Seite:Die Gartenlaube (1884) 776.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Also doch! schrie es in mir, also doch! Sie besitzt sein Herz; ihr gehört er an. Elend, o Nacht des Jammers!

Ich barg meinen Kopf in den Händen.

Undeutlich nur sah oder empfand ich, daß Jemand sich zu dem Paare da draußen gesellte und daß es aufstand, daß ich allein war.

Nach geraumer Zeit kam Caroline zu mir, sagte, sie habe mich gesucht, die Gesellschaft sei fort, wir müßten aufbrechen.

Wir gingen; ich in einem Wirbel verzweiflungsvoller Empfindungen. Er! – O großer Gott, ich konnte es nicht ausdenken, ohne daß sich mein Geist verwirrte!

Ich glaube, wir hatten einen schönen Abend; Linchen sagte es mir und meinte, ich sei so erregt und seltsam, wir wollten noch spazieren gehen, das werde mir gut thun. Wir gingen. Wohin? Was Caroline plauderte? Ich weiß es nicht.

Plötzlich standen wir am rauschenden Wehr, in der Finsterniß dicht schattender Linden. Vor uns der Fluß mit dem weißen Schaum, der stark herunterfallend plätscherte und brauste. Und dann der Flußgott; ein weißes Menschenbild, aus dem weißen Schaum auftauchend, mit langem dunklen Haar und seinen Zügen. Der warf sich nieder, schwamm, schnellte auf, jauchzte – o, und winkte mir!

Ich komme! schrie es in mir, Du sollst nicht vergebens locken, meine Seele nennt Dich: Herr! gehorcht Dir, ist Dein! Zu Dir, zu Dir in die schäumige Tiefe! Das ist Erlösung, das ist Reinbaden von aller Seelenangst, aller Zukunft, die so dräuend dasteht!

Schweigend ging ich an Linchens Seite nach Hause.

Still, mein Herz; lebt wohl, Ihr Alle – ich folge nur ihm, nur Dir – ich komme!

(Fortsetzung folgt.)




Oscar Pletsch, der Zeichner der Kinderwelt.


Es war im Kriegsjahre 1859, als in der Buchhandlung des Rauhen Hauses in Hamburg ein Buch erschien, dessen reizende Kinderbilder bald Jung und Alt entzückten und dessen Autor sich als Landwehrkanonier vorstellte,

„Der besser mit Kanonen schießt,
Als Reim und Poesie ihm fließt.“

Während in Italien ein wirres Kriegsgetümmel zwischen den Piemontesen und Franzosen auf der einen und den Oesterreichern auf der andern Seite herrschte, hatte sich der Künstler mit emsigem Fleiße und stillem Glücke an die Ausführung und Vollendung seines Buches gemacht, und als der Krieg im Süden so drohende Gestalt annahm, daß auch Preußen rüstete, um im Falle der Noth bereit zu sein, seine Grenzen und Interessen mit den Waffen zu vertheidigen, da hatte er sein Buch glücklich vollendet. Und eben zur rechten Zeit; denn nun mußte auch er mit ausziehen, zwar nicht direct in’s Feld, aber doch fort aus dem behaglichen Neste, das er sich eben erst gebaut, fort von seinem Weibe und fort von der „Knospe, die der Frühling trieb“ – von seinem Kinde.

Der Landwehrkanonier und Künstler war der Maler Oscar Pletsch, sein Buch die heute überall bekannte „Kinderstube“.

Der Lebensgang des Künstlers bietet wenig Außerordentliches. Geboren am 26. März 1830 in Berlin, verlebte er dort, wo sein Vater Zeichenunterricht an der Artillerieschule ertheilte, auch seine erste Jugend. Durch Unterstützung eines wohlwollenden Freundes seiner Familie, des Predigers Seidig, wurde es ihm später möglich, nach Dresden zu gehen, wo er ein Schüler Bendemann’s wurde und sich im Entwerfen historischer Compositionen wie im Portraitfache übte.

Der Aufenthalt in Dresden brachte Pletsch mancherlei geistige Anregungen und wurde für ihn um so bedeutungsvoller, als dort gerade in den vierziger Jahren auf dem Gebiete der Kunst ein reger Wettkampf herrschte, der ihn nothwendig aufforderm mußte, sich der einen oder andern Richtung anzuschließen, und der in der That für seine künftige Schaffensthätigkeit von entscheidendem Einflusse wurde. Er brachte ihm die Erkenntniß, daß eine einseitige Verehrung der schönen Form und des Gedankens ebenso zu Irrthümern führe, wie übertriebene Werthschätzung der Farbe und pedantischen Nachbildung der Natur. Namentlich wurde ihm dies einem Künstler wie Ludwig Richter gegenüber klar, der selbst das Einfachste mit sinnigem Zauber zu umgeben verstand und die wahre Kunst hochzuhalten wußte, ohne sich an die überlieferten Formen zu binden oder andererseits der Natur zu nahe zu treten.

