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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wachsen begann auch der Neid der Concurrenz zu keimen. Nachdem der Gelehrte die Länder entdeckt hatte und der Kaufmann ihm gefolgt war, rief der Letztere die Regierung seines Staates herbei, damit sie ihm Schutz gewähre. So wurde ein Stück der Küste nach dem andern von den europäischen Mächten annectirt, bis endlich, als auch Deutschland zum Schutze seiner Interessen seine Flagge in Kamerun und Angra Pequena aufhißte, Jeder sich beeilte, das noch freie Land zu besetzen, und die Grenzen der einzelnen Colonien auf diese Weise vielfach hart an einander rückten. Außerdem erblühten an dem unteren Laufe des Congo die Anfänge einer vielverheißenden Cultur. Unterstützt von der Brüsseler Association und dem hochherzigen König Leopold II. von Belgien hat der „Steinbrecher“[1] Stanley nicht weniger als 45 Stationen im Congobecken angelegt, fahrbare Straßen auf Hunderte von Kilometern gebaut und für Handel und Ansiedelung bequeme Wege geebnet.

Ein neues Congoreich war im Entstehen, aber sein Gründer schaute bang in die Zukunft hinaus, denn wiederum drohten dem Handel in Westafrika unabsehbare Gefahren. Zwar brauchte man nicht die Wiederkehr des Faustrechts zu befürchten, aber der Concurrenzneid der Völker hat moderne Mittel erfunden, um den Gegner zu ruiniren oder ihm den Zutritt zu dem Innern des Landes zu verschließen. Wer ein Stück Küste in Afrika besaß, wer namentlich sich an den Mündungen großer Ströme niedergelassen hatte, der begann seine Macht den Angehörigen anderer Staaten dadurch fühlbar zu machen, daß er auf ihre Waaren hohe Zölle legte und dadurch ihren Handel lähmte. Was früher durch Forts und Kanonen erreicht wurde, das sollten jetzt Zollhäuser zuwege bringen. Die Zollchicanen an der afrikanischen Küste sind übelberüchtigt.

Nun plante England, das sich schon im Besitze der Nigermündung befindet und durch den Nebenfluß des Niger, den Benuë, einen freien Weg in das Hinterland von Kamerun sich erschließen kann, auch am Congo, einer der wichtigsten Verkehrsadern Afrikas, Zollschranken zu errichten. Klug wußte es das kleine Portugal für seine Zwecke zu gewinnen und erkannte dessen frühere Rechte über das Königreich Congo an, um ihm jetzt die Herrschaft über die Congomündung zu sichern, die dann den Engländern ausgeliefert werden sollte.

Aber es hat diesmal die Rechnung ohne den Wirth gemacht. England allein hatte Afrika nicht erschlossen. Seinen afrikanischen Associationen stehen heute „Die deutsche Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrikas“ und die „Afrikanische Gesellschaft in Deutschland“ gegenüber; der Ruhm englischer Entdecker und Forscher strahlt nicht glänzender als derjenige der deutschen und französischen Afrikareisenden, und England hat nirgends in Afrika ein Culturwerk aufzuweisen, das sich mit den Großthaten eines Stanley am Congo messen könnte.

So ist gegenwärtig die Lage der Dinge in Afrika beschaffen, und aus ihrer Kenntniß erhellen deutlich die Ziele der westafrikanischen Conferenz.

Sie wird zunächst verhüten, daß der Niger und der Congo, die beiden Hauptthore und Hauptadern des afrikanischen Handels, von eigennütziger Zollpolitik verschlossen werden, und sie wird den Anlaß geben, die Handelsfreiheit auch auf andere afrikanische Ströme auszudehnen. Sie wird ferner Gelegenheit bieten, die Grenzlinien zwischen den einzelnen Congomächten, zwischen der internationalen Association, Frankreich und Portugal genau festzustellen, und sie wird endlich, um internationalen Reibungen vorzubeugen, die Rechtsprincipien verkünden, nach welchen in Zukunft die Besitzergreifung „herrenloser Länder“ vor sich gehen muß, wenn sie allgemein gültig sein soll.

Die Regelung der letzten Frage ist von außerordentlicher Bedeutung, denn Afrika ist noch lange nicht „weggegeben“. Zwar haben die Engländer bis jetzt von der Westküste 2100 Kiloilieter an sich gerissen, 1200 Kilometer sind im Besitze der Franzosen, 1000 Kilometer werden von den Portugiesen beansprucht und etwa 1000 Kilometer stehen unter deutschem Schutze – aber noch immer befinden sich zwischen dem Senegal und dem Cap gegen 1200 Kilometer Küstenlinie im Besitze der Eingeborenen. Diese Länderstrecken sollen in Zukunft nur demjenigen angehören dürfen, der, nachdem er von ihnen Besitz ergriffen, sie auch wirklich durch Gründung von Handelsniederlassungen oder Ansiedelungen und durch das Gewähren eines hinreichenden Schutzes der Cultur erschließt.

