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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

sind dieselben zahlreich unter den Opfergaben vertreten, die mit dem Sarge in die Grabkammer eingeschlossen und daselbst auf dem Fußboden in Thonnäpfen und Schalen von verschiedener Gestalt, in Körben und anderen Behältern niedergesetzt wurden. Auf diese Weise wurde bisher eine Menge von Früchten (Feigen und Sykomoren, Granatäpfel und Weintrauben, Pinienzapfen, Datteln, Dom- und Argunpalmfrüchte etc.) erhalten, ebenso Getreideproben von verschiedenen Arten Weizen[1] und Gerste, Breiklumpen von Hülsenfrüchten (Linsen) nebst einzelnen Körnern derselben (Saubohnen und Cajanbohnen) und Gerstenbrod, letzteres nach Art der altrömischen mola salsa als Opfer in Breiform auf Schalen dargereicht, aufgefunden, dazu Farben, Harze, Droguen und Arzneimittel der verschiedensten Art, die alle Licht verbreiten halfen über die Culturpflanzen des alten Aegyptens und die Handelsbeziehungen zwischen diesem Lande und den benachbarten Gebieten von Asien oder Europa. Die dem Todten mit in das Grab gegebenen Stücke von Hausgeräthen und anderen Erzeugnissen des alten Kunstfleißes liefern ein zahlreiches Beweismaterial für das Vorhandensein gewisser Arten Textilstoffe, die bei der Korbflechterei, bei Herstellung von Garn und Geweben, von Netzen und Stricken Verwendung fanden. Zahlreich sind auch die Holzarten, die sich an den hier aufgestellten Särgen, Truhen und Schachteln, an den Figuren, Stühlen, Kämmen, musikalischen Instrumenten, kurzum an den verschiedenartigsten Geräthschaften erkennen lassen.

Mumie mit den Blumengewinden restaurirt, in den äußeren Binden Lotusblumen.
Originalzeichnung von Prof. G. Schweinfurth.

Die interessantesten Zeugen der alten Flora sind indeß im Innern der intact bis auf unsere Tage erhalten gebliebenen Mumiensärge anzutreffen. Hier finden sich theils einzelne Blüthen des Lotus in den äußeren Binden des Mumienconvoluts steckend, theils ganze Sträuße und Bündel von Pflanzenzweigen zu Seiten der Mumie, zwischen dieser und der inneren Sargwandung eingezwängt. Bei anderen Mumien fanden sich Kränze, die in der Art zusammengesetzt und geflochten erscheinen, wie wir sie als Opfergaben auf den bildlichen Darstellungen der Alten angebracht finden. Am häufigsten ist jedoch der den Mumien zu Theil gewordene Blumenschmuck in Gestalt langer und vielverzweigter Gewinde angebracht. Diese bedecken die Brust in concentrischen Reihen vielfach über einander gelegt und scheinen am Nacken zusammen geknüpft worden zu sein. Mumien aus späterer Zeit, namentlich die aus der griechisch-römischen Epoche, sind schließlich durch einen Stirnkranz von Oellaub gekennzeichnet.

Diese Blatt- und Blumengewinde spielen unter dem Namen „Kranz der Rechtfertigung vor dem Richterstuhl des Osiris“ eine große Rolle im ägyptischen Todtenbuche, und Dr. W. Pleijte hat sie zum Gegenstande einer gelehrten Abhandlung gemacht, die in diesem Jahre zu Leyden im Druck erschien. Der Kranz der Rechtfertigung ward dem Verstorbenen beim Eingang in die Unterwelt im Westen zu Theil. Da stand ein Sykomorenbaum, und in ihm wohnte die Himmelsgöttin Nut, die den Todten tränkte, benetzte und vermittelst ihres Lebenssaftes zu neuem Sein erweckte.

