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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 43.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Die Ruhe des Clusius-Hauses war durch Bartenstein’s Annäherung gänzlich verstört.

Als Melanie eines Tages mit gerötheten Wangen aus Ereme’s Stube kam, trat ihr im Hausflur die Tante entgegen. „Ach, liebes Fräulein von Seebergen, wohin soll das führen? Ich rede früh und spät auf Eremechen ein. Er hat ja ein Gut; aber in der Mark werden nur Lupinen gebaut, und was das Kiefernholz für jämmerliches Zeug ist, weiß jede Hausfrau. Entweder kocht Alles aus den Töpfen heraus, oder es bleibt kein Fünkchen auf dem Herde. Und statt der armseligen Wirthschaft aufzuhelfen, zieht er im Land umher und wohnt alle neuen Häuser trocken. Der kann gewiß niemals still sitzen. Und dieses Zigeunerleben soll Eremechen mitmachen, während wir hier Alles haben, wie sich’s gehört, von dem Wäschpfuhl bis zur Spicknadel. Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“

„Liebe Frau Doctor,“ entgegnete Melanie ganz erregt, „ich möchte Ihnen doch sehr rathen, nicht in dieser Weise auf Ereme einzuwirken. Das Glück des Lebens hängt nicht von einem Waschkessel oder Kochtopf ab. Ich habe ganz im Gegensatz ihr gesagt, daß sie ihre Handlungsweise gegenüber Herrn von Bartenstein, der ein Officier von hohen Verdiensten und ein Ehrenmann ist, wohl erwägen, daß sie mit großem Sinn über kleinliche Anstöße hinaussehen soll, damit sie nicht einst mit bitterer Reue dieser entscheidenden Zeit gedenken muß. Es ist etwas ganz Anderes, ob uns die Welt um unser Glück betrog, oder ob wir uns dasselbe durch Verblendung und Starrsinn verscherzten.“

Die Tante lächelte ein wenig. „Liebes Fräulein von Seebergen! Wenn Sie verheirathet gewesen wären, würden Sie keine so großartige Meinung von der Ehe haben. Es ist nicht Alles Gold, was glänzt. Das predige ich jetzt unaufhörlich; aber es hilft nichts, wie Figura zeigt.“

Sie deutete auf die Hausthür, in welcher Dorchen vertraulich plaudernd mit Bartenstein’s Burschen stand, der sie bei allerlei Ausrichtungen hatte kennen lernen und nun gleich einer Ehrenwache sich allabendlich dort aufstellte, bis Retraite geblasen wurde und der leichtsinnige Courmacher sich in einen pflichttreuen Soldaten verwandelte, der im Laufschritt davon rannte.

Ereme’s classische Ruhe war vor den fortwährenden Aufregungen geschmolzen, wie ein Kunstwerk vom Feuer verzehrt wird.

In den Kreisen, denen sie angehörte, wurde sie bereits als eine Abtrünnige betrachtet; man colportirte dort, wie gute Freundinnen ihr erzählten, das Wort des Physiologen: „Die Clusia ist die erste moralische Eroberung, welche die Preußen bei uns machen.“

Die Officiere betrachteten sie als eine Zugehörige, und die Gattin des Majors sah sie bereits mit erstaunten Augen an, wenn Ereme bei gesellschaftlichen Begegnungen nicht den Fauteuil für sie räumte.

Jeder wagte sich an sie heran mit einem Lächeln, einer Neckerei.

Und so quälend diese Betrachtungen waren, sie erschöpften die Marter nicht, die sie empfand: sie hatte ja immer auf das Urtheil der Welt herab gesehen. Aber was sie in tiefster Seele. ängstigte und empörte, war der unheilvolle Zauber, den Witold’s Persönlichkeit auf sie ausübte. Sodald er ihr gegenüber stand, war ihr Wille gelähmt.

Es wurde ihr dunkel vor den Augen vor Zorn, wenn sie seines selbstbewußten spöttischen Lächelns gedachte, das ihr sagte, er war sich seiner Macht über sie bewußt.

Sie fühlte, daß sie gewaltsam den Bann brechen mußte, wenn sie sich nicht ganz verlieren wollte. Es war die höchste Zeit.

Selbst ihre Sammlungen waren in Unordnung gerathen bei dem vielen Beschauen, und ihre Zeit so in Anspruch genommen von den Besuchen, daß Wochen vergingen, ehe sie die Kunstschätze wieder an ihre richtige Stelle bringen konnte.

Kaum hatte sie aber die Silbermünze mit dem Athenebilde und der Eule in die Münzsammlung zurückgelegt, die antike Vase, auf welche ein Amor gemalt war, der auf einem Krebse zum Fischfang ausritt, in den Schrank gestellt, da erschien schon wieder der alte Diener und meldete: „Herr Rittmeister von Bartenstein.“

Wohlan! es mußte ein Ende gemacht werden.

Mit fester Stimme gab sie den Befehl, Herrn von Bartenstein hereinzuführen.

Aber sie vermochte nicht zu verhindern, daß ihr das Blut brennend in die Wangen stieg, und als sie die ovale Schale aus gelblichem Marmor auf den Sims setzen wollte, zitterten ihre Finger so heftig, daß ein kleiner Gegenstand heraus fiel und dem eintretenden Bartenstein vor die Füße rollte.

Er hob denselden auf und sagte: „Ist es ein gutes Omen, daß mir das Rad eines Sporns entgegen kommt?“

„Das Rad eines Sporns?“ rief sie aus.

Also wirklich! Und einen finstern Blick auf ihn richtend, fuhr sie langsam fort wie ein Inquisitor: „Er ist vor einiger Zeit in meinem Garten gefunden worden. Ein Eindringling, der nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_701.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)