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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Schaf mit dem Fettschwanz, sodaß sich die Heerden in wahrhaft erstaunlicher Weise vermehren.

Freilich geschieht auch wenig, ihre Zahl zu mindern. Weder die schwarzbraunen Herero, noch die südlicher wohnenden gelben Namaqua-Hottentotten sind Fleischesser. Sie denken nicht daran, eines ihrer geliebten Thiere für den eigenen Bedarf zu schlachten, denn sie leben nur von deren Milch, aber sie haben nichts dagegen, ein oder das andere Stück an die europäischen Händler zu verkaufen, welche das Land mit ihren jetzt schon unentbehrlich gewordenen Waarell durchziehen.

Ursprünglich kannten die nomadisirenden Völker dieser Striche keine andere bewegende Kraft als die ihrer eigenen Füße, wenn sie die abgeweideten Triften mit neuen Weidegründen vertauschten. Die kärgliche Habe lud man auf die Schultern der Weiber, auch auf den Rücken zahmer Thiere, und marschirte so geduldig hinter der davonziehenden Heerde. Bald aber fand man, daß das gutgeartete Rind sich sehr wohl zum Träger des Menschen eignet, und wie man nach Buchner nördlich vom Cunene jeden einigermaßen wohlhabenden Mann europäischer, schwarzer oder gemischter Rasse im Besitz eines Boi cavallo, eines Pferde-Ochsen, das heißt Reitochsen antrifft, so ist auch bei den Namaqua und Damara der Ochs das beliebte Reitthier geworden, wenn freilich auch nicht in so ausschließlicher Weise wie im Norden. Denn hier gedeiht das Pferd vortrefflich bei dem nahrhaften Toagras der Steppen; wurde doch Hermann Vogelsang, der Bevollmächtigte von Lüderitz, bei seinem ersten Besuch der Missionsstation Bethanien durch den Anblick einer 200 Stück zählenden Roßheerde überrascht.

Bald aber lernte man den Rinderreichthum auch in anderer Weise verwerthen. Die Kunst des Wagenlenkers war den Namaqua sowohl als den Damara ursprünglich völlig unbekannt, für ihre eigenen äußerst mäßigen Bedürfnisse genügten die oben beschriebenen Transportmittel. Eine für die wirthschaftliche Entwickelung des Landes hochwichtige Entdeckung brachte neue Bedürfnisse im Gefolge.

Auf die reichen Metalllager ihrer Berge hatten die Eingebornen nie geachtet. Eisenerze finden sich in großer Menge, selbst aus den Felsen der Küste lassen sich Stückchen von fast völliger Reinheit herausschälen. Doch bezog man das Metall von Norden her, von den als Schmieden geschickten Ovambo, denn eiserne Spangen an Armen und Beinen, sowie kartoffelgroße Eisenperlen waren gesuchter Schmuck der reichen Hererodamen, welche unter der Last von mehr als 30 Pfund schweren Zierrathen zu dem langsamen Gange gezwungen werden, der in Damaraland als Kennzeichen vornehmer Geburt gilt. Doch den Europäer konnten Eisenerze wenig reizen. Als aber umherziehende Händler zuerst in den nördlichsten Bergen des Damaralandes, dann auch weiter südlich ungeheure, fast offen zu Tage tretende Adern des reichsten Kupfererzes auffanden, fing man an, in der Capstadt aufmerksam zu werden.

In jungen Colonien kommt das Wagen immer zuerst, das Wägen folgt bald früher, bald später hinterdrein, – kein Wunder, wenn da manches eiligst begonnene Unternehmen zu leicht befunden wird. Hier ging anfangs alles recht glatt von statten, obschon man ohne weitere Prüfung der Mächtigkeit der Lager, der Wege, welche vom Meere zu ihnen führen könnten, der verfügbaren Transportmittel oder des erforderlichen Arbeitermaterials, kurz alles dessen, was sonst zum Gelingen eines solchen Unternehmens für nöthig erachtet wird, sofort mitten in die Action trat. War auch eine Reise mit den schwerfälligen Wagen aus dem Inneren über die wasserlose Steppe nach der Walfischbai wenigstens für die 16 bis 18 Zugochsen eine Fahrt auf Leben und Tod, bezeichneten auch bald Hunderte von bleichenden Gerippen den Weg, gemacht wurde die Reise doch, denn die Erze waren überreich und die Beschaffung von Ochsen billig. Wenigstens für einige Zeit, bis die von Transvaal durch Händler eingeschleppte Lungenseuche dem Zugmaterial und damit dem Bergbaubetrieb ein jähes Ende bereitete.

