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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

aber vor Neugier, nach Tisch seinen Wirth im Vertrauen zu fragen, was von dem merkwürdigen Manne eigentlich zu halten sei.

Die ersehnte Stunde, sich ungestört über Saint Germain zu erkundigen, war jetzt endlich gekommen. Die Herren unterhielten sich zwanglos, wo und wie sie wollten.

Der Herzog gesellte sich seinem Wirthe. Er nahm den Arm des würdigen, etwas steifen Herrn und war froh, daß sich keiner der andern Gäste ihnen anschloß. Lebhaft sagte er, als sie mit einander eine Allee hinab gingen:

„Ich bitte Eure Liebden dringend, mir nähere Auskunft über den merkwürdigen Mann zu geben, der heute mit uns speiste, ich meine den Grafen Saint Germain!“

„Ah der!“ erwiderte der Landgraf und nahm die Thonpfeife aus den Zähnen; „ja, der ist merkwürdig genug.“

„Nun, in wie fern? Woher stammt er? Was ist er? Was hat’s auf sich mit seinem übernatürlichen Alter?“

Der Landgraf lächelte, blieb stehen, sah dem Andern fast erschrocken in die Augen und sprach mit gemächlicher Ruhe:

„Eure Liebden verlangen etwas viel und obendrein auf einmal. Ja, wer alle die Fragen beantworte könnte!“

„Nun General, so beantworten Sie wenigstens eine!“ rief der Herzog mit brennender Ungeduld.

„Welche, Mynheer?“

„Welche Sie wolle, bleibe wir bei dem Alter!“

„Darüber können wir Gewisses nicht sagen. Thatsache ist, daß der Graf Details weiß, die eigentlich nur Zeitgenossen in der Weise berichten können. Es ist in Kassel jetzt Mode, respectvoll seinen Angaben zu lauschen und sich über gar nichts mehr zu wundern. Der Graf ist kein Renommist, kein zudringlicher Schmarotzer; er ist ein Mann aus der guten Gesellschaft und für die gute Gesellschaft, den an sich zu fesseln Jeden erfreut. Wenn er auch bei dem Chef unseres Hauses, dem regierenden Landgrafen Friedrich dem Zweiten nicht sonderlich angeschrieben ist, derselbe nennt ihn einen Mucker und Moralisten so steht er doch mit viele bedeutenden Männern in naher Beziehung und übt einen unerklärlichen Eindruck auf andere. Mein Vetter, der Landgraf Karl von Hessen ist ihm sehr gewogen, sie treiben eifrig Freimaurerei und allerlei dunkle Künste mit einander; Lavater schickt ihm Auserwählte. Er kann mit verschiedenen Stimmen und aus verschiedene Entfernungen sprechen, schreibt jede Handschrift, die er einmal gesehen, täuschend nach, soll mit Geistern und übernatürliche Wesen verkehren welche auf seinen Ruf erscheinen, ist Arzt und Geognost und besitzt, wie versichert wird, ein untrügliches Mittel, das Leben zu verlängern. Gründe genug, den Mann anzustaunen.“

Mit äußerster Spannung hatte der Herzog alle diese Mittheilungen von den Lippen des bedächtig redenden Landgrafen vernommen. In der That hätte Saint Germain den neuzugewinnenden Jünger an keine bessere Adresse weisen können, als an die des Landgrafen Adolf.

Mit einem wahren Fieber äußerster Spannung harrte der Herzog Karl August auf die weitere Annäherung des Wundermannes und auf das ihm in Aussicht gestellte Abenteuer. Er brauchte nicht lange darauf zu warten; sich dem Schlosse wieder zuwendend, sahen die beiden Männer den Vielbesprochenen mit dem Marquis de Luchet, dem Intendanten des Theaters und der Capelle, Günstling des allem Französischen zugethanen Landgrafen Friedrich von Hessen-Kassel, daher kommen.

Es machte sich sehr natürlich, daß der Marquis mit dem Landgrafen Adolf vorausging, während der Herzog, sich zu Saint Germain gesellend, folgte.

„Nun, Graf?“ fragte Karl August und sah dem Begleiter forschend in das ernste Gesicht.

„Sind Eure Durchlaucht heute Abend zu unserem Wagnisse bereit?“

„Mit Leib und Leben!“ rief der junge Fürst. „Sagen Sie nur, was ich thun soll!“

Ein befriedigtes Lächeln flog wie matter Sonnenschein über die düsteren Züge des Wundermanns, dann hub er an:

