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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Eine üppige Vegetation und ein reiches Thierleben hat sich in diesem unbewohnten Landstrich entwickelt, der für den Menschen nicht allein wegen der Ueberschwemmungen und wegen der zahlreichen Tiger unzugänglich ist, sondern hauptsächlich wegen der bösartigen Fieber gemieden wird, welche jeden befallen, der sich auch nur ganz kurze Zeit dort aufhält. Man wird sich leicht vorstellen können, wie massenhaft vegetabilische und thierische Stoffe in dem Sumpfgebiet der Sundarbans der Zersetzung unterliegen und daß hier die Gelegenheit zur Entwickelung von Mikro-Organismen geboten ist, wie kaum an einem anderen Platz auf der Erde. Ganz besonders günstig ist in dieser Beziehung das Grenzgebiet zwischen dem bewohnten und unbewohnten Theil des Delta, wo die Abfallsstoffe aus einem außerordentlich dicht bevölkerten Lande von den Flußläufen herabgeschwemmt werden und sich mit dem hin und herfluthenden, bereits mit Zersetzungsstoffen geschwängerten Brackwasser der Sundarbans mischen. Unter eigenthümlichen Verhältnissen muß sich in diesen eine ganz eigenartige Fauna und Flora von Mikro-Organismen entwickeln, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Cholerabacillus angehört. Von hier aus wird er in die benachbarten indischen Ansiedlungen gebracht und durch Menschen von Ort zu Ort verschleppt, bis besondere Einflüsse seine Entwickelung hemmen und das Erlöschen der Seuche in den von ihr ergriffenen Ländern zur Folge haben.

Valerius. 




Blätter und Blüthen.

Fingal’s „erstes Feld“. (Mit Illustration S. 589) Der alte Oberförster Wolff – so erzählte kürzlich der Baron von S… im Kreise einiger Bekannten – war, wie dies bei einem Forstmanne nur selbstverständlich ist, ein vortrefflicher Jäger und galt allgemein als eine Autorität in der Abrichtung und Führung der Hunde für die Zwecke des edlen Waidwerks. Sein „Feldmann“ genoß darum eines gewissen Rufes und Ansehens in der Jägerwelt, sodaß neben ihm kein anderer Hund etwas gelten oder gar mit Feldmann verglichen werden konnte. Nun hatte ich mir einmal einen jungen Hund von vortrefflicher Rasse und Abstammung eingethan und ließ ihn bis zu seiner Gebrauchsfähigkeit bei einem mir bekannten Förster, Namens Maier, ebenfalls einer Autorität in der Hundedressur, erziehen. Dieser Tag, an welchem mein junger Fingal unter meiner persönlichen Führung zeigen sollte, was er gelernt hatte, der Tag „seines ersten Feldes“, war nun gekommen, und ich nahm ihn mit zu einer von Oberförster Wolff veranstalteten kleinen Jagd, auf welcher einige Hasen geschossen werden sollten.

Mit Kennerblick musterte der alte Hunde-Erzieher alsbald Bau, Behäng, Gebiß und Ruthe Fingal’s und sprach mir unverhehlt seinen Beifall aus. Als er jedoch hörte, daß Maier ihn abgerichtet und geführt habe, rümpfte er die Nase und sprach nur das eine Wort: „Schade!“ Natürlich bat ich ihn jetzt um Erklärung und Begründung dieses mir unverständlichen Mißfallens, worauf Wolff, der – wie ich später erfuhr – dem genannten Förster nicht gut stand, kurz erwiderte: „Maier versteht nichts von der Abrichtung, – alle von ihm geführten Hunde ‚schägern‘ und ‚schneiden an‘, – Sie werden sehen, das Hundchen ist verdorben, total verdorben. Schade, Sünd’ und schade dafür!“

