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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

bald ist sie sehr künstlich zurecht gemacht, um äußerlicher Schaustellung hohen Kunstsinnes oder anderen Zwecken zu dienen. So haben wir auch eine „Wagner-Heuchelei“, die dem echten Wagner-Enthusiasmus auf dem Fuße folgt und sich in verzückten Ausrufungen Luft macht, während sie im Herzen grenzenlose Oede und Langeweile empfindet; so wird in allen Salons für gewisse Modeschriftsteller ein Entzücken geheuchelt, die man im stillen Kämmerlein mit Seufzen und Herzeleid und stiller Ergebung in das Unvermeidliche gelesen hat.

Schiller ist zwar kein Modeschriftsteller, aber er ist ein Classiker und auch die Classiker verlangen ihre Reverenz. Noch ist es ein Geheimniß, wie ein Autor, mitten unter den heftigsten Anfeindungen und den Ausdrücken unverhohlener Geringschätzung, mit der seine Gegner ihn nicht verschonen, sich zur Höhe eines nationalen Classikers emporarbeitet; aber ist das einmal geschehen, so hat er sich einen Glorienschein errungen, welcher mit Andacht begrüßt sein will. Man findet sich mit Schiller ab durch den schuldigen Zoll der Bewunderung; aber man thut die Schiller’sche Richtung in Acht und Bann.

Nicht an ihren Worten, heißt es, sondern an ihren Thaten sollt Ihr sie erkennen. Schiller-Heuchler sind alle diejenigen, welche ihre warme Theilnahme den alltäglichen Erzeugnissen niedrig gearteter Begabungen zuwenden und jeder höheren Dichtung aus dem Wege gehen, mögen sie noch so sehr Schiller’s Werke zu bewundern vorgeben; Schiller-Heuchler sind die Intendanten, welche die Tragödien des Dichters möglichst oft zur Aufführung bringen, während sie allen in hohem dichterischen Stil gehaltenen Schöpfungen der Neuzeit die Pforten verschließen und sich mit der Vorführung werth- und geistloser Stücke begnügen; Schiller-Heuchler sind alle diejenigen, welche die hohe schwungvolle Lyrik des großen Dichters anerkennen, aber in neueren Gedichtsammlungen nur den fadesten Singsang und die burschikosen Nichtigkeiten bewundern; Schiller-Heuchler sind endlich alle diejenigen, welche den Dichter feiern, während sie das Evangelium edler Humanität und geistiger Freiheit, das er gepredigt hat, fortwährend im Leben verleugnen.

Doch wie auch die vorherrschende Tagespolitik und der veränderte Zeitgeschmack die Wirkungen der Schiller’schen Dichtung einschränken, wie auch die Blasirtheit den Dichter offen, die Heuchelei ihn im Stillen verleugnen mag: immer ist mächtiger als dies alles die Schiller-Begeisterung, welche die Mehrheit unseres Volkes erfüllt und in großen Augenblicken die Halben und Zweifelnden, die Spötter und Heuchler in den Hintergrund drängt oder mit sich fortreißt. Schiller ist und bleibt ein Heros unseres Volkes, er ist noch nicht blos zum Dichter einer kleinen Gemeinde geworden; die vielen hundert einzelnen Gemeinden, die seinen besonderen Cultus auf ihre Fahne geschrieben haben, sind nur ebenso viele kleinere Kreise, welche mit dem großen Kreise der Nation den gemeinsamen Mittelpunkt haben. Und es ist keine vage, in’s Blaue hinausstürmende Begeisterung, die alle diese Gemeinden erfüllt: wir wissen, daß der Schiller Cultus verknüpft ist mit den höchsten Gütern des Lebens und der Dichtung. In der Ethik ist es der Glaube an das Ideal, der allein jedes höhere Streben ermuthigen kann, der Wille und die Kraft, je nach der Lebensstellung das Tüchtige wie das Bedeutende zu vollbringen, nach dem großen Worte des Dichters:

„Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Wolkenthron;“

in der Politik ist es der Kampf für Menschenwürde und Menschenrecht, für des eigenen Volkes Freiheit und Unabhängigkeit:

„Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre;“

auf der Bühne ist’s die Begeisterung für den großen Gegenstand, der allein vermag, den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen; in der Dichtung aber ist’s der Gedankenreichthum und der Adel der Form. Das alles bedeutet Schiller für uns, und er ist uns nicht ein Fetisch für blinden und blöden Gözendienst, sondern ein Palladium, von dessen treu behütetem Besitze der Sieg abhängt auf allen Gebieten des Geistes.

Er hat das Beste unserer Nation in sich vereinigt; in ihm ehrt unser Volk sich selbst und sieht des eigenen Ruhmes Bürgschaft in dem seines unsterblichen Dichters!



Die Czechen und die Deutsch-Oesterreicher.

Unser Artikel in Nr. 42 „Die Deutschen in Oesterreich. Ein Wort für den deutschen Schulverein“ hat bei Freund und Feind Beachtung gefunden, und es sind aus beiden Lagern zahlreiche Zusendungen bei uns eingegangen. Aus den feindlichen geht mit Klarheit das Eine hervor: daß ein ganz besonderer Ingrimm Jeden trifft, der die Maske empor gehoben hat, unter welcher die Unterdrückung des Deutschthums möglichst unbemerkt vom Ausland vor sich gehen soll. Daß aber gerade die „Gartenlaube“ dies vor ihrem Welt-Publicum gethan, mußte auf das Unangenehmste empfunden werden.

