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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Empfindungstiefe geradezu überwältigenden Gemälde „Die Austreibung der Zillerthaler“ (1877) in jeder Hinsicht festigte und unanfechtbar machte. Diese fünf Werke, die ja im Laufe der Jahre durch die mannigfachsten Reproductionen zum Gemeingut aller Gebildeten geworden sind, bilden in ihrer Gesammtheit die künstlerische Krystallisation all der Gedanken und Gefühle, welche sich für den Künstler während seines Lebens in der Heimath und bei seiner Liebe zu ihr und ihren Bewohnern theils aus persönlichen Erfahrungen, theils aus objectiver Beobachtung unwillkürlich ergeben mußten. Im Gegensatze zu tiefinnerlicher Gläubigkeit, zu hingebendem Vertrauen, aber auch zu erschreckender Armuth und bodenlosem Elend auf Seite des Volkes, schildert er in rücksichtslosen Strichen und ungeschminkten Farben das Pharisäerthum, die fanatische Intoleranz, die herzlose Selbstsucht einer gewissen Gattung von Priestern – und dennoch geht er bei aller Schärfe der Auffassung niemals, weder auf der einen, noch auf der andern Seite, über das künstlerische Maß hin aus. Auf all diese Gemälde sind dem Sinne nach in gleicher Weise die Worte anzuwenden, welche Fr. Pecht, der geistvolle Interpret des modernen Kunstlebens, seinerzeit über „Die Austreibung der Zillerthaler“ schrieb, anknüpfend an eine feinfühlige Schilderung dieses Bildes:

„Schmid’s Werk hat nicht im Entferntesten etwas Tendenziöses, es ist kein gemalter Leitartikel, sondern eine anscheinend ganz absichtslos und einfach, aber um so erschütternder wirkende Erzählung; diesen so schlagend wahr gegebenen Menschen fällt es nicht ein, sich etwa pathetisch zu geberden, ja man wird eher zu wenig als zu viel auf die Ursache hingeführt, die sie das Land ihrer Väter verlassen macht. Nichtsdestoweniger fühlt man die ganze Gluth des energischen Hasses heraus, die der Künstler gegen jene empfindet, welche sein schönes Vaterland zum letzten Hort der Unduldsamkeit machen.“

Mathias Schmid.

Nie hat er sich zu jener blinden Parteinahme verführen lassen, die auch das Gute zum Schlechten wirft. Von den Wölfen in Schafspelzen und ihrem zelotischen Gebahren wußte er sehr wohl die wahren Priester und ihr segenbringendes, von herzlicher Nächstenliebe getragenes Wirken zu scheiden. Die „Bettelmönche“ (1871), der „Ehrenschub“ (1875), die beiden Gegenstücke „Braut-Examen“ und „Geistliche Ermahnungen“ (1876), die „Klostersuppe“ (1878), der „Eingeseifte“ und „Vor der Sitzung“ (1882) – das alles sind Bilder, in denen Mathias Schmid diese Erkenntniß mehr oder minder ausgesprochen documentirt hat.

Das Volksleben an sich, losgetrennt von seinen behaglichen oder unbehaglichen Beziehungen zu den Männern im Talar und in der Kutte, hat der Künstler in drei Gemälden dargestellt, von denen jedes einzelne eine hauptsächliche Seite dieses Lebens charakterisirt und zugleich auch je eine von den drei Richtungen bezeichnet, nach welchen Mathias Schmid seine Wirkungen so voll und mächtig zu erzielen weiß.

Während sein jüngstes, reizvolles Gemälde „Blindekuhspiel“, dessen Holzschnittnachbildung unsere Leser Seite 604 und 605 finden, den Frohsinn einer lustigen Stunde malt, darin sich sorgloses Lachen mit spottendem Kichern mischt; während „Das Verlöbniß“ (1879) eine rührende Scene voll tiefinnerlicher und ergreifender Poesie vergegenwärtigt, die mit dem Ausblick auf Glück und Freude die Geschichte leidvoller Stunden erzählt, finden wir in dem dritten, „Rettung“ betitelten Gemälde, das bei Gelegenheit der letzten internationalen Ausstellung zu München so gerechtes Aufsehen erregte, einen Augenblick der erschütterndsten Tragik mit unvergleichlicher Meisterschaft zur Darstellung gebracht. Wie es in des Künstlers Macht steht, unsere Lippen zu fröhlichem Lachen zu zwingen, so greift er in unser Herz und rührt uns nach seinem Willen zu Thränen. Wahrlich, Wenige sind, die solch’ ein verschiedenes Können in sich vereinen!

Scheint nun auch in all diesen Worten das Leben und Wirken Schmid’s, wenigstens nach den hervorstechendsten Daten, halbwegs erschöpft – wie bliebe doch immer noch so Vieles zu sagen! Und wenn auch noch gesagt würde, wie auf seinen Bildern jeder Ton und jede Linie so treulich der Natur entspricht, wie bei aller Treue in Zeichnung und Farbe die Wahrheit dennoch unverbrüchlich mit der Schönheit Hand in Hand geht, wie jedes seiner Gebilde sich so harmonisch abgerundet in den Rahmen fügt, wie er jede Scene in ihrem glücklichsten, wirkungsvollsten Momente, in ihrer Culmination zu erfassen weiß und wie seine Technik ihre Vollendung darin sucht, daß sie niemals als Selbstzweck auftreten will, sondern stets als bescheiden sich unterordnendes, doch allen Forderungen genügendes Mittel zum schönen Zwecke – das alles blieben doch immer nur kühle, wenig bezeichnende Worte gegenüber dem genußreichen Gewinne, den sich der Beschauer solch eines Bildes durch die Augen in die Seele heimst.

Mathias Schmid steht gegenwärtig in der Vollkraft seiner Jahre wie seines künstlerischen Könnens – und so ist es mit Recht zu hoffen, daß aus dem traulichen, ziervollen Künstlerheime, das er sich und den Seinen zu München geschaffen, noch manch ein herrliches Werk in die Welt hinauspilgern wird, zur Mehrung seines Ruhmes und zur Freude seiner zahlreichen Freunde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_608.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)