Endlich wirkt die Conferenz noch in edlem humanen Sinn, indem sie nach dem Antrage Deutschlands den betheiligten Mächten die moralische Verpflichtung auferlegt, „an der Unterdrückung der Sclaverei und besonders des Sclavenhandels mitzuwirken, die Arbeiten der Missionen und alle jene Einrichtungen zu fördern, welche dazu dienen, die Eingeborenen heranzubilden und ihnen die Vortheile der Cultur begreiflich und schätzenswerth zu machen.“

So dürfen wir mit Recht wiederholen, was wir im Anfang dieses Artikels betont haben: mit dem Jahre 1884, in welchem Deutschland zur Colonialmacht wurde, beginnt[WS 1] eine neue Aera der Colonialpolitik, in welcher an die Stelle der Willkür und Gewalt Ordnung und Gerechtigkeit treten werden. Siegfried.


Ein Kampf gegen den Schmutz.

Weit billiger als mit Schmutz und Unordnung wird ein Haushalt geführt mit Reinlichkeit und Ordnung, deshalb sollten diese zwei lieblichen und untrennbaren Schwestern überall, namentlich in die Wohnungen der Armen einziehen; Gesundheit, Wohlstand und Familienglück werden ihnen bald folgen.“ Das sind in der That wahre und goldene Worte, die man nicht oft genug wiederholen kann, und deren Erfüllung jeder aufrichtige Menschenfreund erstreben sollte, denn wie groß auch die Fortschritte der Neuzeit sein mögen, wie hoch die Cultur in unserem Jahrhundert gestiegen ist: trotz der Canalisation und der Gasbeleuchtung der Städte, trotz ihrer Versorgung mit Wasserleitungen und ihrer Verschönerung durch Parkanlagen und Promenaden, trotz all des äußeren Glanzes, der unser Auge besticht, giebt es in jeder Stadt, groß oder klein, enge dunkle Gäßchen mit baufälligen Häusern, in denen der Schmutz des Elends wie eine Giftpflanze wuchert. Die in denselben enthaltenen finsteren Wohnungen sind gewöhnlich nur dem Polizeidiener oder barmherzigen Armenpfleger bekannt, der Mensch aus den besseren Ständen weiß sie in der Regel sorgfältig zu meiden. Nur wenn ein begabter Schriftsteller einmal die Feder ergreift und schauerliche Schilderungen der Proletarierviertel vor dem leselustigen Publicum entrollt, werden sie zu einem sensationellen Gegenstande der Unterhaltung; nur wenn eine pestartige Krankheit von solchen Straßen aus gegen die „Stadt“ ihre tödlichen Pfeile entsendet, ertönt der laute Angstruf, man solle diese Pesthöhlen aus der Welt schaffen! Dann soll der Staat kein Geld sparen, die Häuser aufkaufen, die Einwohner in die gesunden Vorstädte bringen, um die Gesellschaft vor den ihr drohenden Gefahren zu retten.

Sonst aber, in gewöhnlichen Zeitläuften, wenn keine Anhäufung verbrecherischer Thaten, keine Epidemie die Gemüther in Unruhe versetzen, denken die Wenigsten daran, jene Stätten des Elends aufzusuchen und in ihnen Werke der Menschenliebe zu verrichten; sonst hören die Meisten geduldig den Worten zu, die wir in unserer Einleitung wiedergegeben, und antworten, mit den Achseln zuckend: „Fromme Wünsche! Es ist ein leeres Verlangen, die Armuth aus der Welt zu schaffen!“ So urtheilt die große Masse. Ihr gegenüber steht ein kleines Häuflein aufopferungsvoller Männer, die es als ihre Pflicht erachten, das Loos der Armelt zu mildern, und die Dank ihrer Ausdauer mit geringen Mitteln Segensreiches geschaffen haben.

Einige von ihnen haben nun vor Kurzem auch dem Schmutz und der Unreinlichkeit, die mit dem socialen Elend unzertrennbar verbunden zu sein schienen, den Krieg erklärt, und wir sind in der freudigen Lage, unsern Lesern über die ersten Siege in diesem Feldzuge gegen einen großen gemeingefährlichen Feind zu berichten.

Vor einiger Zeit erhielten wir durch die Post ein kleines gedrucktes Heft, und an der Handschrift der Widmung erkannten wir unsern alten Freund aus Darmstadt, der uns schon früher Anregungen zu den Artikeln über die Pfennigsparcassen und über die Volksküche in der Familie gegeben, Artikeln, die, wie wir aus


  1. Ehrentitel, den die Eingeborenen Stanley gegeben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: beginnnt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_807.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2019)