortgesetzt Maria-Theresia-Thaler mit der Jahreszahl 1780, die für den Handel im Orient und in Afrika bestimmt sind und merkwürdiger Weise das beliebteste Zahlungsmittel halbcivilisirter oder ganz wilder Völker bilden. Wenn er auch officiell abgesetzt und verstoßen, sowie genöthigt ist, den Wilden sein wahres Alter zu verschweigen, wird das deutsche Volk doch seines „Thalers“ nicht vergessen. Wie der oberbayerische Bauer heute noch gern nach Kronenthalern rechnet und handelt, die schon längere Zeit eingezogen sind, so wird auch der Norddeutsche noch lange nach Thalern rechnen, sodaß die Hoffnung nicht unbegründet ist, daß der Thaler von unsern Nachkommen ebenfalls nach Verdienst geschätzt und noch sein fünfhundertjähriges Jubiläum im Jahre 1984 in angenehmer Weise verbringen wird. Uebrigens wird sein heuriges doch nicht ganz vorüber gehen, ohne Erinnerungszeichen zu hinterlassen; wie wir hören, wird die Wiener numismatische Gesellschaft das „vierhundertjährige Jubelfest des Thalers“ durch Veröffentlichung einer Monographie und wenn möglich auch durch ein Gepräge verherrlichen. B.     


Steyr in Oberösterreich. (Mit Illustration S. 581.) Rauschende, tiefgrüne Alpenflüsse, am Horizonte die funkelnden Spitzen des Hochgebirges, ringsum die schattigen Hallen der Buchenwälder, hoch über der Stadt thronend ein ehrwürdiges Schloß und ein gothischer Dom, – drunten am rauschenden Wasser das großartigste industrielle Leben der Gegenwart, und dieses Alles vom elektrischen Strahle zauberhaft beleuchtet, – das sind die Elemente, aus denen sich das Bild der Stadt Steyr zusammensetzt.

Alt und bedeutsam ist ihre Geschichte, denn seit sechs Jahrhunderten blüht hier die Eisenindustrie, deren Erzeugnisse sich in der weiten Welt des besten Rufes erfreuen. Die Sensen und Messerklingen der steyrischen Meister bildeten in früheren Zeiten vielbegehrte Handelsartikel, die selbst nach dem Oriente versendet wurden, und in neuester Zeit ist der Ruf Steyrs noch durch treffliche Gewehre und Stichwaffen mehr verbreitet worden. Vor etwa zwanzig Jahren wurde hier eine Waffenfabrik gegründet, die bald zu einer der bedeutendsten dieser Art heranwuchs. In ihren großartigen Etablissements werden heute 5000 Arbeiter beschäftigt, und nicht allein zahlreiche Dampfmaschinen, sondern auch die rauschenden Wellen der vorbeiströmenden Steyr wurden in den Dienst der Fabrik gestellt. Mehr als zwei Millionen Gewehre hat die berühmte Anstalt bis jetzt an die Regierungen verschiedener Länder geliefert und blickt mit schaffensfrohem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_583.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2022)