Seite:Die Gartenlaube (1884) 770.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

da einst geherrscht und gehaust, und läßt geliebte und gefürchtete Gestalten der Geschichte durch die Thäler und Burgen vor uns wandeln. Aber zum Schluß kommt er doch mit uns zur Gegenwart zurück und zum schönsten Anblick des Gebirgs am klaren Sommerabend und schildert uns das Alpenglühen von der goldenen und purpurnen Farbenpracht bis zu in Verduften in Blau und Grau und weißen Nebel.

Und in ähnlicher Weise fesselt uns Abschnitt um Abschnitt, Bild um Bild durch das ganze Buch.

Wir blättern weiter und kommen zum ersten Vollbild: das Kaisergebirg, im Holzschnitt von A. Cloß nach einer Zeichnung Richard Püttner’s. Es ist ein Stück Bergwelt, wie es deren viele in den Alpen giebt: Waldthal, Gebirgsbach, wildes Gehölze und zum Himmel aufragende Felsencoulissen mit verschwimmendem Hintergrunde, aber wie fesselt uns der Anblick! Unwillkürlich drängt sich uns die Frage auf: wie ist’s möglich, ein Bild von solcher Wirkung mit den einfachen Hülfsmitteln des Stifts und Stichels auf dem Buxbaumstocke zu vollenden? Wir denken an den Anfang dieser Kunst zurück, an die ersten unbeholfenen Leistungen der „Formschneidekunst“ im 15. Jahrhundert, wo es ein großer Fortschritt war, den Umrissen der dargestellten Gegenstände die ersten Schattenstriche hinzuzufügen und endlich sogar sich bis zu Kreuzlagen zur Vertiefung der Schatten hiuanzuwagen. Und nun diese technische Meisterschaft, in die sich der Holzzeichner, Holzschneider und Drucker theilen und welche bewirkt, daß wir nach recht innigem und sinnigem Anschauen nicht selten bei einem solchen Bilde die Farben der Natur herausfühlen – oder hinein. Es treibt uns, auch in anderen landschaftlichen Darstellungen, von der düstersten, wildesten Natur bis zu der sonnenklaren Welschtirols, diese Wahrnehmung zu suchen, und da wir nicht nur bei den Voll-, sondern auch bei vielen Textbildern dieser Wirkung überall begegnen, wo der Gegenstand uns besonders anregt, so dürfen wir uns wohl zu der Ueberzeugung bekennen, daß in diesem Werke die Illustrationskunst eine noch vor wenigen Jahrzehnten nicht geahnte Stufe der Leistungsfähigkeit erreicht habe.

Daß wir mit dem Land auch die Leute, die es bewohnen, in diesem Buche kennen lernen sollen, dafür sorgt ein treffliches Künstler-Kleeblatt: Franz Defregger, Alois Gabl und Mathias Schmid, die alle drei sich S. 195 uns im Bildnis; vorstellen. Meisterwerke der Genre- und Historienmalerei, welche die größten Ausstellungen schmückten, sind gerade gut genug, um diesem Werke den sitten- und volksgeschichtlichen Bilderschmuck zu verleihen. Da sehen wir Defregger’s „Ringer“ und „Zitherspieler“, den „Ausbruch der Jäger“ und „Jägers Heimkehr“ und vor Allem das liebliche „Tischgebet“ voll heiterster Kindergesichter, weil der kleinste Bub’ trotz aller Mühe der Großmutter die Händchen zum Beten nicht zusammenfalten will.

Mathias Schmid läßt uns den schauerlichen Gang der „Schmuggler“ sehen und den anmuthigsten „Heimgarten“ belauschen, er zeigt uns die Frauengestalten vom Bregenzerwald und von Montafun, aber auch des „Enzianwurzelgräbers“ beschwerliches, der „Karrenzieher“ hartes Loos, und neben seinen wohlgemuthen „Montafuner Krautschneider“ stellt Alois Gabl den „Imster Vogelhändler“ mit seiner hochanfgethürmten zwitschernden Traglast. Er läßt uns in des Tirolervolks Geschichte blicken, in das Sturmjahr von Anno Neun mit seinem „Haspinger“, wie er den Aufstand predigt, und in die Gegenwart mit einem Genrebild, das die traurigste Geschichte verräth und geißelt: „Der unterbrochene Tanz“ ist die Ueberschrift, der Inhalt aber die Anklage gegen die geistliche Uebergewalt über das arme Volk, das seine Freudenlust oft vor den Gestrengen verstecken muß. Dieses Bild predigt auch, aber nur die bittere Wahrheit, daß eine solche Volkszucht die Heuchelei groß ziehen muß. Das Licht der Bildung veredelt auch die Volksfreuden. Aber wo die Finsterniß gepflegt wird, muß freilich Schiller’s doppelsinniger Ausspruch noch lange gelten: „Die Nacht weicht langsam aus den Thälern.“

