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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

aber von anderem Charakter. Das zerklüftete Kalkgebirge tritt hier an’s Meer. Die Küstenbildung behält von jetzt ab fast ununterbrochen die gleiche Physiognomie bis zu dem letzten, südwestlichsten Vorsprunge unseres Welttheils, der Felsenfeste von Gibraltar. Ein solches befestigtes, weit in die Brandung hinausspringendes Felsenriff beherrscht auch den Hafen von Alicante. Kahl und schroff, unersteiglich, unbezwinglich ragt diese natürliche Warte hinaus in’s Meer, die Bucht schützend, die zu ihren Füßen tief in’s Land dringt. Unwirthbar, öde, schroff, schimmernder Stein über flimmerndem Wasser bleibt der Strand fortan, so sehen wir ihn die tiefe Hafenbucht von Cartagena weit umschließen, so erheben seine zerklüfteten Wände sich über Almeria, so breitet er seine nackten Arme aus um den Golf von Malaga. Einförmig müßte die schaurige Romantik dieser Gebirgsöde werden, wenn die Steinwüste nicht ebenfalls ihre Oasen bärge, heimliche, entzückende Paradiese.

Das erste, eigenthümlichste, schönste erreichen wir in Elche. Das Gebirge streckt sich westlich von Alicante wieder weit in’s Land zurück, so weit, daß wir nur seine, blauen Linien am Horizonte sehen. Durch eine einförmige, wellige Ebene jagt die Postkutsche mit uns auf der Straße nach Murcia. Für das Auge des Naturfreundes bedeutet diese ärmlich bestellte Flur auch kaum mehr als eine Wüste. Meer und Gebirge sind verschwunden. Da, nach zwei langen Fahrstunden, sehen wir vor uns die Palmenwälder von Elche liegen, ein Stück Oase aus der Sahara auf spanischem Boden. Elche ist der einzige Bezirk in Europa, in dem die Palmen nicht nur zur Zierde, sondern um ihrer Erträge willen gezogen werden. Von der einzigen ersten Palme, die der Kalif Abdurrahman einst aus Afrika gebracht, um sie am Ufer des Guadalquivir bei Cordoba zu pflanzen, sollen diese Wälder abstammen. Jene ist längst verschwunden, Elche hat seine Palmenhaine bewahrt seit einem vollen Jahrtausend.

Diese weit von allem großen Verkehr entlegene Palmencolonie hat sich noch mehr bewahrt, sie erscheint heute noch wie eine völlig arabische Ansiedelung, ein Stück vergessenes Maurenland. Die hohen schuppigen Schafte des schlanken Baumes verbergen in ihrem Schatten gänzlich den stillen Ort. Kleine weiße Häuser, scheinbar dachlos, geformt wie Würfel, liegen zerstreut in dem lichten Haine. Freundlich spielen die Strahlen der Sonne durch die Laubwedel auf dem grünen Grunde, den Gerstenfelder, Blumen, blühendes Kraut mit dichtem Teppich bedecken, den Aloe und stacheliger Cactus einfriedigen. Die braunen Menschen, knapp mit weißem Hemde und kurzer weißer Leinenhose bekleidet, die rothe Schärpe breit um den Leib gewunden, bedienen geschäftig die Bäume, die sie nähren. „Die Palme muß den Kopf im Feuer, den Fuß im Wasser haben“, sagt, ein arabisches Sprüchwort. Das Feuer sendet die heiße Sonne, Wasser aber führt man ihr zu. Der Gebirgsbach, den eine maurische Bogenbrücke überspannt, liefert es. Kreuz und quer ist der Boden durchfurcht, ein ganzes Netzsystem von Rinnen über ihn gezogen; das füllt man, um den ewig durstigen Baum zu tränken. Hier schnürt man Zweige fest zusammen, damit sie bleichen, welken, um für den nächsten Palmsonntag, kunstvoll gewunden, als Osterpalmen an den Markt gebracht zu werden. Ganz Spanien kauft zu dem heiligen Zwecke Palmenzweige aus Elche, die man an den Balcon eines jeden Hauses befestigt findet. Der geweihte Zweig soll alle bösen Mächte fern halten. Dort klettert ein flinker Geselle mit affenartiger Behendigkeit den biegsamen Schaft hinauf, um mit scharfem Messer die süßen Fruchtbündel abzuschneiden. Elche allein versorgt das Land mit Datteln. Die Palmenoase ist eines der märchenhaft schönen Landschaftsbilder Spaniens, von denen selbst die lebhafteste Phantasie sich keine Vorstellung machen kann.

Am Wege, im Schatten liegt eine einfache Posada. Im offenen Flurraum hat die Wirthin einen Tisch gedeckt zum Frühstück. Malven und Rosen, Purpurnelken, Ranunkeln, Orangenblüthen hat sie zu hohen Pyramiden gewunden, um die Tafel zu schmücken. Mit Datteln und Feigen, Nüssen und saftigen Birnen versorgt die Flur sie. Zur Seite liegt der Herd, gebaut aus bunt bemalten Azulejos, den glasirten Fayenceplatten, die kein Volk schöner zu fertigen verstand als die spanischen Araber. Neben dem blanken Kupfergeschirr lehnen die Krüge von gebranntem Thon, ohne Fuß, ohne Henkel. Das Wasser verdunstet, und indem es durch ihre Poren dringt, erhält es sich kühl trotz der Hitze. Auf den Holzkohlen des Herdes rösten saftige Hammelfleischschnitte, die wir als schmackhafte Cotelettes verspeisen.