Dies war mir natürlich eine höchst unangenehme Eröffnung, aber im Stillen hoffte ich doch, daß es nicht gar so arg sein werde und daß, wenn Fingal wirklich die genannten schlechten Eigenschaften haben sollte, diese ihm „durch energische Korallen“ abgewöhnt werden könnten. Dieses Trostes voll, koppelte ich Fingal von der Leine und ließ ihn ein Stück Feld absuchen. Er machte seine Sache ganz gut, aber – es mußte mir vor Abgang zur Jagd ein altes Weib über den Weg gelaufen sein: ich kam nicht zum Schuß. Endlich aber, schon fast zu Ende der Jagd, zog mein Fingal an; ein Hase stand auf und wurde flüchtig. Blitzschnell hatte ich da die Flinte am Backen und – ließ schnappen. Aber ich hatte entschiedenes Pech: der Hase machte einige Kreuz- und Quersprünge und – verschwand im nächsten Kornfelde. Fingal aber a tempo auf und, die Nase am Boden, ihm nach. Alles Rufen und Pfeifen half nicht – laut kläffend jagte er dem Hasen, den ich gefehlt zu haben glaubte, nach und verschwand wie dieser.

„Nun, was habe ich gesagt?“ rief da der Oberförster etwas schadenfroh zu mir herüber, „Sie sehen, daß ich Recht hatte: er schägert und schneidet sicher auch an, – das Vieh ist keinen Schuß Pulver werth!“

Mißmuthig warf ich die Flinte über den Rücken und wandte, neben dem Oberförster einhertrollend, meine Schritte heimwärts. Einmal noch kam ich unterwegs zum Schuß auf einen Hasen, den mir der „unfehlbare“ Feldmann apportirte, dann traten wir den Weg zum nahegelegenen Dorfe an, um daselbst gewohntermaßen den „letzten Trieb“ im „Adler“ abzuhalten. Aber kaum hatten wir uns daselbst niedergelassen, so schritt gravitätisch hinter dem Adlerwirth – mein Fingal zur Thür herein, einen Hasen regelrecht apportirend.

Ein allgemeines „Ah!“ entfloh da den Lippen meiner Jagdgenossen bei diesem unerwarteten Anblick, und der Oberförster nahm das eben angesetzte Deckelglas wieder vom Munde und rief sichtlich erstaunt: „Bei Sanct Hubert – ich glaube gar, der Fingal bringt Ihren Hasen, Herr Baron!“

Es war wirklich so. Der vermeintliche „Schäger“ hatte die Fährte des nur leicht angeschossenen Hasen aufgenommen und hatte diesen, der nur wenig am Hinterlauf schweißte, in seinem Feuereifer auf eine weite Strecke verfolgt und endlich gefaßt. Durch regelrechtes Schütteln, nicht durch Anschneiden, hatte er ihm den Garaus gemacht und unternahm es sodann pflichtgemäß, mir die gemachte Beute stolz zu überbringen. Aber der starke Hase war dem jungen Hund offenbar viel zu schwer. Wohl zwanzigmal mochte er ihn unterwegs abgelegt und wieder aufgenommen haben, weshalb er mit seiner Last erst dann zu der Stelle gelangte, wo er mich zu finden hoffte, als ich sie gerade verlassen hatte. Aber der wackere Hund ließ sich hierdurch nicht abschrecken: mit dem Hasen im Maul nahm er nun sofort meine zum Dorfe in den „Adler“ führende Fährte auf, wo er mich endlich glücklich fand und mir – ich möchte sagen – „stolz“ seine Beute ablieferte.

Von diesem Tage an war mein Fingal, der solchermaßen auf „seinem ersten Feld“ sein Meisterstück gemacht hatte, dem unfehlbaren Feldmann ebenbürtig. Sogar der Oberförster mußte dies zugestehen, jedoch jeweils mit dem Beifügen, daß dies nur Fingal’s eigenes Verdienst vermöge seiner Rasse und Begabung, nicht aber das des Försters Maier sei, denn dieser verstehe nichts von der Hunde-Abrichtung.

So schloß der Baron seine Jägern gewiß interessante Mittheilung. Ob er in dieselbe einiges „Latein“ verflocht, vermag ich allerdings nicht zu beurtheilen.



