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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Dies war trotz Allem, was sie aus seinem Verhalten herausgefühlt, doch eine so plötzliche Frage, daß sie ihr den Athem versetzte und sie sich ein paar Minuten vergeblich bemühte, ihm zu antworten.

Endlich stammelte sie: „Gewiß habe ich Dich gern, guter Erich! Haben wir nicht allezeit wie Geschwister verkehrt?“

Er sah sie traurig an, und sie fuhr herzlicher fort: „Dränge mich nicht, laß die Zeit hingehen.“

„Ich soll also noch warten, Christine? Gut, es schadet nichts, wär’s auch Jahr und Tag! Ich muß ja doch bald fort; wenn Du nur freundlich gegen mich bist, ist alles Andere Nebensache. Kommt Zeit, kommt Rath, liebes Christinchen, mein bist und bleibst Du doch!“

In diesem Augenblicke trat ihnen aus dem Laßberg’schen Hause der Oberst in seinem langen Reitermantel entgegen.

„Ihr kommt spät; wollte Euch abholen; nun, ich sehe, Ihr seid gut mit einander aufgehoben“ – setzte er mit zufriedenem Tone hinzu und fuhr dann hastig fort: „Ist’s wahr, was mir eben Lichtenberg vor der Thür erzählt, daß die Guste Kalb mit Seckendorf verlobt ist?“

Beide bestätigten es. Der alte Herr fluchte in den Bart, als er die Hausthür hinter den Eingetretenen abschloß; dann lachte er kurz auf und murmelte vor sich hin:

„Paß auf, Herr Nachbar, endlich übertrumpfen wir Dich doch!“

Es bereitete dem Obersten eine große Enttäuschung, als sein Neffe einige Tage später mit ablaufendem Urlaube sein Haus verließ, ohne, wie er glaubte fest erwarten zu können, bei ihm um Christel’s Hand zu werben. Und seine darauf folgende düstere, unleidliche Laune, welche diesmal lange anhielt, quälte Schwester und Tochter peinlich.

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Zeit der Weinlese.

Hierzu die Illustrationen S. 721 und S. 728/729.

Wie viele andere Culturpflanzen, so hat auch der Weinstock seinen Heimathschein verloren, und Niemand kann heute das Land bezeichnen, von dem aus er seinen Triumphzug um die Welt begonnen. Aber überall nennt ihn die Sage als eine der edelsten Gaben der Götter, und oft wurde er zum Symbol der blühenden Cultur. Er wird auch darum gleich hoch geschätzt im hohen Norden, wie im Süden.

Wer kennt nicht die Vorliebe, mit der die nordischen Völker in warmen Treibhäusern die Rebe cultiviren, wer kennt nicht den größten Weinstock der Welt in dem Gewächshause von Hampton Court bei London, der an seinen bis 100 Fuß langen Zweigen alljährlich 2000 bis 3000 Trauben trägt?

Erst in der gemäßigten Zone unter dem 50. Grade nördlicher Breite wagt sich die Rebe in’s Freie, und obwohl sie noch in verkümmerter Gestalt auftritt, verleiht sie der Landschaft einen romantischen Schmuck, wie dies die Weinberge in Deutschland, Nordfrankreich und Ungarn deutlich genug beweisen. Hier wird noch die Rebe an 2 bis 5 Fuß hohe Pfähle oder Drahtgitter in Reih und Glied angebunden und in ihrer Zwerggestalt erhalten.

Ungebundener tritt sie uns in Tirol entgegen, wo sie in den Weinbergen, auf Steinsäulen und horizontalem Lattenwerke sich emporschlingend, die berühmten Weinlauben bildet.

Vollständig frei wird sie erst in dem Garten Italiens, in der fruchtbaren lombardischen Ebene, wo ihre Ranken die Maulbeerbäume mit phantastischen Guirlanden umschlingen, oder im Süden Italiens, wo sie namentlich die Wipfel der Ulmen und Pappeln erklimmt.

Hier wurde auch der Weinbau in der schönsten poetischen Form verklärt, hier entstand das schöne Märchen von der Vermählung der Rebe mit der Ulme, hier bestand auch die sinnreiche Sitte, die Rebe wenigstens einmal im Jahre für ein paar Tage von ihren Banden loszumachen, damit sie in Gemächlichkeit sich auf dem Lager der Erde ausruhen könne, nach welchem sie das ganze Jahr verlangend schaue, und damit auch der Baum, seiner theuren Last entledigt, die Arme behaglich von sich strecken und frischen Athem schöpfen könne.“[1]

Wie verschiedenartig aber die Pflege des Weinstocks in den einzelnen Ländern sein mag, überall wird die Zeit der Weinernte mit besonderer Freude begrüßt, welche die schwere Arbeit zu einer Art herbstlichen Festes gestaltet.

