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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

aller Art. Darum ziehen auch beständig ungezählte Vögelschaaren ihre Schatten, über die Meeresfläche, wenn sie, nach Beute spähend, über den Wellen schweben, oder bedecken die kahlen Felsen des Strandes mit regimenterweise dasitzenden Trupps, wenn sie von ihrer Arbeit ausruhen. Daher auch der massenhaft auf den vorliegenden Strandinseln aufgehäufte Guano, den hier keine Regengüsse seiner werthvollen Eigenschaften zu berauben vermochten. Schon längst werden diese Lager von Kaufleuten in der Capstadt ausgebeutet, die jetzt wohl ungern ihre Operationen einstellen mögen, suchte doch selbst die britische Regierung das Besitzrecht der elf der Küste vorgelagerten Inseln zu retten. Doch erwiesen sich die vom Gouverneur hierfür erbrachten Gründe ebenso fadenscheinig wie die Behauptung eines schlau sein wollenden Capstädters, welcher die ganze Küste von Angras Juntas bis Angra Pequena als sein Eigenthum reclamirte. Allein die vorgebrachten Documente wurden schnell als völlig werthlos erkannt, schon darum, weil sie in englischer Sprache abgefaßt waren, die der Hottentotte, welcher neben seiner eigenen nur holländisch, jetzt auch etwas deutsch spricht, zu verstehen gar nicht im Stande ist. Es ist daher dem liebenswürdigen Anerbieten des Engländers, seine Ansprüche gegen eine runde Summe abzutreten, keine Beachtung geschenkt worden. Auch durch eine Erklärung des Colonialsecretärs, wonach England, die Rechte der „wilden“ Bewohner nicht anerkennend, die Angra Pequena-Bai schon vor Jahren annectirt habe, ließ sich Herr Lüderitz nicht irre machen. Denn wilde Bewohner fand er nirgends, wohl aber solche, die schon seit etwa vierzig Jahren durch die Rheinische Mission wenigstens in die Anfangsstadien der Cultur eingeführt waren und ein sehr klares Verständniß für die Wichtigkeit einer Landabtretung zeigten. Aus dem Archiv von Bethanien ging deutlich genug hervor, was jene Abmachungen der capischen Firma besagen wollten und daß dieselben durch den nun zwischen Lüderitz einerseits und dem Häuptling Joseph Fredericks und seinem Rath andererseits eingegangenen Vertrag null und nichtig wurden. Freilich der von England reclamirte Theil erscheint gar nicht so werthlos, hat doch schon vor längerer Zeit die Firma de Paß, Spence u. Comp. unweit Angra Pequena eim Silberbergwerk bearbeiten lassen.

Wohnhaus mit Lagerraum in der Factorei Kamerun.

Man war in Berlin auf’s Gewissenhafteste bemüht, den wahren Besitzstand festzustellen , auch zielten die ersten Anfragen in London zunächst nur darauf hin, sich zu versichern, ob britische, uns unbekannte Rechte auf Angra Pequena beständen. Mit auffälliger Vernachlässigung blieben diese Anfragen acht Monate lang unbeantwortet. Da aber wies der Reichskanzler den deutschen Consul in der Capstadt telegraphisch an, der dortigen Regierung zu erklären, daß die Ansiedelung der Firma Lüderitz unter dem Schutze des deutschen Reiches stehe. Am 7. August hat diese Erklärung ihre feierliche Bestätigung gefunden, indem die Corvette „Leipzig“ an der Bucht von Angra Pequena die deutsche Reichsflagge aufhißte. Damit ist die Besitzergreifung unsererseits zum vollen Abschlusse gekommen.

Ueber den wirthschaftlichen Werth der Lüderitz’schen Besitzung heut ein Urtheil zu fällen, wäre verfrüht. Das hieße sich eine Kenntniß anmaßen, welche zu erwerben der Unternehmer selbst erst jetzt Vorbereitungen trifft. Eine sorgfältig ausgerüstete Expedition wird zuerst die ganze Küste vom Oranjefluß bis zur Nordgrenze der Besitzung untersuchen. Dann wird man sich mit der Mineralogie des Landes beschäftigen und diese Untersuchungen auch auf das Hinterland ausdehnen, das den Namaqua bleibt, die, verarmt und träge, gern jede Unternehmung fördern werden, welche ihnen den Absatz ihrer Heerden und somit mühelosen Verdienst bringt. Solche Voruntersuchungen aber erfordern Zeit, sie erst können lehren, welchen Gewinn Deutschland von seiner ersten Colonie erhoffen darf. Mögen die Resultate allen Erwartungen ihres thatkräftigen Unternehmers entsprechen und, indem sie den wackeren Pionier deutscher Colonisation recht reichlich lohnen, ihren Theil auch zur Lösung der Frage beitragen, welche heut als eine der ersten unser Volk bewegt!

Dr. E. Jung.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_616.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)