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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

zu umfassen meinte. Ganz verwirrt saß sie in ihrem Eisenbahncoupé. Er hatte wirklich ein Benehmen gegen sie angenommen, als habe nicht er sie, sondern sie ihn sitzen lassen, als wolle er ihr einen Vorwurf daraus machen, daß sie sich zufrieden fühlte.

Und doch war sie nicht besser daran als er. Er hatte sich den Luxus gewünscht und eine engumfriedigte Häuslichkeit gefunden, sie hatte sich einen traulichen häuslichen Herd gewünscht und Eleganz und Behagen gefunden. Solche kleine Schäkereien erlaubt sich das Schicksal.

Ach vorbei; und Gott sei Dank, daß es vorbei war!

Sie begab sich in ihr Ankleidezimmer.

Darling trippelte ihr entgegen, hoch frisirt mit gekrepptem Toupet. Die Jungfer zog die Vorhänge von grauem mit herbstlich rothem Laub übersäeten Cretonne zusammen und warf ihrer Herrill den spitzenbesetzten Frisirmantel um.

Während die Zofe die weichen langen braunen Haare strählte, mit behenden Fingern einen Zopf flocht und diesen um den Kamm aus Schildpatt legte, der wie ein Krönchen die Haartour überragte, erzählte sie: „Fräulein Clusius sind doch schnell wieder hier bekannt geworden. Gestern kamen sie mit Herrn von Bartenstein aus dem Walde. Er führte sein Pferd am Zügel. Ich sah es, als ich mit Darlingchen spazieren ging.“

„Du hast mir den Kamm ein wenig schief gesteckt, Lina,“ unterbrach Melanie sie. „So, jetzt ist’s besser.“

Trotz ihrer äußeren Ruhe war sie erschrocken. Wenn sie auch Bartenstein für einen vollkommenen Cavalier hielt, so wußte sie doch, daß selbst ein solcher im Verkehr mit den Damen so gut wie im Pferdehandel eine Schelmerei für erlaubt hält. Und wenn auch eine Dame der Gesellschaft leicht über dieselbe hinweg kam, so würde sie Ereme’s feines Gefühl doch tief verletzen. Sie empfand es als eine Pflicht, die Freundin zu warnen, die hochgebildet, aber nicht weltklug war.

„Ich will ausgehen,“ sprach sie zu ihrer Zofe, als diese fragte, welche Robe das gnädige Fräulein befehle.

„Aber es droht mit Regen,“ warnte Lina und deutete auf eine langsam heraufrückende graue Wolkenwand.

Melanie sagte sich, daß man einen Regenguß nicht erst zu Hause abwarten könne, wenn man einem Ulanen den Vorrang ablaufen wolle, und sie bestimmte danach ihre Toilette.

Als Darling den Hut sah, hob er mit hoher Stimme ein Gewinsel an. Nun ja, zu einer Freundin durfte der kleine wohlgezogene Hund mitgehen.

Sie wählte den näheren Weg durch den Stiftsgarten zur neuen Promenade.

Elegante Spaziergängerinnen wandelten auf den Fußwegen; es war ja die interessante Stunde, um welche die Collegien geschlossen wurden und die Ulanenofficiere vom Exercirplatz heimkehrten. Durch die Kastanienallee rollten Wagen. Da fuhr auch der Landauer des Bankiers. Miß Smith’s blasse Augen sahen jedem aufleuchtenden rothen Kragen erwartungsvoll entgegen. Melanie, der als Tochter einer kleinen Residenz die Gewohnheit, stets zu combiniren, geblieben war, fragte sich, ob das Goldfischchen vielleicht um diese Zeit hier Bartenstein zu begegnen pflegte. Aber der von ihr vermuthete Reiter blieb aus. Statt seiner ritt Kronheim auf seinem englischen Pferd vorbei, die Fingerspitzen an der Czapka, die Augen unverwandt auf Miß Smith gerichtet. Melanie fand. daß der junge Officier ganz in der Stille eine Beziehung zwischen sich und der reichen Dame herzustellen suchte.

Die engen Straßen der Altstadt nahmen sie auf. Dort ging Elsa neben ihrer jungen Busenfreundin, beide mit Büchern beladen.

Es wurde Melanie nicht schwer, zusammenzureimen, warum Elsa von dem Schulgebäude, das die Selecta enthielt und am anderen Ende der Stadt lag, hier auf den Pfad der Lanzenreiter kam, auch nicht, warum sie ihren rosigen Mund wie ein kleines Kind verdrossen herausschob. Aber da kamen Studenten, die Mappen unter dem Arm. Die beiden hübschen Backfischchen erblicken und einen Gänsemarsch hinter ihnen her machen war das Werk eines Augenblicks. Lachend retteten sich Elsa und die Freundin in eine Conditorei. In der Privatstube des Conditors erschienen sie alsbald mit Stachelbeerkuchen vergnügt am Fenster.

Das Leben bot freundlich Ersatz: Confect und jugendliche Neckerei, einen annehmbaren Reservemann, eitlen wohlbestellten Haushalt; man durfte nur nicht zu anspruchsvoll sein, lächelte Melanie wehmüthig.

In Ereme’s kühlem Haus kam ihr die Frau Doctor entgegen.