Der Haarschneider. (Mit Illustration S. 593.) Auch eine Kunst, das Haarschneiden, und keine, die man so aus dem Aermel schüttelt. Ich hab’ es versucht, wahrhaftig, ich hab’ es versucht, und es ist mir schlecht bekommen. Es war der complicirteste Treppenbau geworden, den man sich vorstellen kann, denn außer den Hauptstufen gab es noch die verzwicktesten Nebenstufen von einer zur andern. Man konnte auch an Cascaden dabei denken, in denen ein Bergwasser über Steingerölle herunter purzelt. Was war zu thun? Mein armer Bruder mußte zum „Künstler“, und dieser schor ihn bürstenkahl, denn der „Schnitt war gänzlich verhunzt “. Erst wieder wachsen, und dann Façon hinein bringen.

Kein Zweifel, es ist eine Kunst. Man muß die Technik weghaben, und man muß ein Ideal haben, das man verwirklicht. Die einfachste Technik besteht darin, daß man dem Opfer eine Mütze aufsetzt und rund um den Rand alles kahl schneidet. Etwas genialer ist die eines berühmten Freundes, welcher seinen Lockenkopf in drei Theile theilt. Erst das Hinterhaupthaar zusammen genommen: erster Schnitt. Dann das Haar um das rechte Ohr: zweiter Schnitt. Nun um das linke: dritter Schnitt. Welch ein weiter Weg führt von diesen primitiven Verfahren zu jenen Höhen der Kunst, wie sie auf dem alljährlich in der Reichshauptstadt veranstalteten Wettschneiden mit vollendeter Sicherheit erstiegen werden!

In der That, wer daran denkt, wird sich von der Kunst des alten Herrn mit der Riesenbrille und der Zipfelmütze auf unserem Bilde nicht viel versprechen. Kürzer wird das Haar des Lockenkopfes, der sich zum Opfer seiner Scheere hingab; aber wie?

Ein verzweifeltes Gefühl, wenn die dumpfe Scheere oder die unsichere Hand da über unserem Haupte arbeitet und jeder Augenblick mit Raufen droht! Ein noch verzweifelteres, ja ein Martyrium, wenn es da zwickend in unserem Nacken herumgleitet. Zwick – zwack – jetzt eine Spur weiter, dann ging es in die Haut. O, jeder Nerv prickelt. Man hat ein Gefühl, als ob die Scheere auf einer ausgeprägten Gänsehaut herum führe.

Nun – was den Buben auf unserem Bilde betrifft, so ist anzunehmen, daß er ohne Blutvergießen wohl nicht davonkommen, und daß der Schmerz, den er mit zugekniffenem Auge erwartet, mit ziemlicher Sicherheit eintreffen wird, denn der alte Herr da wird wohl nicht so ganz genau die Spitzen seiner Scheere in der Gewalt haben.

Immerhin, solch eine Schramme heilt wohl bald, aber es ist leichter gesagt als gethan: „Still zu sein, wie ein Lamm vor seinem Scheerer.“

V. B. 


Alexander Jung. †. Der Veteranen des „Jungen Deutschland“ werden immer weniger. Unbarmherzig lichtet der Tod die Reihen der Männer, die einst mit der Begeisterung des Idealismus ihre liberalen Reformbestrebungen verfolgten. Nicht lange ist es her, daß man in Wien Heinrich Laube begrub, und bereits am 20. August folgte ihm im Tode Dr. Alexander Jung in Königsberg in Preußen in dem hohen Alter von sechsundachtzig Jahren. Er war 1799 zu Rastenburg in Ostpreußen geboren und trat in den vierziger Jahren als Schriftsteller auf literarhistorischem und socialem Gebiete hervor. Besonders beeinflußte er das damals in Königsberg erwachende politische Leben und vertrat als Redacteur des „Königsberger Literaturblattes“ den jungdeutschen Geist mit glühendem Eifer und glücklichem Erfolge. War er auch in den letzten Jahren dem literarischen Horizonte ein wenig entrückt und war seine Wirksamkeit ohne hervorragenderen Einfluß geblieben, so wird man doch seiner stets in Ehren gedenken müssen als eines jener selbstlosen Männer, die in dem geistigen Kämpfe um Freiheit und Aufklärung in erster Linie standen.*     




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_599.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)