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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ein Märchen von ‚Tausend und Einer Nacht‘ habt Ihr hier in dem Nest in Scene gesetzt,“ sprach sie wie Jemand, der von einem Höhepunkt aus Rundschau hält und nun die zurückliegenden Ereignisse leidenschaftslos resumirt. „Aus Euren Märchenträumen wächst jetzt allgemach die Wirklichkeit in seltsameren Formen auf, als wenn Ihr den alten Schlendrian hättet bestehen lassen. Wundert Euch nicht, wenn die Rebe andere Früchte trägt, als die Küchenbohne; es sprießt allemal nur die Saat auf, die man gepflanzt hat! Ihre Dichternatur wird damit zufrieden sein; sie kränzt sich mit den Ranken der Rebe, keltert süßen Wein aus den zerstampften Früchten und berauscht sich und Andere. Ist es nicht so, Meister Wolf?“

Goethe hatte sinnend zugehört; als er sich anschickte ihr zu antworten, ward die Thür zum Altan aufgestoßen, und der Herzog trat zu den Beiden.

„So, so!“ sagte er leicht grüßend, „hier haben sich schon Zwei zu ihrer inneren Aufrichtung zusammen gefunden, zwischen denen ich gern der Dritte bin. Wo unsere muntere Thusnelda ist, da bleibt Erheiterung nicht aus.“

„Durchlaucht zu dienen, dero Hofnärrin!“ sagte sie in alter, schelmischer Weise knixend.

„Sie sind wirklich unverwüstlich in Ihrem Humor, Thusel.“

„Oben schwimmend wie ein Korkstöpsel und ebenso leicht geartet.“

„Was sagen Sie zu dem heutigen Ereigniß?“

„Daß Jeder auf seine Weise mit dem Leben fertig wird.“

„Das süße Geschöpf! Selbst Sie würden Mitleid mit der Aermsten empfunden haben, wenn Sie diesen holden, bleichen Körper, diesen triefenden Rest einer entblätterten Blume gesehen, wenn Sie von der stummen Verzweiflung des Vaters gehört hätten.“

„Mitleid?“ fragte die Göchhausen in ihrer alten, unbekümmerten Weise, „wozu Mitleid? Sie bedarf dessen jetzt nicht mehr, und vorher, als sie litt, wußte Niemand davon und kümmerte sich auch Keiner darum. Der Vater aber hat sich von jeher so wenig um sein Kind bemüht, daß er sich nicht wundern darf, wenn es ihn jetzt nicht um Rath fragte.“

„Unverbesserliche! Aber gut so, um uns wieder einige Festigkeit zu geben, meinst Du nicht auch, Wolfgang?“

Thusnelda lachte. „Eure Durchlaucht werden sich trösten; ich aber berichte, was ich gehört, und schlüpfe dann in’s Eia Popeia mit dem frommen Wunsch, daß die vieledlen Herren nicht von Nixen träumen!“

Die Göchhausen grüßte, wandte sich zum Gehen, und Goethe begleitete sie bis in’s anstoßende Zimmer, während der Herzog mit verschränkten Armen am Rande des Altans lehnte und seinen ernsten Blick in die rosigen Wolkenumrandnngen der scheidenden Sonne tauchte. Indem Goethe zum Lebewohl der kleinen Hofdame die Hand drückte, flüsterte er ihr zu:

„Muth, Luise, bleiben Sie sich selbst treu, und so über Gräber vorwärts!“

Sie sah ihn groß, mit dem Aufblitzen aller ihrer Energie in, Auge an und flüsterte zurück: „Unbesorgt, Freund Wolf, bin schon in Uebung und werde nicht aus der Rolle fallen.“

Bewegten Gemüthes kehrte er zum Herzoge zurück.

(Schluß folgt.)

Gänsemädchen.
Nach einem Oelgemälde von Ernestine Friedrichsen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_792.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)