Professor Oscar Pletsch.

Nach Berlin zurückgekehrt zeichnete Pletsch zunächst Illustrationen zu verschiedenen Werken für Erwachsene; seit 1859 wandte er sich jedoch fast ausschließlich der Wiedergabe von Kinderscenen zu. Die lachende Lust, das fröhliche Spiel, die jubelnde Freude der „goldenen Kinderwelt“, all ihre kleinen und großen Sorgen, ihre Neigungen und Abneigungen, ihre Geheimnisse und Schalkhaftigkeiten hatten einen bezaubernden Reiz auf den Künstler ausgeübt von dessen frühester Jugend an. Voll zum Durchbruche kam in ihm die Freude am Kinderleben und die nach dieser Richtung drängende künstlerische Schaffenskraft indeß erst, als er sich selbst ein Heim gegründet hatte und ihm in glücklicher Ehe ein eigenes Kind geschenkt war. Da wurde die Mappe mit den Bildern „für große Leute, klug und alt“ bei Seite geschoben und Alles, was er fortan zeichnete, war der Kinderwelt entnommen und den Kindern gewidmet. Sein Modell war jahrelang sein Kind. Er zeichnete es in der Wiege und auf dem Arme der Mutter, schlafend und wachend, lachend und weinend.

„Und wenn’s die Mutter zu mir bringt,
Und wenn’s die Händchen um mich schlingt,
Wenn’s lächelt und wenn’s jubelnd lacht,
Das ist es, was mich glücklich macht!“

– so sang er selbst bereits in jenem ersten Buche, dem seit 1859 zahlreiche andere gefolgt sind. Sie alle legen in beredter Sprache von seinem Glücke Zeugniß ab und manches derselben, wie z. B. das reizende „Was willst Du werden?“, ferner „Kleines Volk“, „Gute Freundschaft“, „Allerlei Schnik-Schnak“ etc., hat seinen Siegeszug um die Welt angetreten. In Deutschland vollends dürfte es kaum eine kinderreiche Familie geben, in der nicht wenigstens die eine oder andere seiner reizenden Gaben zu finden wäre und die Eltern wie die Kinder aufrichtig erfreut hätte; hat der Künstler es doch verstanden, alles Abstoßende, Unschöne zu vermeiden, und athmen doch alle seine Bilder trotz ihrer Schlichtheit echtes, herzgewinnendes Leben.

Seit dem Jahre 1872 bewohnt Oscar Pletsch in Niederlößnitz bei Dresden ein freundliches Heim. Berlin vermochte ihn nicht mehr zu fesseln. In launiger Weise nahm er von seinen Freunden Abschied in einem Gedichte, in dem es unter Anderem hieß:

„Addio, beste Freunde! Laßt mich zieh’n!
Gönnt mir ein Heim, unkündbar, frei und friedlich.
Zur Weltstadt wurde allerdings Berlin,
Doch – unter uns! – verteufelt ungemüthlich.“

Der Erfolg seiner Werke gab dem Künstler eine gewisse Unabhängigkeit, sodaß er seinem Lebensabend ohne äußere Sorgen entgegensehen darf, wenn es auch eine betrübende Thatsache ist, daß der pecuniäre Gewinn seiner Werke für ihn kein so bedeutender war, wie in weiteren Kreisen angenommen werden mag. Die Gründe hierfür mögen verschiedene sein; sicher ist, daß die geschmacklosen, oft caricaturartigen Buntbilder, wie sie nach englischem Muster in den letzten Jahren das Land überschwemmten, der Verbreitung seiner Werke ungemein geschadet haben und nicht etwa, weil sie die Pletsch’schen Bilder überholt, sondern nur, weil sie den Reiz der Neuheit boten. Heute freilich beginnt dieser Reiz merklich nachzulassen, und man darf wohl erwarten, daß, wie es dringend zu wünschen, mit dem Aufgeben des minderwerthigen Neuen eine Umkehr zum vorhandenen Guten verbunden ist und daß damit dann auch die (zumeist im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig erschienenen) Pletsch’schen Bücher wieder die verdiente Würdigung finden werden.

Die „Gartenlaube“ hat ihren Lesern bereits in Jahrgange 1871, Seite 60 die Bekanntschaft des Künstlers vermittelt, ein Jahr vorher (vergleiche Seite 808 und 809) zwei Probe-Illustrationen aus seinem Buche „Auf dem Lande“ gebracht und 1872 Seite 478 auch das oben

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_776.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)