Die eigenthümliche Zusammensetzung und Gestalt, durch welche die Mumienguirlanden gekennzeichnet sind, erfordern bei der wichtigen Rolle, die sie in der Symbolik der alten Aegypter spielten, eine eingehendere Beschreibung. Der knappe Spielraum, welcher zwischen Mumie und innerer Sargwandung übrig blieb, gestattete keine Unterbringung von Blumengewinden nach unserer Art. Dieselben mußten flach aufliegen und durften nicht dick ausfallen. Zu solchem Behufe wurden nur Blätter von lederartiger Textur genommen und der Quere nach zweimal gefaltet, sodaß je vier Blattspreiten über einander zu liegen kamen und kleine Päckchen hergestellt wurden, die gleich lang und breit waren. Man bevorzugte Blätter der ägyptischen Weide und solche von Mimusops, der Persea der alten Schriftsteller, die noch heute im tropischen Afrika ihre Heimath hat und vom Lande Punt (Somaliküste) bereits in alten Zeiten nach Aegypten eingeführt wurde, wo man sie in den Tempelgärten eigens anbaute, die aber in der nachrömischen Zeit aus dem Lande verschwand. Die beschriebenen Blattpäckchen wurden auf Streifen zerrissener Dattelpalmblätter an einander gereiht und dienten als Agraffe für kleine Blüthen, wie z. B. von Nilakazien, Saflor und Sesbania, vom orientalischen Rittersporn, von Ackermohn, Kornblumen u. dergl., oder für Blumenblätter, die aus dem weißen und blauen Lotus, den Teichrosen des Nils und anderen für den Zweck zu umfangreichen Blüthen herausgerissen waren, indem letztere von den gefalteten Blättern klammerartig festgehalten wurden. Wenn die Blätter zu groß waren, wurden dieselben der Länge nach in zwei Stücke gerissen, die Hälften für sich gefaltet und zur Einfügung der Blüthen und Blüthentheile wie die ganzen verwandt. Feine Dattelblattstreifen, der Länge nach durch die ganze Reihe als Naht verlaufend, befestigten zum Schluß das ganze flachaufliegende Gewinde.

Diese altägyptischen Blumengewinde erinnern in der Art, wie sie zusammengesetzt und auf der Brust der mit ihnen zu schmückenden Mumie angeordnet erscheinen, an manchen Metallschmuck, der sich in verschiedenen Ländern des Orients bis auf den heutigen Tag erhalten hat, indem die zungenförmig herabhängenden Lotusblätter die Stelle von Fransen, Grelots, Klöppeln, Glöckchen, Kölbchen und ähnlichen Anhängseln einnehmen, welche an solchen Zierketten angebracht zu sein pflegen.

Der symbolischen Richtung entsprechend, die sich bei allen mit dem Todtencult der alten Aegypter zusammenhängenden Gebräuchen kund giebt, begnügte man sich bei den Mumien der Mittelclassen oft mit einer bildlichen Darstellung der erwähnten Gewinde. Da sieht man sie in greller Farbenpracht auf die starklackirten Särge gemalt. Wirklicher Blumenschmuck fand sich bis jetzt nur an den Mumien der vornehmsten Personen, zumeist solcher von königlichem Geblüt.

Die Zierlichkeit und Anmuth der ägyptischen Blumengewinde ist von mehreren Schriftstellern des classischen Alterthums gerühmt worden. Plinius gedenkt ihrer und Athenäus, der selbst in Aegypten geboren, erwähnt in seinen Tischgesprächen die aus blauen Lotusblumen zusammengesetzten Gewinde. Von Agesilaus, dem Spartanerkönige, erzählt Plutarch, daß bei seinem Besuche Aegyptens diese Guirlanden ihn dermaßen entzückten, daß er davon etliche mit nach Hause nahm.

Was nun den Zustand der Erhaltung anlangt, den die verschiedenen Pflanzentheile, aus denen die Gewinde bestehen, zu erkennen geben, so hat die Zeit, dank ihrer Absperrung von der äußeren Luft, in den dichtverschlossenen Mumienkästen und in den tiefen Felsenstollen der Gräber, wo eine constante Trockenheit und eine durch die mittlere Jahrestemperatur gebotene Gleichmäßigkeit der Spannungsverhältnisse jeden äußeren Luftwechsel unmerklich machen mußte, nur wenig über sie vermocht. Im Inneren unerbrochener Mumiensärge befinden sich diese Zeugen der altägyptischen Flora in keinem schlechteren Zustande, als solcher an Exemplaren


  1. An dieser Stelle muß auf’s Entschiedenste der irrthümlichen, leider aber sehr weitverbreiteten Vorstellung entgegengetreten werden, daß diese mehrtausendjährigen Weizenkörner jemals zum Keimen gebracht worden seien. Die Riesenhalme von sogenanntem Mumienweizen, die das Florentiner Museum aufbewahrt, verdanken ihre Entstehung einer groben Mystification des betreffenden Gärtners. Ist die äußere Gestalt vieler Pflanzentheile auch unverändert geblieben, so kann doch das Gleiche nicht von der chemischen Natur der sie zusammensetzenden Stoffe gesagt werden, und dieser Umstand schließt jede Möglichkeit aus, daß auch die Keimkraft der uralten Getreidekörner sich unverändert erhalten konnte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_629.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)