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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Deutschlands ressortiren. In demselben Berlin endlich ist auch der Sitz eines Admiralitätscollegiums, eines Marineministeriums, dessen eisengepanzerte Schiffe deutscher Habe, deutschem Recht, deutscher Ehre in allen Meeren und Zonen Schutz, Respect und Geltung verschaffen und nicht minder auch der wissenschaftlichen erdkundlichen Disciplin aus allen Ländern und Meeren hochschätzenswerthe Beiträge zuführen.

Es währte lange, bis dies so gekommen war, und noch 1865 klagte Peschel in der Vorrede zu seiner Geschichte der Erdkunde: „Wer die Geschichte der Erdkunde zur Hand nimmt, um darin die Ehren des deutschen Volkes verzeichnet zu finden, der wird gemischten Eindrücken entgegen gehen. Er wird gewahren, daß er einer Nation angehöre, die überreich an Zierden und arm an Thaten ist. Wo hohe Aufgaben nur durch die Kräfte eines Staates gelöst werden können, zeigt unsere Geschichte nichts als eine Reihe versäumter Gelegenheiten; wo es aber dem Einzelnen möglich war, ohne öffentlichen Beistand der Wissenschaft große Dienste zu leisten, oder wo fremde Nationen thatenlustig nach Werkzeugen suchten, da haben sich stets Deutsche herbeigedrängt, und die Zahl der Unserigen, die in die Gefahr gingen und in ihr unterlagen, ist bis auf die Gegenwart ruhmwürdig groß gewesen. Was hätten andere Nationen geleistet, wenn sie über eine ähnliche Fülle geistiger Kräfte zu verfügen gehabt hätten! Wenn wir dennoch bei der Vertheilung der wissenschaftlichen Verdienste nicht hinter anderen Völkern zurückstehen, so müssen wir unsere Vertreter um so höher feiern, weil sie soviel erringen konnten, obgleich sie Deutsche waren!“

Schon das folgende Jahr 1866 gab indeß nachhaltigen Aufschwung zu dem großen, lange geträumten Ziele einer deutschen, nationalen Marine. Wir erhielten Eine Flagge, die preußische Flotte wurde zur deutschen Flotte, der norddeutsche Reichstag begann das Schöpfungswerk, und mit der Entstehung des deutschen Kaiserreichs trat auch die deutsche Flotte in ein neues Stadium der Entwickelung.

Was sie seitdem für die Wissenschaft geleistet, gehört mehr in die Geschichte der Geographie, als in unser specielles Thema, aber mit der erhöhten Machtstellung Deutschlands wuchs auch der Beruf und die Pflicht. Die Schutzmacht der Heimathsküsten mußte auch Schutzmacht werden des Verkehrs in allen Meeren und allen Ländern.

Ermuthigt durch die großen Siege an den Grenzen des Vaterlandes traten die Deutschen in den überseeischen Ländern mit größerem Selbstbewußtsein auf. Der Schweiß der deutschen Forscher, die Mühen der deutschen Kaufleute sollten nunmehr Früchte tragen, und wenn wir auch spät auf dem Felde der Colonialbestrebungen erschienen sind, so spät sind wir doch nicht gekommen, um leer wie der „Poet“ in der Schiller’schen Dichtung auszugehen. Noch in letzter Stunde geschah die große Wendung, und stolz weht die deutsche Flagge auf fremden Meeren und Küsten als Wahrzeichen eines sicheren Schutzes für alle Angehörigen der deutschen Nation, und Deutschland hat endlich den ihm gebührenden Sitz eingenommen im Rathe der seefahrenden Völker.

J. Loewenberg.


Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
31.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Im December 1778. Erich will wiederkommen; er will das Weihnachtsfest mit uns verleben, wie in den vorigen Jahren. Welch eine Zeit steht mir bevor! Was soll ich ihm entgegnen, wenn er seine Werbung erneuert, wenn mein Vater davon Kenntniß erhält? Ich werde Erich’s trauriges Gesicht sehen, er wird an meiner Güte, meiner Aufrichtigkeit zweifeln – o, wie soll ich mich retten? Wie soll ich ausweichen, ohne Schmerz zu bereiten, ohne den wahren Zustand meines Herzens zu verrathen?

