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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

voller Erdenkraft aufgewachsen, stets diese Reinheit und Kraft bewahrt, mehrt und betätigt; ihm nur kann die höchste Herrlichkeit dieser Welt zu Theil werden. Voll Hoffnung und Vertrauen schaute ich mich in früheren Zeiten um; stets wurde ich in meinen Erwartungen getäuscht. Nun habe ich schmerzdurchzittert auch in diesem Jahrhunderte vergebens gesucht; o, möchte ich endlich finden, wonach ich mit grenzenloser Sehnsucht ringe!“

Er hatte die Arme wie in Verzückung der Sonne entgegen gebreitet, ließ sie jetzt sinken und verhüllte sein Angesicht; des Zuhörers schien er vergessen zu haben.

Karl August stand verstummt. Der Gedanke: entweder ein Verrückter oder - ein unbegreifliches Wunder! drängte sich ihm auf. Es lag etwas so imponirend Ernstes, fast Erhabenes im ganzen Wesen des Mannes, daß der Herzog in die Landschaft hinaussehen, ja seinen Auerhahn betrachten mußte, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume, um in die Gegenwart zurück zu kehren. Endlich brach er das Schweigen und sagte, auf die Idee des Anderen eingehend:

„Aber, Verehrtester, wie alt sind Sie denn, wenn Sie seit Jahrhunderten Ihre Art Jagd betreiben?“

Graf Saint Germain ließ die Hände herab fallen, schien wie aus einem Traume zu sich zu kommen und lächelte wehmütig.

„So alt wie diese Berge. Ein weiteres Gedankenfeld bietet sich Ihrem Geiste doch nicht. Fürchte ich zu erschlaffen, so trinke ich von meinem Lebenselixir, von dem ich meinen Auserwählten auch mittheilen kann.“

Ein lauernder Blick streifte den jungen Fürsten, ob derselbe auf die aufgeworfene Glanzfliege stoßen werde.

Der Herzog lachte aber in harmlosen Leichtsinne und sagte munter:

„Was tue ich mit Lebenselixiren? Ich habe Leben genug!“ Und wie zur Bestätigung atmete er hoch und kräftig auf und dehnte die starken jungen Glieder.

Der Graf verschränkte die Arme und sprach würdevoll:

„Wenn Eure Durchlaucht die Redlichkeit meiner Gesinnung, meine weitreichenden Kräfte prüfen wollen, bevor ich Vertrauen finden soll, so bin ich bereit, irgend ein besonderes Verlangen Ihres Herzens zu erfüllen.“

„Potz Blitz! ein kühnes Verspreches!“

„Ich bitte also zu begehren. Wollen Sie meinen einstigen Freund, Friedrich Barbarossa, mit mir im Kyffhäuser besuchen?“

„Wüßte nicht, welchen Spaß ich davon hätte, des alten Herrn Bekanntschaft zu machen!“

„Oder wollen Sie vielleicht drüben ins Innere des Hörselberges eintreten, um Frau Venus, das schöne Götterweib, zu sehen?“

Die Augen des jungen Fürsten funkelten.

„Da würde ich dem sehr verliebten Herrn Tanhäuser in die Quere kommen,“ scherzte er.

„Der Tanhäuser hat ausgeliebt und ausgebüßt,“ erwiderte der Graf feierlich und zuversichtlich. „Längst wandelt er in neuen Sendungen durch das Leben; das Götterweib aber ist unvergänglich in seinem außerirdischen Liebreiz und in der Kraft, das höchste Liebesentzücken zu spenden!“

Unter der gesenkten Wimper hervor blinzelte ein Seitenblick über die offnen, frischen Züge des Herzogs, um den Eindruck der eben gesprochenen Worte zu erspähen. Sie blieben nicht ohne Wirkung.

„So eine schöne Frau Venus wäre mir recht,“ schmunzelte der Herzog. „Aber wie ist’s mit dem getreuen Eckart, der warnend aus einem Felsen dem Bergeseingang gegenüber sitzen soll?“

„Wenn ich Eure Durchlaucht führe, bedarf es keines andern treuen Eckart.“

„Na aber, mein Bester, wenn ich der schonen Frau Venus ansichtig werde, lassen Sie gütigst meinen Rockschoß los und gestatten mir eine nähere Bekanntschaft der Huldin!“ lachte Karl August mit neckischem Augenzwinkern.