Dieser Empfindlichkeit gaben den kräftigsten Ausdruck das Czechenblatt „Národni Listy“ und das Wiener „Vaterland“, das Organ der deutschen Clericalen Oesterreichs. Beide bedrohten die „Gartenlaube“ mit einer Adresse aus ihrem „deutschen Leserkreise“ in Prag und Umgebung mit nahezu hundert Unterschriften. Leider warten wir noch heute vergeblich auf diese Sendung. Dafür wurde uns der Wortlaut jener Adresse von befreundeter Seite mitgetheilt, und zwar durch eine mit zahlreichen Unterschriften bedeckte anerkennende Zuschrift von den Vorständen Prager Turn- und akademischer Vereine, denen wir hiermit Gruß und Dank zurufen.

Die besagte czechische Adresse bezeichnet unsern Artikel in Nr. 42 als „einen mit Gift getränkten Aufsatz über vermeintliche Unterdrückung der Deutschen in Böhmen etc., welche neueste Leipziger Exportwaare die österreichische Regierung mit entsprechend hohem Einfuhrzoll bedecken sollte.“ – Die Hauptstelle aber lautet: „Dieser Artikel muß als ein Verbrechen von jedem Bürger dieses Königreichs betrachtet werden, welches von zwei gleich intelligenten, zu friedlichem Zusammenleben angewiesenen Stämmen bewohnt wird.“ – Sollte man da nicht glauben, die „Gartenlaube“ habe die Zwietracht in Böhmen eben erst erfunden und die Milch der frommen Denkungsart der Deutschen ganz allein in gährend Drachengift verwandelt? – Schließlich droht die Zuschrift mit dem Abfall aller derjenigen böhmischen und mährischen Leser von der „Gartenlaube“, „welche mit den Bestrebungen der germanischen Irredenta nicht übereinstimmen“.

Dieselbe Drohung stößt ein anderes Czechenblatt aus, von welchem ein Ausschnitt uns aus Wien zukam. In demselben ist die Kampfweise eine andere: sie wendet sich gegen den Verfasser des Artikels in Nr. 42, von dem berichtet wird, daß er „berühmte Prachtwerke“, wie ein „Coburger Quäckbrünnle“, einen „Eselsritt“ (soll heißen: „Eselsjagd“) etc. herausgegeben habe. Ob einige humoristische Dichtungen einen Menschen so verdächtigen können, daß er alle Glaubwürdigkeit verliert, ist doch wohl noch fraglich. Nicht fraglich ist’s, daß der Herr Czeche durch seine Anklage nicht glaubwürdiger geworden ist. Erwähnung gethan sei noch einer Anzahl Postkarten, die sämmtlich mit „Ein Deutscher“ unterschrieben sind, ohne daß man einen einzigen Namen dieser „Auch-Deutschen“ erfährt.

Alle öffentlichen Angriffe auf die „Gartenlaube“ in dieser Angelegenheit waren von den deutschen Blättern der Schulvereinsgebiete schon mannhaft gezüchtigt, ehe sie uns vor Augen kamen. Unter andern liegen vor uns: „Grenzbote des nordwestlichen Mährens“ von M. Schönberg; die „Deutsche Zeitung“ in Wien, welche in ihrer Nr. 4606 (28. October) dem Gegenstand einen geharnischten Leitartikel widmet; die „Reichenberger Zeitung“. Dieses Organ für die deutsch-nationale Partei in Böhmen, schließt sein Referat hinsichtlich der „fast hundert Unterschriften der Adresse“ mit den Worten: „Diesen gegenüber stehen aber mehr als zwei Millionen Deutsche in Böhmen, stehen die Millionen deutscher Stammesgenossen in den übrigen Kronländern, die da alle einmüthig bezeugen können, daß durch diese Publication die ,Gartenlaube‘ sich ein großes Verdienst um die Deutschen in Oesterreich erworben hat“. Ebenso äußert sich die „Leitmerizer Zeitung“ vom 31. October. In Nr. 12 der „Mittheilungen des deutschen Schulvereins“ aber schließt ein Artikel „Noch ein Gruß aus dem deutschen Norden“ mit der Mahnung: „Möge der ,Gartenlaube‘ warmer Appell an das stolze Hochgefühl des verletzten deutschen Herzens uns mehr noch als innige Freude über den Trost in trüben Stunden bereiten, möge er uns auch die Mittel reichlich bieten, um das in Ehren begonnene Werk dem deutschen Namen zur Ehre in würdiger Weise fortzuführen!“

Diese Mahnung richtet sich an die Deutschen des Reichs! Wir bitten unsere Leser dringend, sich dieselbe zu Herzen zu nehmen! Wo eine Ortsgruppe des „Allgemeinen deutschen Schulvereins in Deutschland“ besteht, da trete man ihr bei; wo noch keine besteht, da wird sich doch ein Mann finden, der deutsch genug denkt und fühlt, um eine solche zu gründen, und wo Männer es versäumen, da mögen die deutschen Frauen hervortreten und Frauen-Ortsgruppen bilden, wie in Oesterreich!

Jedermann kann aber auch direct die Mitgliedschaft erwerben. Solche Anmeldungen zum „Allgemeinen deutschen Schulverein“ (zur Erhaltung deutscher Sprache und Sitte) sind zu richten an den Schatzmeister Dr. Bernard, Berlin C, Kurstraße 34/35, oder an den Vorsitzenden des Vereins, Dr. Falkenstein, Berlin NW. Luisenstraße 45. – Der statutenmäßige Jahresbeitrag ist auf 3 Mark festgesetzt.

Wer aber noch weiterer Ueberredung zur Theilnahme bedarf, der erwerbe sich für ein Geringes das letzte (3.) Correspondenzblatt des Vereins (Gebrüder Fickert, Berlin SW. Lindenstraße 70) und schlage S. 16 auf: „Der Kampf gegen die Deutschen im Böhmerwalde.“ Wer das dort Erzählte gelesen, bleibt sicherlich dem Schulverein nicht fern.

Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_795.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2024)