Auf der Alm verlangen schließlich auch diejenigen Geschöpfe Beachtung, welchen die Alm Lebensbedingung ist, und dafür hat Franz von Pausinger gesorgt in Almenscenen, Viehmärkten und dein Bilde vom „Schafesalzen“, das uns den Kampf der Schafheerde um das ihnen zum Lecken ausgestreute Salz lebendig zur Anschauung bringt. Und da die fünf Autoren mit ganzem Herzen an ihre Arbeit gegangen und mit der Eigenart ihrer Darstellungsweise ihrem Gegenstand möglichst gerecht zu werden gestrebt, so bleibt uns nichts übrig, als anzuerkennen, daß die leitenden Geister dieses Werks ihre Aufgabe nach jeder Richtung gelöst haben, und scheiden von dem einen Buche, um freudig das andere aufzuschlagen.

Die „Wanderungen im bayerischen Gebirge und Salzkammergut“ sind „dem deutschgesinnten Fürsten, dem hohen Schützer der Kunst, dem begeisterten Verehrer der Bergwelt, König Ludwig von Bayern“, von den Herausgebern gewidmet. Auch hier rufen am Eingang „die Berge“ uns zu:

„Ob dir Leid ob Wonne fluthe durch das heiße Menschenherz,
Blick auf uns, und mit den Augen steigt die Seele himmelwärts!“

und ebenso begegnen wir in diesem Buche auf jeder Seite derselben eifrigen, sinnigen, kunst- und kenntnißreichen Behandlungsweise des unerschöpflichen Gegenstandes, wie wir sie bereits anerkannt haben. Allerdings tritt ein Unterschied zwischen den beiden Hochgebirgstheilen uns entgegen, aber der liegt in der verschiedenen Natur von Land und Leuten. Das bayerische Gebirg besitzt größere Mannigfaltigkeit, es steigt aus der Ebene erst empor, und darum kann H. von Schund uns ein Capitel „Vor den Bergen“ erzählen, in welchem schon die Ansichten und Bilder vom Ammersee, von Oberammergau, vom Starnbergersee und seinen Herrlichkeiten (Schloßberg, Possenhofen, Ammerland, Bernried etc.), von Benedictbeuren, vom Kochelsee, vom Isarthal und Tölz, Mangfall und Innthal uns auch durch anmuthige Schönheit fesseln, während die Berge selbst, vom Wetterstein und Zugspitz bis zum Watzmann und Untersberg, an wilder Großartigkeit nicht Mangel haben.

Denselben Unterschied zeigt die Bevölkerung. Im bayerischen Hochgebirgsgebiet, das auch schwäbisches Volk umfaßt, ist das junge Leben heller und freudiger, ja poesie- und gesangreicher, als in Tirol. Denn trotz der dunklen Geschichten, die unser Buch von Wildschützen und Räubern, Schmugglern und Haberfeldtreibern in Wort und Bild enthält, haben Diez, Raupp, Watter und Gabl Stoffs genug zu Bildern aus dem Arbeits-, Glaubens-, Sitten- und Vergnügungsleben des Volks gefunden, die eine besondere Zierde des Werkes sind. Auch die Thierbilder von Friedrich Voltz sind ein unentbehrlicher Schmuck desselben. Selbstverständlich fiel auch hier der Löwenantheil der Leistungen den Landschaftern, wie Gustav Cloß, Ritter, Steffan, Wopfner, Püttner etc. zu, wiederum gerechter Weise Holzschneider und Drucker nicht zu vergessen!

Wir müßten den uns hier zugewiesenen Raum überschreiten, wollten wir auch auf den dritten der Bände „Wanderungen durch Steiermark und Kärnten“, welcher das Gesammtgebiet der „Deutschen Alpen“ erst vollständig macht, näher eingehen. Nur soviel sei gesagt, daß dieser Band, in welchem Fritz Pichler, A. von Rauschenfels und der unseren Lesern wohlbekannte P. K. Rosegger die Führung übernommen, in seiner künstlerischen Ausschmückung sich in jeder Beziehung würdig an die beiden anderen anschließt – und zwar auch in Beziehung auf besondere Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche sowohl Land als Leute bieten und durch deren Hervorhebung die volle Ebenbürtigkeit dieser dritten Wanderung mit den beiden ersten ja erst dargethan wird. Welchen Reichthum für Bild und Wort entwickelt vor unserem Blicke „die grüne Steiermark“ von den Höhen des Semmerings bis hinab zum Thal der Mur! Da giebt es ein steierisches Paradies und eine untersteierische Schweiz, da ruft eine Ueberschrift „Das herrliche Aussee“ aus und „Hoch vom Dachstein!“ eine andere. Und wer die Bilderreihe durchblättert von der Weinzettelwand der Semmeringbahn in Steiermark bis zur Wolfsburg und zu der Straße in St. Leonhard im Kärntnerländel, der kommt in wahrhaftige Verlegenheit, wenn er sich gestehen soll, wo er am liebsten und längsten weilen möchte. So ergeht es schon Dem, der nur in dem Buche liest, und wie gar Dem, der selbst in diesen Landen wandert!