„Das würde schon die Erfüllung eines zweiten Wunsches sein, welchen ich vielleicht später gewähre.“

„Bitte aber ernstlich, mich nicht mit Malereien, Wachsfiguren und solchem Lirum Larum anführen zu wollen. Dergleichen giebt’s in Weimar mehr als genug. Können Sie ein frischen schönes Weib, von solchem Fleisch und Bein wie ich selber bin, mir drüben im Berge - na meinetwegen auch erst nur zeigen! - so gehe ich mit und wär’s zur Hölle. Tapfer mache ich allen Hokus-Pokus durch, ohne den solcher Witz nicht abgehen wird. Ich glaube aber, ich bin hier herum besser orientirt als Sie, und da will ich Ihnen nur sagen, daß das sogenannte Hörselloch, durch welches man in den Zauberberg gelangen soll, eine ganz enge Spalte ist, die nicht weit führt. Wie das wilde Heer, das drinnen sein Tagesquartier hat, sich herauswürgt - vermutlich drücken spukhafte Schemen sich dünner zusammen als Unsereiner - werden Sie bei Ihren übernatürlichen Kenntnissen besser wissen als ich.“

„Allerdings,“ entgegnete der wunderbare Fremde mit sicherer Gelassenheit. „Das sind mir vollständig bekannte Dinge. Wir kommen also dahin überein, daß ich als Beweis meiner Glaubwürdigkeit Eure Durchlaucht beim nächsten Vollmond in den Hörselberg führe und Ihnen Frau Venus vorläufig zeige?“

„Sie wollten wirklich Ernst mit der Geschichte machen?“ rief Karl August staunend.

„Buchstäblicher Ernst! Zum Vollmond - in acht Tagen - wird der Herr Landgraf Adolf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld seine Jagdeinladung wiederholen; ich bitte dieselbe anzunehmen, und werde mich auch einfinden, um mein Versprechen einzulösen.“

„Aber von Barchfeld bis hierher ist doch ein weiter Ritt, ich kann Sie ja hier treffen.“

„Durchlaucht vergessen, daß Entfernungen für mich kaum existiren, wenigstens niemals hinderlich sind.“

„Und ich soll Ihre Flugpartie mitmachen?“

„Ja; soweit es einem sterblichen Wesen, geführt von höherer Geistesincarnation, möglich ist.“

Der Herzog schüttelte den Kopf dazu, rief aber sehr vergnügt: „Ein famoses Abenteuer, welches Sie mir da in Aussicht stellen; na, man zu! Ich bin nie ein Kostverächter, wenn es flotte Späßchen giebt! Nun lassen Sie mich aber mal sehen, wie Sie abstreichen; müssen einen närrischen Vogel geben!“

„Dies ist irdischen Augen verborgen!“ sagte der Wundermann gravitätisch. „Und da kommen, wie mir scheint, die Jagdgefährten Eurer Durchlaucht, denen ich nicht zu begegnen wünsche.“

Er verneigte sich mit edlem Anstande und trat einen Schritt zurück.

Der Herzog konnte nicht umhin, sich den Nahenden: Wedel, Stein und einigen Jägern, zuzuwenden, die ihn freudig anriefen und, des erlegten Auerhahns ansichtig werdend, darauf hinwiesen, winkten und seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Währenddessen verschwand Graf Saint Germain in demselben Gebüsch, aus welchem er aufgetaucht war.

Die Zweige theilend eilte er auf einen Punkt zu, wo ein großer, dunkler Mantel, wohl versteckt unter trocknen Blättern, im Dickicht lag. Er warf denselben rasch über, fuhr in hohe Stiefel, verbarg Schnallenschuhe und Federhut in den Seitentaschen, stülpte sich eine unscheinbare Kapuze über, schritt in entgegengesetzter Richtung von den herüberschallenden, sich jetzt entfernenden Stimmen der Männer davon und murmelte vor sich hin:

„So der Mensch Wünsche, Leidenschaften hat, bietet er Handhaben genug ihn zu gängeln!“

Die Begegnung mit dem wunderbaren Mann beschäftigte den Herzog lebhaft. Noch zu jung, um den vertockenden Worten des Grafen innerlich einen festen Widerstand entgegensetzen zu können, war er eben jetzt, suchend und leer, sehr geneigt der abenteuerdurstigen Seele Genüge zu verschaffen, wo und wie es sein mochte. Man hätte keinen günstigeren Augenblick finden können auf ihn einzuwirken, als in dieser Zeit.

Die Tiefe des empfangenen Eindrucks betätigte sich - ganz gegen seine sonstige Gewohnheit - vorläufig in einem vorsichtigen Schweigen über seine interessante Begegnung.

Er sprach kein Wort über den Grafen gegen Wedel und Stein, war aber an den folgenden Jagdtagen und auf der Rückreise nach Weimar so schweigsam und zerstreut, innerlich so voll Ungeduld und Spannung, daß die volle Unbefangenheit seiner Jagdgenossen dazu gehörte, seine veränderte Stimmung nicht zu bemerken.

Fortsetzung folgt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_619.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)