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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Das Leipziger Schlacht-Panorama.
Die Schlacht bei Mars la Tour.


Der auf dem Roßplatze zu Leipzig stehende, vor Kurzem eröffnete prächtige Rundbau, dessen wuchtige Architektonik dank der freien Lage des Gebäudes zu voller Geltung kommt, beherbergt das Panorama der Schlacht von Mars la Tour. Der Schöpfer dieses Panoramas ist wiederum Professor L. Braun, dem wir bereits die Panoramen zu Frankfurt am Main, München und Dresden verdanken. Wie bei den Arbeiten Braun’s durchweg ein steter Fortschritt, ein Wachsen des künstlerischen Vermögens nicht zu verkennen ist, so muß dem Leipziger Panorama in seiner Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Composition, in seinem alle anderen Panoramen übertreffenden Figurenreichthume, in der lebendigen kraftvollen Wiedergabe des gewaltigsten Reiterkampfes des deutsch-französischen Krieges, in der interessanten, durchaus individuellen Charakterisirung der einzelnen Kämpfer, in der gerechten, allem Chauvinismus völlig fremden Anerkennung französischer Bravour und Kampfestüchtigkeit, und endlich in der trotz aller Leidenschaftlichkeit und Erregtheit des vorgeführten Moments bis in jedes Detail getreuen Darstellung der Preis vor den anderen Panoramen-Darstellungen zuerkannt werden. Wer diesem leidenschaftlichen Hinüber und Herüber des imposanten Reiterkampfes gegenübersteht und den vollen Zauber des malerisch vollendeten Gemäldes auf sich wirken läßt, wird sich leicht der Auffassung hingeben wollen, als hätte er es mit einem Bilde zu thun, dessen Composition allein nach den Anforderungen der künstlerischen Aesthetik, allein in dem Streben nach harmonischer Schönheitswirkung aufgebaut sei. Und doch – welch lange Reihe mühsamer Terrainaufnahmen, eingehender militärischer und Kriegsstudien müssen vorausgehen, bevor auch nur der erste Pinselstrich auf der weiten Leinwandfläche gethan werden kann!

Versuchen wir, um auch dem großen Publicum einen Einblick in das geheimnißvolle Entstehen eines solchen Panoramas zu verschaffen, den Maler bei seiner Vorarbeit zu dem Rundgemälde zu belauschen. Suchen wir Professor Braun einmal in seinem Atelier auf, das er in seinem Schlosse Wernfels in Franken aufgeschlagen hat, einem sehr interessanten Baudenkmale, das ursprünglich ein römisches Castell, später von den Burggrafen von Nürnberg, den Hohenzollern, als Vorwerk ausgebaut worden, 1284 von einem Ahnen Schweppermann’s an das Bisthum Eichstädt kam. In dessen Besitz blieb es bis zur Säcularisirung des Bisthums 1806 und kam seitdem herunter, bis vor wenigen Jahren Braun die Ruine des einst stolzen Schlosses erworben und jetzt in echt künstlerischem Sinne restaurirt hat. Hier also, im Rittersaale des einst den Hohenzollern gehörigen Schlosses, entwirft unser Künstler die Pläne zu seinen Panoramenbildern, welche der Verherrlichung des großen Hohenzollern gewidmet sind – welch eigenthümliches Spiel des Zufalls!

Nachdem der Plan für ein Schlacht-Gemälde festgestellt, begiebt der Künstler sich zuerst mit einigen ihn unterstützenden Malern in die Gegend des betreffenden Schlachtfeldes zur Aufnahme genauer Terrainstudien, die oft lange Zeit in Anspruch nehmen und bei denen Braun – der bisher stets den Krieg von 1870 auf 1871 zum Gegenstande seiner Panoramen gemacht hat bei der französischen Landbevölkerung durchweg eine unliebenswürdige, mitunter selbst gehässige Aufnahme gefunden hat. Dann beginnt das Studium des kriegswissenschaftlichen Theils, des Generalstabswerkes und der Kriegsgeschichte der einzelnen Regimenter und dann die sehr ausgedehnte Correspondenz mit den gegenwärtigen und früheren Regimentschefs. Fragebogen circuliren nun bei den noch activen wie den bereits pensionirten Officieren, welche an der betreffenden Schlacht theilgenommen. Portraits hervorragender Führer oder Soldaten, die sich hervorgethan, wie z. B. für das Leipziger Panorama das Portrait Binkebank’s, des von Freiligrath besungenen Trompeters, müssen beschafft, Farbe und Beschaffenheit der Pferde der einzelnen Regimenter oder mindestens der der Officiere müssen festgestellt werden. Jedem der betheiligt gewesenen Regimenter wird freigestellt, mitzutheilen, welch hervorragender Zug von Tapferkeit aus ihrem Regimente der Darstellung besonders werth erscheint, und so fort. Nun laufen von allen Seiten die erbetenen Berichte ein und – widersprechen vielfach einander in Einzelheiten. Jetzt gilt es zu sichten, das übergroß anschwellende Material zu prüfen und zwar schon im Hinblicke auf seine malerische Wirkung, denn inzwischen hat immer lebensvoller vor dem geistigen Auge des Künstlers das Bild der dar zustellenden Schlacht sich entrollt und in verschiedenen mannigfachen Compositionen hat er in größeren oder kleineren Skizzen die einzelnen Scenen – verschiedenartig aufgefaßt – auf’s Papier geworfen.

Der Künstler beginnt seine Arbeit. Er arbeitet innerhalb eines aufrechtstehenden Cylinders, der genau ein Zehntel der Größe des künftigen Panoramas umfaßt, also 1,60 Meter hoch und 11,80 Meter lang ist. In völlig genauer Zeichnung wird nun zuerst die Landschaft geschaffen, mit allen Höhen und Niederungen, Wegen, Wäldern etc., und bei der Zeichnung der Bodenbeschaffenheit muß bereits der nach Vollendung des Panoramabildes herzustellende plastische Vordergrund, der den Uebergang zu dem eigentlichen Gemälde in einer für den Beschauer völlig unmerklichen und täuschenden Art zu vermitteln hat, vollständig berücksichtigt werden.

Inzwischen hat der Künstler aus seinen verschiedenen Compositionsentwürfen das Passendste ausgewählt; nun werden, nachdem noch genau die militärischen Stellungen der Kämpfenden eingetragen, die Einzelgruppen eingezeichnet, worauf die Ausarbeitung der einzelnen Figuren – immer noch in der Skizze – beginnt. Hierzu sind natürlich ausgedehnte Studien nach dem Modell nöthig gewesen, wochenlang sind Skizzen aller möglichen Stellungen von kämpfenden Soldaten aller in Betracht kommenden Truppentheile entworfen worden. Jetzt wird bereits jedes Detail, jedes militärische Abzeichen, jeder Knopf mit berücksichtigt. Gleichzeitig ist hierbei eine große perspectivische Aufgabe zu lösen: jede Figur auf dem nach diesen Skizzen auszuführenden Rundgemälde muß trotz der Entfernung vom Standpunkt des Beschauers aus lebensgroß erscheinen; ebenso muß jetzt schon der Linienführung des Ganzen, der Wucht der Darstellung Rechnung getragen werden, wie bei der Composition der Einzelgruppen natürlich bereits die Wechselwirkung zu einander berücksichtigt werden muß.

Wenn nun in dieser Weise nach den einzelnen farbigen Studien die genauen Contouren in die Composition eingetragen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_738.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2022)