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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der Herzog ging; es war Sonnabend, er wußte, daß die Freunde zur Matinee bei der Göchhausen waren, und wollte irgend ein Fest in Vorschlag bringen, um mit seiner Gemahlin zusammenzutreffen und in zwangloser Weise eine verständigende Unterredung mit ihr herbeizuführen. Er hatte sie so lange nicht in ihrem Zimmer aufgesucht und scheute sich davor.

Karl August erkundigte sich, was man für heute Nachmittag vorhabe, und ob man vielleicht zu morgen einem Ausflug beabsichtige? Er stelle was man wolle zur Verfügung, da er an einem so köstlichen Frühlingstage nicht im Hause sitzen möge, zumal nicht an einem Sonntag-Nachmittage.

Alsbald schwirrten Pläne verschiedenster Art hin und her. Eine Fahrt nach Jena, nach Zwätzen, Burgau, nach der Schneidemühle kam in Vorschlag. Dem Herzoge war dies Alles nicht recht. Er wußte, daß, wenn Luise sich betheilige, sie mit ihren Hofdamen in einem Wagen fahre, und daß in dem bunten Gewimmel einer Landpartie bei kurzem Aufenthalte im Gasthause oder im Freien an ein unbeachtetes Aussprechen nicht zu denken sei. Endlich sagte er:

„Ich will Sonntag Mittag in Belvedere ein kleines Diner geben, nachher können wir im Park promeniren und uns, so gut es gehen will, unterhalten.“

Man wunderte sich im Stillen, daß der Herzog selbst einen solch zahmen Plan entwarf, der sonst nicht nach seinem Geschmacke gewesen wäre, Goethe aber lächelte verständnisvoll und erfreut.

Karl August befahl Seckendorf, den Oberhofmarschall von Witzleben zu benachrichtigen und die Liste der Einzuladenden von ihm später in Empfang zu nehmen.

Bald darauf schlug die übliche Stunde zum Aufbruch. Nur Einer blieb bei der Göchhausen zurück, um, wie er sagte, seinen Prinzen zu erwarten; dieser Eine war Knebel.

Er lehnte sich behaglich in dem kleinen, mit buntem Kattun überzogenen Sopha der Hofdame zurück und bat sie, ihn noch etwas bei sich zu dulden.

„Warum nicht, mon camarade?“ sagte sie in ihrer heiteren Weise; „discutiren wir! Aber blasen Sie mir nicht Trübsal!“

„Etwas derart wird doch als Vorspiel kommen“

„So stecke ich geistig Baumwolle in die Ohren.“

„Verschließen Sie Ihren Geist meinetwegen, thun Sie nur Ihr Herz auf.“

„Sie halten sich also geradezu für bemitleidungswürdig und appelliren an mein Gemüth? Wer hat Ihnen aufgebunden, daß ich mit solcher Schwachheit behaftet bin?“ fragte sie schalkhaft.

„Ein Bischen davon hat doch wohl Jeder abgekriegt?“

„Auf meinen Theil ist zum Glück nicht allzu viel gekommen. Ich lasse den lieben Gott einen guten Mann sein und Jeden vor seiner Thür fegen. Müssen Sie mir aber absolut etwas von Ihrem Staube zukommen lassen, so will ich sehen, welche Schalen und Abfälle Ihrer Wesenheit derselbe enthält. Flöten Sie los; ich stimme die Klageposaune für den Refrain und werde nach einigen Pausen schon richtig einfallen.“

„Sie sind unverbesserlich spöttisch, Thusnelda, und fast sollte einem der Muth ausgehen, mit Ihnen ein vernünftiges Wort zu wagen, aber ich weiß doch, daß hinter der stachligen Außenseite ein rechtschaffenes Herz wohnt.“

„Löcken Sie wider den Stachel!“ sagte sie feierlich.

Es war zu bewundern, daß er nicht bei dem Anblick ihrer drolligen Miene in Lachen ausbrach; es schien ihm aber gar nicht darnach zu Muth.

„Ich fühle mich oft entsetzlich einsam, unbefriedigt unld unglücklich,“ sagte er mit dem tiefsten Ernst.

„Ein ebenso neues wie tragisches Geständniß,“ entgegnete sie, seinen Ton nachahmend.

