Seite:Die Gartenlaube (1884) 611.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

stellte es sich heraus, daß es nicht immer möglich war, in den vorausbestimmten Zeiträumen die mitgenommenen Waaren abzusetzen, und da auch bei dem afrikanischen Geschäftsmann Zeit Geld bedeutet, so suchte man den Handel besser zu organisiren.

Ein großes Segel- oder auch ausrangirtes Kriegsschiff wurde auf dem Flusse fest verankert, gänzlich abgetakelt und in ein Lagerschiff verwandelt. Es verließ nicht mehr den Fluß, sondern seine Waarenvorräthe wurden durch Zufuhren anderer Schiffe ergänzt. Man nannte diese schwimmenden Magazine „Hulks“ (S. 609), und sie bildeten die ersten dauernden Handelsstationen auf den sogenannten „Oelflüssen“ von Westafrika. Auf dem Hinterdeck des Schiffes wurden Wohnungen für die weißen Angestellten, den Agenten und seine Gehülfen, eingerichtet, über das ganze Schiff wurde ein Dach anfangs aus Palmmatten, dann aus feuerfestem Zink gebaut, und ein Theil des Wohnraumes zu einem Laden umgestaltet. Zu diesen Hulks kamen nun die Eingeborenen in ihren Handelscanoes, die sechszig bis siebenzig Personen fassen können, brachten Fässer mit Palmöl und schlossen hier die Geschäfte ab. Mit der zunehmenden Entwickelung des Handels erwiesen sich aber selbst die größten Hulks als ungenügend, ihr Raum war zu eng, um eine zweckmäßige Aufstellung der Waaren zu ermöglichen, und so schritten die Handelsherren zur Errichtung neuer Stationen auf festem Lande.

König Bell mit einer seiner Frauen.

Es wurden also wirkliche Factoreien gebaut, zuerst in den Nebenplätzen, wie Bimbia, Brisso-Bell-Stadt, seit Kurzem aber auch in den Hauptplätzen des Kamerun-Gebietes, in Bell’s- und Aqua’s-Stadt. Den Mittelpunkt derselben bildete das aus Holz und verzinktem Eisenblech construirte Wohnhaus für die weißen Angestellten, welches zugleich im unteren Stock die Lagerräume für die werthvolleren Waaren enthält. An dieses schlossen sich dann weitere Gebäude, Speicher, Pulverhäuser u. dergl. m., deren Zahl sich mit dem zunehmenden Umfang des Geschäftes stetig vermehrte. Unsere Illustrationen zeigen uns die beiden wichtigsten Factoreien der Firma C. Woermann, die in König-Bell’s-Stadt und die in König-Aqua’s-Stadt am Kamerunflusse.

Bis auf den heutigen Tag hat sich auf dem Kamerun wie auf den übrigen Oelflüssen (Bonny, Benin, Old- und New-Calabar) der Tauschhandel in seiner ursprünglichsten Form erhalten. Hier existirt, wenn man so sagen darf, die reine Palmöl-Valuta, da das Geld noch ganz unbekannt ist. Bis vor wenigen Jahren konnte man dort mit einer Tasche voll Gold oder Silber landen, ohne die geringsten Lebensbedürfnisse erhandeln zu können. Mit einem Stücke Zeug, etwas Tabak oder einer Flasche Rum ist unendlich mehr zu erreichen, als mit baarem Gelde. Im Handel mit den Eingeborenen ist noch immer ein „Kru“ der Einheitswerth. Es bedeutet ein gewisses, an jedem Platze jedoch verschiedenes Quantum Palmöl. In Kamerun z. B. faßt ein Kru etwa 42 Kilogramm. Von einem jeden Handelsartikel, welcher von den Europäern zum Verkauf gebracht wird, wird nun der Werth in Krus festgestellt, so gilt z. B. 1 Kiste Gewehre 10 Krus, 2 Faß Pulver 1 Kru etc.

Bringt nun ein eingeborener Händler einen größeren Posten Producte, z. B. 10 bis 20 Fässer Palmöl oder einige Elfenbeinzähne, so wird zuerst der Werth derselben in Krus festgestellt. Fordert der Verkäufer dafür etwa 200 Krus, so bietet ihm der Europäer nur 150 an, bis eine Einigung erzielt ist. Ist nun die Zahl der Krus festgestellt, so gestaltet sich die Zahlung sehr einfach, indem der Neger sich von dem Lager des Europäers die ihm passend dünkenden Waaren zu den festen vorher vereinbarten Preisen aussucht. Beim Abschlusse eines jeden etwas größeren Geschäftes beansprucht der Neger noch ein „dash“, Geschenk, welches man gewissermaßen ein Draufgeld oder auch einen Rabatt oder Decort nennen kann.[1]

Woermann’sche Factorei in König-Bell’s Stadt.

Der Handel im Kamerungebiete wird wesentlich durch den Charakter der eingeborenen Neger unterstützt. Ein freier Dualla-Neger hält es für schimpflich, irgend eine Feldarbeit zu verrichten, er überläßt die Sorge dafür seinen Weibern und Sclaven, die allerdings kaum so viel Yams und Bananen pflanzen, als sie gerade zur Nahrung brauchen. Der freie Neger selbst sucht nur Handel zu treiben. So kommt es auch, daß die mächtigsten Neger, die Häuptlinge oder „Könige“ der einzelnen Dörfer, zugleich die angesehensten Geschäftsleute sind. Mit großer Eifersucht suchen sie den größten Theil des Handels an sich zu reißen und treiben ihn nicht allein an der Küste mit den Weißen, sondern auch mit den tief im Innern des Landes wohnenden Stämmen. Ja, diesen letzteren Zweig desselben betrachten sie als ihr ausschließliches Recht und gestatten den Europäern nicht, mit ihren Waaren stromaufwärts zu segeln.

Um die „Macht“ dieser Könige kennen zu lernen, wollen wir hier mittheilen, daß unter dem Namen Kamerun etwa zwölf an dem linken Ufer des gleichnamigen Flusses liegende Negerdörfer zu verstehen sind, die gegen 10,000 Einwohner zählen. Diese einzelnen


  1. Vergl. A. Woermann. „Ueber Tauschhandel in Afrika“. Vortrag, gehalten in der Geographischen Gesellschaft in Hamburg.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_611.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)