Die Landschaft bietet an Naturschönheiten nichts, sobald wir den Ort verlassen haben. Immer aber, wo wieder, ein Dorf, ein Flecken am Horizonte auftaucht, umgiebt ihn eine Palmenoase. Das ist ein Eigenthümliches der spanischen Landschaft, daß sie meist am anmuthigsten, heitersten, schönsten wird in der Nähe menschlicher Ansiedelungen. Wo immer in dem ehemals von Arabern besiedelten Lande eine Stadt, ein Flecken, ein Dorf liegt, da umgiebt es eine herrliche Gartenflur, eine Huerta, wie sie hier, eine Vega, wie sie weiter in Andalusien heißt.

Je dünner der Palmenhain, desto malerischer erscheint er. Erst wenn jeder Einzelstamm gegen den tiefblauen Himmel, gegen den falben Kalkstein des Gebirges sich abzeichnet, erkennen wir die vornehme Grazie dieses Kindes der Tropen. Und das Gebirge tritt wieder näher, ganz nahe, je mehr wir uns Murcia nähern. Auf seinen untersten Stufen lagert, weit verstreut unter Palmen, ein Städtchen. Arabisch oder spanisch? wir wissen es nicht. Die weißen Häuserwürfel, die Kuppeln, die eine Moschee oder Kirche überwölben, die schlanken Thürme, die ebensowohl Minarets sein könnten, machen das zweifelhaft. Die Palmen erst recht, die den Berg hinan zwischen den Häusern stehen. Die Palme liebt die Nähe des Menschen, fast niemals sehen wir sie in freiem Felde allein.

Wenige Tage später wandern wir durch die Thalflur von Murcia, eine meilenweite Huerta, von der wilden Segura durchströmt. Murcia ist heute nichts weiter als eine große, allem Verkehr entlegene Landstadt. Erst seit ganz kurzer Zeit wird es von der Eisenbahn berührt, vorher führten nur schwierige Gebirgspfade in den einsamen Thalgrund. Dort sehen wir an Markttagen das spanische Landvolk in seiner vollen Ursprünglichkeit. Arabisches Blut rollt wohl noch allen in den Adern, den kräftigen Söhnen des Gebirges, den schlanken Bebauern der Thalflur. Hier sind wir mitten im Lände, in einem Gebirgskessel, rings von hohen, kahlen Felsenwällen umgeben. Der Gegensatz zwischen dem paradiesischen Thalgarten und der hochromantischen Gebirgswüste der schroffen Sierra wird hier vermittelt durch mildere Abhänge, freundliche Hochthäler, durch Vorhügel, denen weder Bäume noch Ackerfelder fehlen. Es birgt eine gemäßigte Zone sich zwischen die halbtropische Pflanzenpracht, die den Thalkessel der Segura füllt, und jene Höhen, auf denen nur das langhalmige Spartogras wächst, nur Schafheerden von den Kräutern, die in Spalten und Schluchten wurzeln, kümmerlich Nahrung finden, wo nur der Bergmann den Adern von Blei, Kupfer und Silber nachspürt, welche die wilde Sierra durchziehen. Diese Dreitheilung der Landschaft bestimmt auch die verschiedene Art, selbst die äußere Erscheinung des Volkes, welches die Umgebung von Murcia bewohnt. Der Hirt, nothdürftig bekleidet, die grellstreifige Manteldecke um die Schulter geschlungen, steigt von den Gebirgen nieder, er bringt seine Lämmer zu Markte, nimmt trockenen Stockfisch, eine Tasche voll gelber Kichererbsen, ein Bündel Knoblauch, kaum etwas Brod mit hinauf in seine Einöde. Es ist gerade Osterzeit. Seine Lämmer finden schnell Käufer. Der Spanier will nicht nur einen Braten haben zum Feiertage, er muß auch seinem Kinde ein lebendiges Osterlämmchen schenken, mit Flittergold, künstlichen Blumen, Bandschleifen festlich herausgeputzt. Auf allen Straßen Südspaniens begegnet man den Kleinen, die ihr Osterlamm an rothem Bande mit sich führen, in der andern Hand ein Bündel blühendes Kraut, um dem Lieblinge Futter zu reichen. Der Hirt bleibt nicht lange im Thale, in der Stadt. Er zieht mit seinem Erlöse hinauf in die unzugänglichen Berge, macht vielleicht Rast im Schatten einer Palme, hinter einer Aloehecke, neben einem Cactus, verzehrt seine gesottenen Kichererbsen, die größte Delikatesse für dieses genügsame Volk, dem die köstlichsten Früchte fast in den Mund wachsen, und steigt weiter hinauf. Er kennt gewiß die Tropfsteingrotten genau, findet die Höhlen von glänzenden Krystallen, die fern im Hochgebirge liegen, das jetzt von Bergleuten durchforscht und zerbohrt wird. Hier beginnen die reichen Metalladern, die immer stärker werden nach Süden und Westen hin. Mächtige Lager von Silber und Blei, von Salz und Schwefel birgt das Innere der Sierra hier, weiter bei Almeria, und Kupfer wird nirgends in so großer Masse zu Tage gefördert, als aus den Minen von Rio Tinto, westwärts hinter Sevilla. Aus diesen Metallquellen haben Phönicier, Römer, Mauren bereits geschöpft.

Jetzt sind es meist Ausländer, Engländer, Belgier, Franzosen, Italiener und Deutsche, welche die Schätze des spanischen Bodens heben. Die lässigen Spanier haben zuerst das Holz ihrer Wälder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_754.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)