Von den zahlreichen Kunstblättern, welche diese drei Bände enthalten, führen wir dem Leser zwei Meisterstücke vor Augen: „Die Mühlsturzhörner“, von G. Cloß, und „Hallstadt“, von Richard Püttner. Die „Mühlsturzhörner“ gehören zu den oberbayerischen Bergriesen. Wenn man sich das Berchtesgadener Land wie eine Festung mit mächtiger Bergumwallung vorstellt, so bilden unsere „Mühlsturzhörner“ in Verbindung mit dem Stadelhorn und dem Lattengebirg die westliche Umwallung. Oestlich steht der Watzmann als Hochburg des Landes. Ewig genährt brausen die Bäche aus den Schluchten hervor und in die Thäler hinab, während die Felskolosse in unnahbarer Einsamkeit thronen. Die Illustration ist in der technischen Ausführung und in der perspektivischen Wirkung in hohem Grade gelungen.

Dasselbe gilt von Püttner’s „Hallstadt“, das uns K. Stieler schildert als den Ort, dem der Hallstädter See sein eigenthümliches Gepräge giebt. „Es ist ein Ort,“ sagt er, „am Fuß des Salzbergs gelegen, an den die Häuser nestartig sich auschmiegen, während die Fluth fast ihren Fuß bespült. Nicht neben einander, sondern über einander scheinen sie erbaut, es giebt keine Straßen, sondern nur steile Gangsteige hier, kein Wagen rollt mit lautem Hufgedröhn, sondern nur das Schiff landet aus den rauschenden Wellen.“ In Hallstadt leben Katholiken und Protestanten so friedlich zusammen, wie die Thürme ihrer beiden Kirchen zu einem Himmel anfragen. „Die Kirchfahrt auf dem Hallstädter See an einem luftig blauen Sonntagsmorgen, wenn Hunderte von kleinen Kähnen über die Fluth hingleiten und das Glockengeläute zwischen den Felsenwänden verhallt – das ist ein ebenso tief poetisches wie charakteristisches Merkmal dieser Gegend.“ Aber auch das Unglück hat hier eine Heimstätte, denn „nicht selten begegnet man mißgebildeten Menschen, bei deren Anblick uns unwillkürlich die alten Räthsel bedrängen, warum die Natur hier so reich verschwendet und dort so arm macht, warum sie Schönheit und Elend oft so nahe an einander rückt. Darauf giebt auch der goldene Glockenton, der bezaubernd über den See hinfluthet, keine harmonische Antwort – wir mögen Berg und Thal ergründen auf unseren Wanderungen, aber den Geheimnissen des Schicksals führt kein Wandern näher.“

Wenn wir zum Schlusse noch einmal den Eindruck prüfen, welchen diese „Wanderungen“ im Ganzen auf uns ausgeübt, so bleibt uns noch eine bis jetzt verschwiegene Anerkennung auszusprechen übrig. Bekanntlich ist der Gedanke solcher Heimathverherrlichung nicht neu, der alte Matthäus Merian (1593 in Basel geboren) hat ihn zuerst ausgeführt, er hat mancherlei Nachahmer gefunden, welche Lithographie und Stahlstich zu ihren „malerischen“ und „romantischen“ Werken benutzten, aber erst der Holzschnitt in seiner heutigen Vollendung machte die wahre Textillustration und damit ein nationales Werk wie das vorliegende möglich, über welches sogar eine französische Stimme der Gegenwart das Urtheil spricht: auch wer nicht Deutsch verstehe, müsse in jedem dieser Prachtbände ein Album der Kunst bewundern.

Endlich ist dieses Werk nicht blos für die Glücklichen bestimmt, welche alljährlich ihre Reiselust in den Hochgebirgen befriedigen und des Geschauten und Erlebten nun in der Erinnerung sich erfreuen können, auch der Mann, dem so Großes nicht vergönnt ist, der aber gern ein gutes Buch sein eigen nennt, kann bei der billigen Lieferungsweise desselben seines Besitzes froh werden und im Kreise seiner Lieben all die herrlichen Reisen Band um Band am Familientisch in den langen Winterabenden durchschwärmen.

Fr. Hofmann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_770.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)