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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Corso de las Delicias mit dem Palaste Montpensier in Sevilla.
Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Räume, die den Fremden in einen Märchentraum versetzt, übt, auf die Sevillanerinnen zumal, einend unwiderstehlichen Reiz. Und ist es denn dort nicht auch wie im Paradiese? Der Blick schwelgt in Entzücken über die Herrlichkeit, die sich da vor ihm aufthut. Liebreizende Bilder des Glücks, irdischer Wonne, der Freuden und der Liebe ruft hier die Phantasie in den lauschigen Myrthenhainen und unter uralten Palmen, in duftenden Rosenboskets und am murmelnden Wasser marmorner Brunnen hervor, und gleiche Bilder umgaukeln uns inmitten der Säle des Schlosses mit schimmernden Mosaiken, mit weißen, schlanken Säulen, mit durchbrochenen Kuppeln aus Gold und marmornen Eiszapfen; sie treten uns entgegen vor diesen Wänden und Bogen, die von zierlichsten Steinarabesken und maurischen Inschriften bedeckt sind, auf denen sie wie Spitzenschleier sich ausbreiten oder an ihnen wie Blumensträuße hängen oder ihnen wie prächtig gestickte Teppiche angeheftet sind. Das Höchste, wovon eine Andalusierin träumt, um das Leben schön zu finden, hier war es ja seit Jahrhunderten verwirklicht, in jenen fernen Zeiten, da die Sultane ihren Hof im Alcazar hielten, und unter den castilischen Königen, die ihn dann bewohnten. Wie prosaisich ist die Welt da draußen gegen diese hier mit ihrem Reichthum, ihrer Schönheit, ihrem sinnlichen Zauber, den die Maurenfürsten geschaffen und die spanischen Könige sorgsam erhielten, mit reicher und kunstsinniger Hand vermehrten und bis heutigen Tages vor den Zerstörungen der Zeit bewahrten!

Wasserjunge. Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Am Nachmittage strömt das Volk hinaus, die Uferpromenaden längs des Stromes beleben sich. Die daran liegenden Delicias de Christina mit dem stolzen Palast Montpensier sind ein Lustgarten, dem die alte, nicht die jetzige, Königin Christine den Namen gegeben. Hier rollen die Carossen hin und her, in denen die schonen dunkeläugigen Mädchen und Frauen Sevillas, den feingeschnittenen Kopf mit den blauschwarzen Haaren halb unter der Schleiermantille verdeckt, die Huldigungen der Cavaliere entgegennehmen. Dort sieht man flinke, langohrige Maulthiere, dicht mit rothen Wollentroddeln und blanken Schellen behängt, vor ländlichen Wagen. Sie bringen die Bewohner der grünen Vega an die Ufer des Guadalquivir zur Feria von Sevilla. Denn heute soll noch ein Stierkampf stattfinden, ein Corrida, wie an jedem Sonntag der Festzeit. Das erkennen wir an dem Drängen der bunten Menschenmenge, der Städter und Landleute, der hölzernen Eselkarren, den eleganten, mit der spanischen Aristokratie gefüllten Wagen, die alle sich nach der Brücke hinbewegen, in deren Nähe die Arena errichtet ist. Alle Volksgestalten, denen wir anderswo einzeln begegnet sind, vereinigen sich hier zu einer bunten Gruppe. Das spanische Volksleben treibt seine kräftigsten Blüthen vor den Pforten der Arena.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_789.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2022)