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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Interessen einzugehen als Ihr jungen Dinger, die Ihr immer Ritterdienste verlangt und dafür nichts seid als jung. Das ist wenig mit Liebe. Uebrigens habt Ihr Mädchen Euch nicht die Herren auszuwählen, die Euch gefallen, sondern abzuwarten, bis Ihr gewählt werdet. Das kannst Du Dir so gut hinter die Ohren schreiben wie der Goldfisch, den die ‚deutsche Fahne‘ ausführt. Sie saßen heute zusammen höllisch auf dem Trocknen. Am wenigsten läßt ein Bartenstein sich erobern. Das ist ein ganzer Mann. Und ich freue mich, daß dieser schneidige Officier als Einschub in unser Regiment gekommen ist. – So, nun geh in’s Bett, Kleine, und schlafe aus. Für heute hast Du Dummheiten genug gemacht.“

„Ja, damit stimme ich ganz überein,“ seufzte seine Gattin, während sie in die dämmerigen Promenadenwege hinausschritten.

Bartenstein ging allein nach Hause.

Der weiche Westwind trug den herben Duft vom Eichenwald in die engen Straßen; über den steilen Dächern spannte sich der Sternenhimmel aus. Das Leben der Stadt verstummte allmählich. Nur aus dem Keller, wo die Rhenanen einen Commers hielten, schallte: „Deutschlands Söhne, laut ertöne Euer Vaterlandsgesang!“ und von der Straße, in der der Oberst wohnte, klang der Schritt der ablösenden Wache herüber und das Commando; „Achtung!“

Als er am Universitätsplatz angelangt war, machte er Halt vor einem Hause, das dem Standbild des Kurfürsten gegenüber lag. Im Schein der einzeln brennenden Gaslaternen glänzte der goldene Name Clusius auf der Gedenktafel und das Kreuzchen, das seinen Todestag bezeichnete. Breite Steinstufen führten zu der Hausthür empor, an welcher ein blitzender Klopfer in Gestalt des dreiköpfigen Cerberus hing. Die Fenster im Parterre waren mit zierlichen Eisengittern verwahrt, alle aber erschienen mit ihren gleichförmig niedergelassenen Rouleaux wie streng geschlossene Augen. Kein Lichtschein schimmerte an der ganzen Fronte.

„Sie scheint mit den Hühnern in’s Bett zu gehen,“ murmelte Bartenstein vor sich hin, während er an dem Haus entlang schritt bis zur Ecke, die es bildete. In der Seitenstraße, die hier hinabführte, dämmerte Lichtschein. Er bog hinein und stand vor dem Hofthor des alten Hauses, dessen Steinpfeiler mit großen Kugeln gekrönt und dessen Flügel mit eisernen Stacheln bewehrt waren. „Wie eine Festung,“ murmelte Bartenstein. Aber an das Thor schloß sich eine Mauer, über die er bei seiner schlanken Höhe hinweg sehen konnte. Aus den Parterrefenstern des Seitenflügels, der sich in den Garten hinein zog, kam der Lichtschein. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, kein Eisengitter versperrte die Fenster.

„Echt kleinstaatlich und kleinstädtisch,“ dachte Bartenstein. „Vorn bis an die Zähne bewaffnet und befestigt und an der Rückseite Alles offen.“

Eine Dame glitt mit einer Leuchte in der Hand durch das Zimmer. Nein, sie ging nicht mit den Hühnern in’s Bett. Sie war noch ganz in Toilette.

Es kämpfte etwas in ihm. Er zögerte einen Augenblick; dann flüsterte er ungeduldig, als weise er einen Einwurf zurück: „Ach, was da!“ Noch einmal sah er sich rasch um. Im nächsten Augenblick sprang er geräuschlos über die Mauer hinweg.

Drüben blieb er stehen und recognoscirte mit scharfem Blick das Terrain. Er befand sich in einem kleinen fremdartig eingerichteten Garten. Bäumchen in Kübeln faßten symmetrisch vertheilt einen weiten glatten Kiesplatz ein. In seiner Mitte plätscherte ein Brunnen ebenfalls von Bäumen umgeben. Ein Streiflicht, das aus den erleuchtetem Fenstern fiel, zeigte ihr falbes Laub; aber es waren keine Weiden, sondern Oelbäune, wie er sie im südlichen Frankreich gesehen hatte. Sie überwölbten steinerne Bänke mit sehr steilen Lehnen. Und es roch überall wie Orangenblüthen. Ein Fenster des Gartensaales ihm gegenüber war geöffnet.

