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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

geweihte Stelle für die verschiedenen Götzenbilder hat; auch vor der Jurtenthür baumelt zwischen zwei Stangen ein Strick mit bunten Lappen und Bändern zu Ehren der Götter. Damit denkt der Kalmück aber auch genug gethan zu haben, beten thut er nie. Erst wenn Unglück, Krankheit oder andere Leiden ihn drücken, erinnert er sich der Götzen, läßt er den kalmückischen Priester, den Schamanen, kommen, der mit Hülfe seiner Gebettrommel die Geister beschwört und den Urheber des Mißgeschicks zu erkennen sucht. Nachdem er diesen angeblich erfahren, beredet er sich mit seinen Geistern über die Abstellung des Uebels, welche durch Opfer von Pferden oder Schafen bewirkt wird. Entweder opfert man dem guten Geiste, den man um seine Hülfe anfleht, oder dem bösen, um durch die Gabe sich loszukaufen.

Kalmücken-Lager.

Das Fleisch der Opferthiere wird von den versammelten Gästen, die der Ceremonie beiwohnen, verzehrt, und nur die Haut mit den Knochen des Kopfes und den untern Extremitäten wird an der Stange des Opfergerüstes aufgehängt. Bei gefährlichen Bergpässen und Flußübergängen sind sogenannte „Obo“ errichtet, d. h. Steinhaufen, bei welchen der Vorübergehende dem Schutzgeiste ein Opfer bringt, indem er ein Steinchen, einen Zweig oder einige Haarbüschel aus der Mähne seines Pferdes auf den Steinhaufen wirft. An manchen Stellen werden solche Opfer an einem Baume aufgehängt. Alle diese religiösen Handlungen verrichtet aber der Kalmück ohne jegliche Andacht, ja selbst beim Beschwören der Geister durch die Schamanen sieht man die Anwesenden rund im Kreise scherzend und plaudernd sitzen, als ob die Handlung sie gar nicht berühre. Auch die Schamanen selbst scheinen die Sache nicht sehr ernsthaft zu nehmen, denn sie sind für kleine Geschenke gern erbötig, jedem Reisenden ihre Künste mit der Gebettrommel vorzumachen.

Russische Ansiedler dringen jetzt fortwährend mehr und mehr in die Gebiete der Kalmücken; in den weiten Steppen des europäischen Rußlands können diese sich der Berührung mit den Europäern nicht mehr entziehen; aber auch in Asien mehren sich die russischen Einwanderer, und das Häuflein der Kalmücken schmilzt mit jedem Jahre mehr zusammen, da sie sich allmählich auch mit den Eindringlingen vermischen. Die Bergkalmücken werden nach wenigen Jahrzehnten zu den untergegangenen Stämmen gehören, wie die zahlreichen Tatarenhorden, welche vor zwei Jahrhunderten den Nordrand des Altai bewohnten. Friedrich von Hellwald.

Kalmücken auf der Reise.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_645.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2020)