Seite:Die Gartenlaube (1884) 742.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Goethe lächelte still für sich. Er hegte die Hoffnung, bald wieder ganz offen zu dem Freunde reden zu können und ihn von einer Leidenschaft zu heilen, welche er als Haupthemmniß seines Eheglücks ansah.

Bernstein später zur Seite nehmend, trug er ihm Grüße für seine Braut aus und bat, daß man ihn davon in Kenntniß setze, wann der Hochzeitstag bestimmt sei.

„Sie werden sich hier in der Kirche von Ilmenau trauen lassen?“ fragte er.

„Zu dienen, Herr Legationsrath, die Förstereien aus dem Walde sind hier eingepfarrt.“

„Nun denn, auf Wiedersehn an Ihrem Freudentage!“

Goethe kehrte mit dem Herzoge nach Weimar zurück. Dieser erwähnte, da es nun die Zeit der vorjährigen Abenteuer war, wieder mehrfach „seiner Venus“ und redete sich sogar nochmals in Zorn gegen den Freund, der sie ihm neidisch vorenthalte, - der es nicht gut mit ihm meine, - nicht zu ihm stehe - der es liebe, Geheimnißkrämerei zu treiben.

Goethe ließ alle diese Vorwürfe über sich ergehen, endlich sagte er:

„Ich hoffe, mein lieber gnädiger Herr, daß Sie die Ersehnte binnen wenigen Wochen wiedersehen werden, und bin überzeugt, daß ich nicht vergebens auf Ihr großes Herz zähle, welches dann, wenn alle Verhältnisse am Tage liegen, mir gewiß Recht geben wird.“

Er brauchte nicht lange auf eine Einladung des Bräutigams zu warten. Bernstein schrieb ihm, seine Hochzeit sei auf den dritten Mai festgesetzt, die Trauung finde Mittags zwölf Uhr in der Kirche von Ilmenau statt und er sei der glücklichste Mensch auf der Welt.

Mit diesem Briefe ging Goethe zum Herzog.

„Ich möchte zur Hochzeit reiten, mein Fürst,“ sagte er vergnügt. „Wenn Sie mit wollen, ist’s um so besser. Es giebt gewiß eine lustige Wirtschaft, unendliche Bratwürste und eitlen flotten Tanz mit frischen, hübschen Mädels, welchem ich nicht aus dem Wege gehe.“

Karl August erklärte sich sofort bereit, mit von der Partie zu sein; dergleichen Freuden reizten ihn, und in bester Laune sagte er:

„Da kriegt man die Schöne dieses verliebten Pflasterschmierers auch zu sehen; na, so gewaltig viel wird nicht daran sein!“

Goethe bezwang ein Lächeln und traf die näheren Verabredungen für den Ritt.

In heiterer Stimmung und unter herzlichem Geplauder legten die beiden Freunde am dritten Mai, nur begleitet von einem Reitknechte, den langen, aber in aller Frühlingsherrlichkeit prangenden Weg durch das schöne Thüringerland zurück und befanden sich bald nach elf Uhr angesichts ihres Reiseziels.

Als sie in das Städtchen einritten, läuteten die Kirchenglocken, und alsbald begab sich der Herzog mit Goethe nach dem Gotteshause.

Sie standen unter andern Zuschauern nahe der Kirchenthür, als auf dem mit Tannenzweigen bestreuten Wege unter Orgelklang der festliche Zug zu der hochgelegenen Kirche heraufkam.

Voran ging der Förster, recht stattlich und würdig, eine alte Verwandte des Bräutigams führend, dann folgten paarweise sechs frische Brautjungfern in ihrem besten ländlichen Putz, und jetzt endlich kam das Brautpaar.

Goethe beobachtete mit klopfendem Herzen den Freund; wie würde sein Wagniß ausfallen?

Sowie der Herzog Gretchen - schön und lieblich im Schmucke der Braut - erblickte, verfärbten sich seine Züge, er griff mit einem Laut der Ueberraschung nach des Freundes Arm, starrte das Mädchen mit weitgeöffneten Augen an und murmelte:

„Bei allen Göttern, sie ist es!“

Dann warf er einen zornflammenden Blick auf Goethe, stieß dessen Arm von sich und knirschte zwischen den Zähnen hervor:

„Wie konntest Du mir das thun?“ wandte ihm den Rücken und schritt erzürnt davon.

Goethe eilte ihm nach, sobald er es, ohne Aufsehen zu erregen, konnte, und holte ihn auf der andern, menschenleeren Seite der Kirche ein.