Nach solcher Schilderung jenes südafrikanischen Gebietes erscheint sein Besitz kein übermäßig begehrenswerter. Allein wenn wir uns daran erinnern, daß gerade in den rauhesten Gegenden die Natur ihre werthvollsten Schätze birgt – wer denkt da nicht an das Goldland Colorado, an das salpeterreiche Atacama? – wenn wir ferner erwägen, wie durch künstliche Bewässerung in alter und neuer Zeit die dürren Steppen Asiens, Afrikas und Amerikas in fruchtbare Gefilde umgewandelt wurden, so werden wir zögern, vorschnell ein abschließendes Urtheil zu fällen. Brunnen mögen erbohrt, Fangdämme könne über tiefe Flußengen gezogen werden, so mag man das in die Tiefe gesunkene Wasser zur Oberfläche befördern, das sonst nutzlos im Sande verrinnende in seinem Laufe aufhalten und zu Bildungen von Teichen, vielleicht gar von kleinen Seen zwingen, um es dann durch wohlangelegtes Canalsystem auf die umliegenden Flächen zu leiten. Was schon jetzt durch Bewässerung erreicht werden kann, das hat man den Eingebornen auf der Missionsstation Bethanien gezeigt, wo die ein sanft aufsteigendes Ufergelände bedeckenden Gärten in geregelter Reihenfolge ihre Wasserbefruchtung empfangen und so recht gute Gemüse erzeugen. Aber auch sonst zeigt der nach genügenden Regengüssen überall lustig emporwuchernde Pflanzenwuchs, daß der Boden reichlich und willig erzeugt, sofern ihm nur die befruchtende Feuchtigkeit zugeführt wird.

Freilich wird es noch viel Zeit und Geduld erfordern, ehe man die Eingebornen zu solcher bisher ungewohnter Thätigkeit heranziehen kann, aber schon in nächster Zeit soll dieser Versuch gemacht werden, seitdem ein unternehmender deutscher Mann hier frei von aller fremden Oberherrlichkeit 900 Quadratmeilen Landes erwarb, über dem heute die schwarz-weiß-rothe Flagge weht.

Das Bremer Handelshaus F. A. E. Lüderitz ist schon seit längerer Zeit im afrikanischen Handel thätig, seine Handelsniederlassung in Lagos ist nicht neueren Datums, auch war ihm das südafrikanische Gebiet sehr wohl bekannt, ehe sein Chef beschloß, hier an Culturversuche heranzutreten, welche von weittragender Bedeutung sein können. Die verfehlten Unternehmungen britischer Ansiedler, die zusammengebrochenen Operationen der Rheinischen Missionsgesellschaft schreckten ihn keineswegs ab, denn er wußte, daß nur Mißwirthschaft, wenn nicht Schlimmeres, das Gelingen vereitelt hatte. Er kannte auch die Wüstennatur des Landes sehr wohl und er lernte sie durch einen längeren Besuch noch besser kennen, und dennoch erwarb er den dürren, fast wasserlosen Küstenstrich, welchen die See im Westen, der Rand des Hochlandes im Osten begrenzt. Was war es nun, das den deutschen Kaufmann zu solchem Unternehmen bestimmte?

Wer sich den Handel mit dem Innern sichern will, der muß Herr der Küste sein. Der werthvollste Hafen an dieser Küste, soweit wir sie kennen, ist neben der leider britisch gewordenen nördlicheren Walfischbai ohne Zweifel die Angra Pequena, die kleine Bai. Und sie ist nach den Vermessungen des deutschen Kanonenbootes „Nautilus“ sogar weit besser als jene. Während die nach Süden sich verlängernde Bai durch eine breite Landzunge geschützt wird, brechen weiter nördlich drei vorgelagerte Felsinseln den hier mächtigen Schwall des Atlantischen Oceans und sichern den geräumigen Ankergrund. Wie die Inseln, so ist auch die Küste von vulcanischem Gestein durchbrochen, hier, wo die trockene Atmosphäre kaum eine Wirkung ausübt, rauh und kahl, kaum daß in tiefen geschützten Spalten spärliche Büsche sich bergen. Auf dem höchsten derselben, der Nautilusspitze erhebt sich ein von Lüderitz errichtetes hohes Holzkreuz, ein Wegweiser für den zum Laude steuernden Schiffer. Am Fuß des zu 150 Meter emporsteigenden Hügels und umrahmt von anderen, gleich unwirthlichen Höhen ist die Bremer Factorei errichtet worden, zwei hölzerne, mit Wellblech bedeckte Häuser, ein Vorraths- und Lagerhaus und ein bescheidenes Wohnhaus von drei Zimmern. Ueber beiden weht an hohem Mast die schwarz-weiß-rothe Flagge. Ein großes eisernes Wohnhaus soll in nächster Zeit errichtet werden. Nicht weit davon haben Hottentotten ihre Kraale aufgeschlagen, sie machen sich als Arbeiter nützlich, namentlich sammeln sie das hier reichlich von der See angeschwemmte Treibholz, eine willkommene Gabe in dieser vegetationslosen Gegend, die auch völlig unbewohnbar wäre, brächte man nicht per Schiff von der Capstadt das unentbehrliche Trinkwasser in Tonnen herbei. Das ist der anspruchslose Keim dieser ersten deutschen Niederlassung unter Reichsschutz.

Angra Pequena ist das Thor, welches auf reichlich mit Quellen besetzten Straße zum Inneren führt. Schon weiden auf den Gründen des Bremer Kaufmanns schnell anwachsende Herden und an mehr als einer Stelle hat eine vorerst nur oberflächliche Untersuchung das Vorkommen von Kupfer, Eisen, Gold und Silber nachgewiesen. So erscheinen also Viehzucht und Bergbau als aussichtsvolle Unternehmungen, sobald die Frage der Verfrachtung gelöst ist, was nach allen Berichten nicht schwer fallen dürfte.

Angra Pequena wäre auch sicherlich kein übler Platz für eine Fischereistation. An dieser Küste wimmelt das Meer von Fischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_615.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)