Er ist mit meinem Bruder Max angekommen. Vater war zur Post gegangen und brachte sie, so heiter gelaunt wie selten, gleich in’s Wohnzimmer. Erich eilte auf mich zu; ich vermochte es nicht, ihm einen Schritt entgegen zu gehen. Es schien mir, er wolle die Arme ausbreiten, mich zu umfangen, ich aber wich zurück und reichte ihm die Hand. Und doch, als ich ihn ansah, wie gut gefiel er mir! Das offene, frische Gesicht, das blonde, gelockte Haar, die stattliche, schlanke Gestalt, als ob ich seine Schwester wäre, wallte ihm mein Herz entgegen, und ich hätte ihn ebenso gern umarmt wie Bruder Max. Er aber meint es nicht so, das sehe, das fühle ich aus jedem Blick und Wort!

Die Beiden durcheilen die Stadt, Besuche zu machen; es geht in unserem Hause jetzt fröhlicher zu als sonst. Täglich kommen Gäste und Einladungen von allen Seiten. Ich muß mich putzen, muß mitgehen, tanzen, lächeln und immer und immer Erich’s Entgegenkommen zurückweisen, obwohl ich doch weiß, es hilft nichts, er will endlich ein Ja auf seine Frage.

Und Er, mein hoher Gebieter, dem ich jetzt oft nahen darf, ihm – ach, das fürchte ich – ihm bin ich nichts, als das Veilchen am Wege, das sein Fuß achtlos zertritt! Aber sind Liebe, Bewunderung, Anbetung keine starken, selbstständigen Empfindungen? Was ist gegen diesen jauchzenden Lebensodem meiner Brust, der mich so viele Jahre lang schon erhält, das schwächliche Gefühl mühsam abgezogener Gegenliebe? Halb Eitelkeit und halb Dankbarkeit. Und so manches Herz mag sich damit begnügen?

Nein, ich kann diese Alltagskost nicht nehmen, nicht geben! Goethe behandelt mich wie alle anderen Mädchen; er tanzt fast an jedem Ballabend mit mir, sagt mir hier und da auch etwas Gutes, Artiges; mehr empfangen die Anderen auch nicht.

Gestern Abend, als wir vom Schlosse heimkehrten, nahm Vetter Erich so entschieden meinen Arm, Vater und Max folgten so langsam, daß ich mit Zittern fühlte: jetzt schlägt die große Prüfungsstunde!

„Christel,“ sagte er weich, „endlich mußt Du mir näher angehören. Meine scheue Taube, flieg mir nicht wieder davon. Sieh, geduldig wartete ich auf Deinen Wunsch Jahr und Tag. Jetzt hoffe ich auf Dein Jawort, jetzt halte ich’s nicht länger aus. Deines Vaters Segen habe ich; was zaudern wir? Die Welt hält uns längst für einig, und warum wollen wir unser Glück, unser wonniges Zusammensein, nicht noch reizvoller genießen? O Christel, sage ja, sei endlich mein!“

So etwa sprach der gute Vetter; armer, lieber Erich! Ich habe Dir wohl recht unzusammenhängend geantwortet? Es ist auch gleichviel, was ich sagte.

Wir waren nah am Hause und traten ein. Tante Barbara kam uns mit Licht entgegen; dann standen wir plötzlich alle in der Wohnstube. Vater nahm meine und Erich’s Hand, fügte sie in einander und sprach feierlich:

„So gesegne denn Gott Euren Bund, meine Kinder! Mir erfüllt sich ein großer Wunsch. Du, liebe Tochter, verschönst mir die letzten Tage eines vielgetrübten Lebens! Mit Zuversicht lege ich Dich in die Arme dieses tugendhaften Jünglings, an dessen Seite Dir ein glückliches Loos beschieden sein wird. Ein Leben, geheiligt durch das Gebet Eures Vaters!“

Er war so beredt, so gerührt, wie ich ihn nie zuvor gesehen.

Wir umarmten uns Alle unter einander, oder vielmehr, sie umarmten Alle mich.

Ich war starr, wie früher so oft, und weiß nicht, wie ich mit Barbara in meine Kammer gekommen bin. Die gute Alte kleidete mich aus, wie sie es jeden Abend thut, und sprach vielerlei zu mir; ich hörte nur Ton und Worte, den Sinn begriff ich nicht; in derselben Starre brachte ich die halbe Nacht zu, während der anderen Hälfte saß ich aufrecht und weinte. O, was soll aus mir werden?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_774.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)