„Gut, daß Sie da sind, liebes Fräulein von Seebergen. Ich kann gar nicht mehr mit Eremechell fertig werden. Sie ist so aufgeregt und wird gleich so heftig. Ich denke mir, sie hat sich in Griechenland den Magen verdorben mit dem vielen Oel. Das ist keine feine Küche, mit Oel zu schmalzen, und ich begreife nicht, warum die alten Griechen ihrer Göttin so dankbar für den Oelbaum gewesen sind. Ereme sitzt im Gartensaal. Bitte, treten Sie ein. Ich habe noch in der Küche zu thun.“

Melanie öffnete die Thür des Salons. Orangenblüthenduft wehte ihr entgegen. Die Flügelthür nach dem Garten stand offen. Ueber die breiten Stufen, welche hinausführten, glitten die Schatten der Lorbeer- und Orangenbäume, die zu beiden Seiten derselben standen. Es war kühl und dämmerig in dem Raume, den Melanie in dieser Ausstattung kannte, so lange sie nun in dem Clusiushaus verkehrte. Immer waren die Wände pompejanisch roth gemalt gewesen, an dem Platz in der Tiefe des Salons hatte immer das Sopha gestanden, dessen rothe Kissen in geradlinige weiße Holzrahmen eingefaßt waren; so hatten stets die steiflehnigen hohen Stühle mit den kleinen Fußschemeln davor sich um die Tafel gereiht, die hohen weißen Tischchen zu beiden Seiten des Sophas die enghalsigen eckig gehenkelten Vasen getragen. Und hinter der Palmengruppe hatte sich ewig gleich, weiß, kühl, lächelnd die Statue der Pallas Athene erhoben.

In der Thür saß Ereme, das Antlitz hinaus und emporgerichtet. Nur die jugendlich gerundete Wange, nur die dunklen Wimpern des Auges vermochte Melanie zu erschauen; aber sie meinte, den Blick, der sich an denselben hinausspann in sonnenferne Weiten, sehen zu können. Darling trippelte zu ihr hin und stieg an ihr empor.

Mit leisem Erschrecken wandte sie sich um. Sie schien sich erst aus ferngelegenen Gedankengängen wieder zurückfinden zu müssen. Dann bot sie Melanie die Hand, und beide nahmen neben einander im Sopha Platz, während Darling sich auf Ereme’s Fußkissen zusammenknäulte und mit einem Seufzer einschlief.

„Ich habe sehr bedauert, daß ich Sie neulich nicht annehmen konnte,“ sagte Melanie, „und daß Sie es ablehnten, mich in das Concert zu begleiten. Wollen Sie nicht wieder ausgehen?“

„Nein; ich würde mich nicht zurechtfinden in der Gesellschaft, wie sie sich jetzt zusammensetzt,“ antwortete Ereme abwehrend.

„Wäre es nicht doch besser, Sie schlössen sich an?“ warf Melanie hin. „Sie verlieren so gut wie ich leicht die Fühlung mit der Gegenwart. Wir sind beide in ganz anderer Atmosphäre groß geworden, als die ist, welche heute herrscht. Sie im Geist der antiken Welt, ich in den Anschauungen der antiquirten Welt eines kleinen Hofes. Und ich finde,“ fuhr sie eindringlicher fort, „daß die Frau, die sich freiwillig zurückzieht, sich eines Vortheils begiebt. Die Gesellschaft bildet eine schützende Mauer um Jeden, der zu ihr gehört; der alleinstehenden Frau aber begegnet selbst der ritterliche Mann kecker, schon weil es seine männliche Eitelkeit nicht ertragen kann, wenn wir uns einbilden, auch ohne Schutz unsern Weg durch’s Leben zu finden.“

Ereme wußte sofort, was Melanie andeuten wollte. Sie hob stolz das Haupt. „Ich werde nicht die Hülfe der Gesellschaft anrufen, um einen Mann, der mir keck begegnet, in seine Schranken zurückzuweisen. Und ich denke, mein Name steht so rein da, daß ich auch einmal Außergewöhnliches thun darf, ohne daß selbst nur der Schatten eines Verdachtes auf mich fällt.“

Da Melanie sah, daß sie von Ereme verstanden wurde, fragte sie in dem leichten Gesellschaftston, der so flüchtig über gefährliche Stellen hinzugleiten versteht: „Wie kam es doch?“

„Er redete mich im Walde an,“ erwiderte Ereme, und eine Pupurgluth stieg in ihren Wangen auf.

Er? schon Er? dachte Melanie erschreckt.

Ereme fuhr erregt fort: „Er drängte mir seine Begleitung auf, und ich kann Ihnen mein Erstaunen darüber nicht verhehlen, daß Männer in solcher Stellung sich so ungebildet ausdrücken.“

„Ungebildet?“ fragte Melanie befremdet.

„Ich bin gewöhnt, die Sprache als das Gewand zu betrachten, welches der Geist des Menschen sich schafft,“ antwortete Ereme. „Herr von Bartenstein bedient sich einer Barbarensprache, die nur darum nicht unedel klingt, weil er die Worte so scharf ausprägt, daß sie neben einander stehen wie Soldaten – er würde sagen: wie stramme Kerle.“ Sie mußte das Wort, das sie förmlich verfolgt hatte, einmal nennen, als werfe sie es damit zum Haus hinaus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_655.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)