„O Blüthe der Reben! Ob Engel du seist, laßt uns erproben“ – so singen fröhlich bei der Arbeit die Winzer und Winzerinnen Italiens und füllen die Pausen durch die Saltarellotänze aus, die an den alten Reigen des Bacchus erinnern.

Es ist Herbst. Kein Wölkchen am blauen Himmel Italiens; die Sonne des September scheint mild und golden wie verklärend auf die erquickte Erde; mit vollen Zügen athmet der Städter die erfrischende, reine Luft des platten Landes ein. Die Bauern sind auf ihren Feldern zerstreut – sie machen fröhliche Gesichter, denn das Schwerste ist gethan und die Arbeit der vergangenen Monate reich gesegnet: sie haben hundertfältige Frucht geerntet. Auf den grünen Hügeln sitzen die schönen Töchter des Landes und singen vom Morgen bis zum Abend; nach Sonnenuntergang wird die Hirse in Garben auf die Tenne gelegt, und beim Klange der Guitarre tanzen und springen Knaben und Mädchen darauf herum, so lange der Mond scheint. Hier und da schleicht ein Liebhaber durch die Nacht und bringt seiner Schönen eine Serenade – der Hänfer richtet seine kleine Guillotine auf, bricht Hanf und erzählt den Burschen und den Dirnen, die bis über Mitternacht um ihn herumstehen, seine gruseligen Geschichten, wie man sie wohl bei uns in der Spinnstube hört – und aus der Ferne rufen die melancholischen Käuzchen: Tutto è mio, tutto è mio, das heißt: Alles ist mein! Alles ist mein!

Freilich ist es die Jahreszeit der Fröhlichkeit und der Feste und die Weinlese steht bevor.

La Vendemmia! Die Gabe des Bacchus wird sorgsam abgeschnitten und in Körbe gelegt – „es ist kein Korb so schlecht, daß man ihn nicht bei der Weinlese brauche“ – sagt das Sprüchwort. Geringere Trauben werden mit der Hand gebrochen, edlere Sorten mit dem Messer abgeschnitten oder vermittelst einer zangenartigen Scheere abgeknipst. Aus den Körben werden die Trauben zum Transport nach der Kelter in hölzerne Gefäße aus Dauben ohne Deckel, oben weiter als unten, gethan: ein solches Gefäß nennt man una Bigoncia. Esel und Maulthiere tragen, mit je zwei gefüllten Bigonci behangen, die Trauben nach dem Orte, wo gekeltert wird, dem sogenannten Palmento. Hier werden sie in eine große hölzerne, aus Dauben zusammengesetzte und gut gebundene Kufe geschüttet, welche unten weiter ist als oben und Tino genannt wird; darunter steht ein irdenes Auffanggefäß, die sogenannte Tinozza del Tino. In der Kufe werden die Trauben von den sogenannten Tretern oder Pressern (Calcatori oder Pigiatori) mit den Füßen zerquetscht und ausgepreßt: die Füße sind gewöhnlich nackt, manchmal mit Stiefeln aus Holz oder rohem Leder bekleidet.

Die Leute stehen zu zwei oder mehreren in einer Kufe und stemmen sich beim Treten auf eine Art Krücke, die sie in der Hand haben, halten sich auch wohl an Seilen, die über ihren Häuptern ausgespannt sind, und an einander an. Das ist die alte patriarchalische Art des Kelterns, wie sie schon vor Jahrtausenden zu des Propheten Jeremias Zeiten bestand; unser eigenes Wort Kelter erinnert daran, es lautete ursprünglich Kalter und kommt von dem lateinischen Calcatura, gleichsam die Trete. In einzelnen cultivirteren Gegenden, namentlich in Toscana, wendet man eine hölzerne Stampfe (Torchio) und in fortgeschritteneren Wirthschaften die Traubenmühle an, auf welcher die Beeren zwischen hölzernen oder eisernen, fein cannelirten Walzen zerquetscht werden, ohne daß durch Verletzung der Stiele und Kerne Gerbstoff in den Most kommt.

In Rom gestaltet sich die Vendemmia zu einer Art Volksfest, das am Monte Testaccio gefeiert wird. In jenen aus alten Scherben aufgehäuften Hügel sind zahlreiche Grotten eingegraben, in denen der Wein aufbewahrt wird, und an diese Kellereien schließen sich zahlreiche Osterien an, welche der lustigen Schaar der Tänzer und Tänzerinnen die Gabe des Bacchus bieten.

Der deutsche Herbst ist nicht so heiter, wie sein italienischer Bruder. Nur selten suchen bei uns die Winzer und Winzerinnen

  1. Vergl. F. Cohn „Die Pflanze“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_727.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)