„Es ist meine bislang versäumte Pflicht, Serenissimus darauf aufmerksam zu machen, daß wir einem nicht ganz gefahrlosen Unternehmen entgegen gehen. Ein Wagniß ist’s, Sie in das Reich unterirdischer Mächte einzuführen, welches nur mir offen steht. Einem sterblichen Menschen dort Zutritt zu verschaffen, der weder mit den Gesetze jener geheimnißvollen Welt vertraut ist, noch furchtbare Möglichkeiten zu beurtheilen vermag, bleibt stets bedenklich. Eure Durchlaucht dürfen nie vergessen, daß von meiner Seite nur der eine Beweggrund vorliegt: Sie von dem Zusammenhange meines Wesens mit höheren Regionen zu überzeugen und dadurch Ihre Hingabe für mich – das heißt für meine edlen Bestrebungen - zu gewinnen. Ich fühle, daß ich Ihnen diese Probe schuldig bin, und ich werde dieselbe ablegen, koste es was es wolle! Der Zweifel muß zwischen uns aufhören, er muß vernichtet werden! Er hindert Sie, den Tempel der Erkenntniß und Vollendung zu betreten, zu dem Sie an meiner Hand gelangen sollen. Um nun bei dem beabsichtigten Unternehmen einige Sicherheit für Sie und für mich - denn auch ich wage viel! - zu finden, müssen Eure Durchlaucht sich genau meine Vorschriften merken, genau meinen Angaben und Forderungen Folge leisten. Sie werden mit verhüllten Augen den geheimnißvollen Ritt in den Vorhof des Hörselberges machen; Sie werden, wenn wir der Venus gegenüber stehen, kein Wort sprechen, damit wir nicht die gräßlichen Schemen der wilden Jagd aufscheuchen, welche uns zweifellos zu Tode hetzen würden. Stumm schauen Sie die Schrecken und die Herrlichkeit der Tiefe, stumm kehre Sie an meiner Hand zurück. Möglich, daß die gefangene Huldgöttin den Heros in Ihnen ahnt, der, gleich dem verlorenen Tanhäuser, ihr Seligkeit bereiten könnte, möglich, daß sie die rührende Sprache der Geberden an Sie richtet, daß sie Liebe, Licht, Freiheit erfleht; da heißt es stark bleiben, denn eine Unmöglichkeit ist’s, sie durch rasche That zu gewinnen. Vielleicht gelingt dies - wenn Sie es begehren sollten - auf einer späteren Stufe unseres Emporstrebens.“

Er hatte dies Alles halblaut, rasch und eindringlich gesprochen, und Karl August fühlte wieder, wie bei jenem ersten Zusammentreffen sich von einem Schwindel durchrieselt, in welchem das, was er bisher für möglich, das was er für unmöglich gehalten hatte, zu einem untrennbaren Chaos in einander floß. Seine lustige Spottsucht, sein derber Humor waren zum Schweigen gebracht; er wollte fragen, aber wo anfangen, da das beabsichtigte Unternehmen im Ganzen ein so durchaus fragwürdiges war? So brachte er nur die bescheidene Erkundigung nach der Zeit ihres Ausritts hervor.

„Um neun Uhr geht der Mond auf,“ erwiderte der Graf mit der Miene ernster Ueberlegung. „Wenn Sie etliche Luftvolten vertrage, so können wir binnen einer halben Stunde am Fuße der Wartburg oder des Hörselberges sein.“

„Luftvolten?“ fragte der Herzog erstaunt.

„Ah, ich vergesse! Durchlaucht wissen nicht, daß, während Sie nur die Empfindung haben, im Kreise zu reiten, wir mit jeder Wendung Meilen zurücklegen; auf andere Art kann ich die Gunst außerirdischer Fortbewegung keinem Sterblichen verschaffen. Unser geehrter Wirth, der Herr Landgraf, wird sich nach dem Souper mit den anderen Herren an den Spieltisch setzen; während man sich in das Cavagnote vertieft, bemerkt man unser Verschwinden kaum, und binnen ein bis zwei Stunde sind wir, wenn Alles glücklich geht, wieder aus dem Berge zurück. Bis Mitternacht liegt das wilde Heer unter dem Banne; wecken wir es mit keinem unvorsichtigen Laute, so sind wir ungefährdet.“

Der Herzog konnte zu alledem nur staunend den Kopf schütteln.

Gegen acht Uhr setzte man sich im Speisesaale zum Souper. Es wollte Karl August bedünken, als ob der Graf weniger unterhaltend sei als am Mittage; ein Zug feierlichen Ernstes lag zwischen seinen dunklen Brauen, und fest geschlossen waren die schmalen Lippen, verstohlen blickte er mehrmals auf seine Uhr.

Der Herzog befand sich in peinlicher Aufregung. Was sollte mit ihm geschehen? In welches Unternehmen hatte er sich eingelassen? War er das Opfer eines unerhörte Betruges oder der Auserwählte des erhabensten Geistes? Diese Fragen, innerlich zum hundertsten Male aufgeworfen, zerstreuten ihn immer wieder bei jedem Gespräche, auf das er einzugehen versuchte.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben, plaudernd, rauchend trat man in das Spielzimmer. Die Partien fanden sich zusammen, der Herzog und Graf Saint Germain lehnten ab.

Ein paar Augenblicke standen sie noch hinter den Stühlen der Spieler, dann, als diese sich in ihr Vorhaben vertieften, winkte der Wundermann mit seinen gewaltigen Augen, und unter dem Einflusse einer seltsamen Empfindung, halb von Bangigkeit, halb von jubelnder Lust, folgte der abenteuersüchtige junge Fürst dem Voranschreitenden aus dem Schlosse.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_631.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)