Dort stand Ereme und hob eine kleine Lampe, deren Form an die Mondsichel erinnerte, hoch empor. Das Licht fiel hell auf ihr Antlitz. Es war einer Gruppe von Palmen zugewendet, hinter der sich eine Statue halb verbarg. Die junge Dame, die er heut Nachmittag so bleich im Kahn gesehen hatte, konnte also auch rothe Wangen haben, der herb herabgezogene Mund verstand reizend zu lächeln, die Augen, deren geringschätziger Eisesblick selbst in der Erinnerung ihn empörte, waren befähigt, etwas ihr Liebes innig anzustrahlen! Und sie hatte eine brillante Figur! Der erhobene Arm, von dem der weite Aermel eines mit bunter Stickerei umsäumten, betroddelten griechischen Jäckchens zurückgefallen war, zeigte eine schön gerundete Form, der Gürtel, in Gestalt einer Spange umschloß eine schlanke Taille, und der Fuß, auf dessen türkischen goldstrotzenden Pantöffelchen das Licht der Lampe blitzte, war fein und schmal. Eine solche Toilette für das Haus konnte man sich gefallen lassen. Das sah auch nicht so großartig aus wie der in stolzem Faltenwurfe umgeschlungene weiße Plaid, in dem er sie am Flusse erblickt hatte.

Aber wen stellte die verteufelte Figur dar, die sie so verliebt anschaute? Wenn doch die verdammte Lampe hell brennte! Freilich, was konnte man von einem Beleuchtungsapparat verlangen, der gewiß schon vor zwei Jahrtausenden gebraucht worden war! Das schien das einzig annehmbare Alter hier zu sein. Jetzt meinte er zu sehen, daß das Ding einen Helm auf dem Kopfe trug. War es einer der Helden des letzten Krieges? Was saß auf dem Helm? Ein Adler? Oder eine baierische Raupe? Himmelkreuzdonnerwetter!

War er laut geworden? Hatte er sich bewegt? Oder war ein Lüftchen durch das Fenster gefächelt? Das Lämpchen erlosch. Er hörte eine Thür sich schließen und zog sich wieder zurück.

(Fortsetzung folgt.)

Bilder von der Ostseeküste.

Ein Ausflug in’s Forstrevier Ibenhorst.0 Mit Illustrationen von Robert Aßmus.

Der nach Tilsit bestimmte Dampfer ließ am Bollwerke in Königsberg zum dritten Male die Glocke erschallen, die Dampfpfeife gellte, und schnell glitt er zwischen zahlreichen Fahrzeugen und Flößen munter den Pregel hinauf; bald war das alte Königsberg außer Sicht und immer stiller wurde es an den Ufern; wie herrlich frischte der Morgenwind auf, wie erquickte er Leib und Seele nach der wochenlangen Pein von 30° R. und dem ätzenden Staube der Residenz!

Nach mehrstündiger Fahrt war Forsthaus Ibenhorst erreicht, das heiß begehrte Ziel hoher und höchster Priester Dianens. Zum Verständnisse unserer Leser wollen wir zunächst erwähnen, daß auf dem preußischen Forstreviere Ibenhorst noch ein erheblicher Bestand an Elchwild vorhanden ist und gehegt wird, um dieses reckenhafte Wild vor seinem gänzlichen Untergange in Deutschland zu schützen, was es aus eigener Kraft nicht kann. Selbstverständlich steht auch der Abschuß der Hirsche unter strengster Controlle und wird als ein so erlesenes waidmännisches Vergnügen betrachtet, daß häufig die Prinzen des Berliner Hofes, in früherer Zeit auch König Wilhelm selbst, sich daran betheiligen, wie denn auch jüngst Prinz Wilhelm seinen fürstlichen Freund, den Kronprinzen Rudolf von Oesterreich, zu einer solchen Jagd für Mitte September eingeladen hat.

Das Elchwild, dessen historische Vergangenheit wir in Nr. 43 des Jahrg. 1881 geschildert, bietet eine interessante Parallele zu dem Alpensteinwild. Während im Südwesten von Mitteleuropa das letztere nur durch energischen Schutz von königlicher Hand vor der gänzlichen Ausrottung bewahrt werden kann, ist die Existenz des Elchwilds im Nordosten an dieselbe Bedingung geknüpft: entzieht nämlich der König von Italien den Steinböcken in den grajischen Alpen seinen Schutz, so werden sie ein ebenso baldiges Ende finden, wie die Elche in Ostpreußen, wenn der königliche Jagdherr ihnen sein Interesse versagt. Beide Wildarten erliegen der Cultur, dem Eigennutze des Menschen und unbezähmbarer Jagdlust,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_624.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)