„Wie fangen Sie es nur an, gleich mir vereinzelt, ebenso wenig durch eine große Berufspflicht erhoben, weder mit Glücksgütern noch mit Annehmlichkeiten gesegnet, sich den stets heitern Sinn zu bewahren?“

„Ah, Sie wollen ein moralisches Recept?“

„Nehmen Sie’s, wie Sie mögen; ich habe oft schon die Empfindung gehabt, mich an Ihnen aufrichten zu können; Ihr leichtlebig Wesen hat mich befreit, Ihre Heiterkeit mich angesteckt. Ja, wenn die Theorie von der Ergänzung etwas taugt, passen wir besonders gut zusammen.“

„Sie denken: hier ein fünftes Rad am Wagen und da eins, giebt zusammen einen leidlichen Karren. Es gehört aber doch noch mehr dazu.“

„Der nahe Anschluß an ein fröhliches Weib würde mir wohlthun, Luise; sollte ich diese beglückende Ergänzung meines unbefriedigten, trüben Ichs in Ihnen gefunden haben? Könnten Sie mich mit allen meinen düsteren Launen lieben, mir Ihre Hand reichen?“

„Zu jedem Contretanz, Freund Knebel, gern, aber nicht zur Ehe, dazu ist Thusnelda Göchhausen nicht gemacht. Ich muß meine Rolle allein ausspielen, und, Hand auf’s Herz, Camerad, Sie lieben mich auch gar nicht!“

Er sah sie erschrocken an und stammelte: „O ja, o doch!“

„Flausen, alter Freund, reden Sie sich keinen Unsinn ein, ich weiß besser, wen Sie lieb haben, als Sie selbst es zu wissen scheinen. Werden Sie doch Ihrem Singvogel, Ihrem hübschen Rudelchen nicht ungetreu! Der Mensch ist thöricht, der sich freiwillig in eine fremde Maske zwingt! Freuen Sie sich, daß ich nicht so unvernünftig bin, Ihnen mit einem geschluchzten Ja um den Hals zu fallen. Es wäre ein wahrer Jammer für Sie, wenn Sie mich heirathen müßten. Sie können nicht recht zum Entschluß kommen, sich Ihrer Liebsten zu erklären; Sie meinen, daß die bürgerliche Sängerin für den ritterlichen Ludwig von Knebel nicht recht paßt, Sie wollen sich vor der Versuchung retten und kommen deshalb zu mir. Schönen Dank, edler Herr, und aus Dankbarkeit diesen guten Rath: folgen Sie Ihrem Herzen, dann wird Ihnen wohler!“

„Luise!“

„So heißt die Rudorf, ich bin Ihre ganz ergebene Collegin Thusnelda!“

„Nun denn, Thusnelda, geschlechtsloser Dämon, der Sie sind, soll ich Ihnen zürnen oder danken für den Rath?“

„Ich denke, Ihr erleichtertes Gemüth sagt Ihnen, was ich verdiene! Aber gute Freunde wollen und können wir bleiben!“

Sie hielt ihm ihre kleine Hand hin, in die er herzlich und in der That mit einem erleichterten Gefühl einschlug.


Der Sonntag Mittag versammelte eine auserlesene Gesellschaft im Empfangssaale des Belvedereschlosses. Es waren nur Personen befohlen, von denen der Herzog wußte, daß sie seiner Gemahlin zusagten. Karl August hatte sich endlich den Entschluß abgerungen, eine Versöhnung mit Luise zu suchen; dieser Vorsatz ließ aber ein beklemmendes Gefühl in seinem Gemüthe entstehen, und voll Spannung ging er dein Zusammensein entgegen.

Hätte er einen andern Ausweg gewußt, so würde er denselben gewählt haben; denn noch immer sprach nichts in seinem Herzen für die sanfte, hoheitsvolle Frau. Es war nur das Unterliegen seiner Gegengründe; er gab lediglich den Vorstellungen seiner Mutter und seines treuen Freundes nach. Augenblicklich ohne Herzensidol, war es mehr ein verdrossenes Sichfügen, als ein eigenes Verlangen, dem er Rechnung trug. Zugleich aber lag ihm daran, von Luisen nicht abgelehnt zu werden; er fühlte, daß es dann zu einem dauernden, nie auszugleichenden Bruche kommen müßte; daß, wenn er jetzt keine Uebereinkunft erzielte, seine Mannesehre, sein Selbstgefühl so empfindlich verletzt sein würden, daß er den Schlag nie verwinden könnte. Deshalb die Spannung und die rücksichtsvolle Auswahl der Gäste; seine Gattin sollte erheitert werden, sollte guter Laune sein, dann hoffte er sie zu versöhnen.

Unter den Eingeladenen befand sich als Beichtvater und Freund Luisens auch der Generalsuperintendent Herder, dessen Anwesenheit dem jungen Fürsten von vornherein ein feierlich gespanntes Gefühl gab.

Als die Gesellschaft versammelt war und der Herzog mit seiner Gemahlin, seiner Mutter und Constantin eintrat, um den sich tief verneigenden Kreis zu begrüßen, hatte er nicht die Empfindung, zu seinem Vergnügen gute Freunde bei sich zu empfangen, wonach er Verlangen getragen, sondern nur die, einem Ceremoniell, einer Rücksicht zu genügen, als deren Bestandtheil er die blasse Frau an seiner Seite ansah. Er streifte sie mit einem verdrießlichen Seitenblicke und wurde sich mit wahrem Schmerz wieder einmal der völligen Verschiedenheit ihrer beiden Naturen bewußt.

Das Diner verlief unter den üblichen Formen; nach demselben

wurden die Flügelthüren des Empfangssaals geöffnet, welche auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_759.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)