Mit dem tiefsten Ernste sagte er:

„Jetzt höre mich, Karl; ich habe mich Dir nie so nahe gestellt, wie Du fordertest, weil ich von Dir über mein Verdienst empfing. Heute bin ich Deiner Liebe werth, heute handle ich als treuer Freund, und Du grollst? Besinne Dich, sieh’ mein Thun im rechten Lichte, Karl! Laß Dein besseres Ich in Dir Herr werden! Ich bewahrte Dich und jenes schöne, schuldlose Mädchen vor einem Verhältnisse, das zu Eurem beiderseitigen Elende führen mußte. Sieh’ doch ein, daß ich als rechtschaffener Mann, als Dein wahrer Freund nicht anders konnte!“

„Dieser widerwärtige Bernstein, mir die Mittel zu seiner Heirath abzuschwindeln!“ rief der Herzog grimmig die Hand ballend, ohne Goethe anzusehen und offenbar in der Laune, nach einem Gegenstande zu suchen, an welchem er seinen Zorn auslassen könne.

Es rührte Goethe, daß bei aller Ergriffenheit die Liebe des Freundes für ihn so groß war, daß er sich sofort instinctiv nach eitlem andern Objecte als Ableiter seines Ingrimms umsah.

„Du irrst Dich, Freund,“ erwiderte er herzlich, „dieser Chirurg hat Dir wesentliche Dienste geleistet; er war lange mit ihr verlobt; ja sie ging nur auf die bewußte Komödie ein, weil man sie glauben machte, daß sie Dich damit bestimmen könne, ihren Verlobten anzustellen.“

„Also sprachst Du mit ihr über den Hörselberg?“

„Ja, sie hat mir die ganze Geschichte unter Thränen der Beschämung gebeichtet, weil sie aus meinen Fragen entnehmen konnte, daß sie sich auf eine ziemlich thörichte Angelegenheit eingelassen habe. Ich sagte Dir schon, daß der Graf sie seinen Zwecken dienstbar machte unter dem Vorwande, Deine Gunst für ihren Verlobten zu gewinnen. Er hatte sie auf einem Jahrmarkte in Ilmenau kennen gelernt und ihr sein Unternehmen als ein harmloses Festspiel vorgestellt. Von Ruhla, wo sie bei Verwandten war, holte er sie selbst im Wagen am zweiten Mai gegen Abend ab. Er teilte ihr mit, daß sie nach Eisenach fahren würden; sie glaubte ihm, denn sie war zum ersten Male in der Gegend; aus Einzelnheiten entnehme ich aber, daß sie keine nördliche, sondern eine südliche Richtung einschlugen, was ja zu Deinem kurzen Ritt passen würde. Er brachte sie für die Nacht in ein bescheidenes Gasthaus und empfahl ihr, sich zurückgezogen zu halten. Sie gehorchte gern, da sie fürchtete, Bekannten zu begegnen. Am dritten war er Morgens ein paar Stunden bei ihr, sie für ihre Rolle einzuüben. Gegen Abend kam er wieder und brachte ihr einen großen Mantel mit Kapuze, den er über ihr helles Costüm legte; sie gingen dann durch einen Waldweg zur halben Höhe eines Berges und stiegen auf einer Leiter in einen Schacht oder ein Loch hinunter. Saint Germain hatte eine Laterne zur Hand und führte sie über einen Steg in die Nische, wo sie das goldene Ruhebett und andere Vorkehrungen fand. Dann leistete ihr Pierre, der Kammerdiener des Grafen, der schon mit ihnen gefahren war, längere Zeit Gesellschaft, er redete ihr ermutigend zu und zündete hier und da Fackeln an; was sich weiter begab, weißt Du. Nach Dir verließ Gretchen mit Pierre die Höhle und wurde am andern Morgen in aller Frühe nach Ruhla zurückgefahren.“

„Das süße Geschöpf wirklich lebend, und nun doch verloren!“ murmelte Karl August. „Gieb mir zu, daß Ihr, Du und das Geschick, mir grausam mitgespielt.“

„Armer Freund! Es kann sein, daß der Mensch zu Zeiten durch das Schicksal gräßlich gedroschen wird; aber wenn es reiche Garben trifft, so zerknittert es nur das Stroh, und die Körner springen lustig heraus!“

„Weisheitskrämer,“ sagte der Herzog bitter und spöttisch.

In diesem Augenblicke stimmte die Orgel in der Kirche, nachdem sie - während der Trauungsceremonie - geschwiegen, die feierliche Melodie zu dem Liede an:

„Nun danket alle Gott!“ welches die Versammlung drinnen mitsang.

„Wäre es nicht recht, uns da zu betheiligen?“ sprach Goethe innig, mit einem Wink nach der Kirche.

Der Herzog lauschte; die zornige Spannung in seinen Zügen ließ nach, er umschlang plötzlich mit beiden Armen den Freund, drückte ihn fest an seine Brust und rief:

„O Du redlicher Warner, Du getreuer Eckart!“

„Gut mein ich’s gewiß, und besser ist’s mir zu folgen, als jenem Mephisto Saint Germain! Nun aber kommen Sie, Gretchen wird sich hochgeehrt fühlen, mit Eurer Durchlaucht an ihrem Ehrentage den Reigen zu eröffnen. Ich hoffe, wir können uns jetzt mit gutem Gewissen unter die Glücklichen mischen?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_742.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)