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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ich denke, Sie können auch an einer Tochter Freude erleben, sie zu einem edlen, trefflichen Wesen erziehen, und der Sohn und Erbe kommt hoffentlich später.“

Nach einer Pause sagte der Herzog, indem er mit großen Schritten den engen Raum des Altans durchmaß:

„Denkt wohl, das stete Tröpfeln höhlt den Stein? Nun, einen Stein fühle ich hier in meiner linken Seite just nicht. Und Du magst Recht haben, daß den schmerzlichen Drang, mich nach all dem Herzbewegenden anzuschließen, ein Weib am besten stillen könnte. Sind es doch Weiber, von denen der Schmerz ausgeht. Erst die Lügnerin, die wiedererstandene Milli, und nun dies arme Wasserjüngferlein! Das war ein wunderbarer Tag! Also, Luise heißt die Summe Deines Trostes? Nach ihr sehen kann ich ja morgen.“

„Thun Sie das; und gebe Ihnen Gott eine glückliche Stunde!“


34.

Seit der Geburt der kleinen Prinzessin war die Herzogin Luise weniger zurückhaltend; sie liebte es jetzt, mit anderen jungen Müttern über die Pflege und das Gedeihen kleiner Kinder zu reden, umgab sich nicht mehr so ängstlich abschließend mit ihren Hofdamen und hatte sich besonders in Freundschaft - so viel sie deren geben konnte und bedurfte - Frau von Stein angeschlossen. Sie correspondirte mit ihr, wenn sie nicht an demselben Orte waren, und sah sie oft bei sich.

Frau von Stein empfand von je her eine liebevolle Verehrung für die edle, sittenstrenge junge Fürstin und hatte es oft versucht, ihr naher zu treten. Sie ging daher jetzt mit Vergnügen auf die Artigkeiten Luisens ein und folgte am Morgen nach dem Todestage der armen Christel von Laßberg einer Aufforderung der Herzogin, sie zu besuchen.

Die beiden Damen saßen im Gesellschaftssalon an den offenen Flügeltüren, die auf Terrasse und Part hinausführten. Die Wiege der kleinen Prinzessin, welche jetzt sieben Monate alt war, stand zur Seite, und friedlich schlummerte das liebliche kleine Wesen in den weißen Kissen.

Frau von Stein erzählte ausführlich von den gestrigen Ereignissen, von denen nur unvollkommene Kenntniß in die Einsamkeit der hohen Frau gedrungen war.

Schwermütigen Blicks lauschte diese dem Bericht der Vertrauten, die wohl wußte, daß Emilie von Werthern in der Herzogin ein ganz anderes und viel größeres Interesse wachrufen mußte, als die arme kleine Laßberg. So verweilte sie auch länger bei der Schilderung von Emiliens Rückkehr mit allen daraus bezüglichen Nebenumständen.

Die Herzogin hing ihren Gedanken nach und hörte endlich kaum noch auf das Geplauder der Freundin.

Also Milli, welche sie sich in dem nächsten Verhältniß zu ihrem Gatten gedacht hatte, ließ sich damals von einem andern Liebhaber entführen? Sie mußte diesem schon zu jener Zeit sehr nahe gestanden haben, da sie ihm freudig in die ungewisse Ferne folgte. Mit Beschämung fiel ihr die Stunde ein, in der sie voll eifersüchtigen Stolzes, in reizbarer Aufwallung jenen großen Riß zwischen sich und dein Herzog herbeiführte, der noch heute nicht ganz geschlossen war.

Wie oft hatte sie sich seitdem gesagt: die Möglichkeit einer rechten Liebe zu ihrem Gemahl sei mit Milli von Werthern im Erbbegräbniß zu Leitzkau eingesargt! Und nun war diese Milli erstanden, unter Umständen, die Karl August freisprachen! So hatte sie also, in ungerechtem Trotz und falschem Scheine folgend, drei Jahre lang ihr Herz dem verschlossen, der ein geheiligtes Recht auch auf ihre Liebe besaß! O, wie sollte sie diese Pflichtvertetzung dies traurige Mißverständiß wieder gut machen? Wie sollte sie ihren Gemahl von der für ihn aufwallenden warmen Empfindung überzeugen?

„Meine liebe Stein,“ sagte sie plötzlich, „hörten Sie vielleicht, wie der Herzog die Rückkehr der Werthern aufnahm?“

„Er schalt auf den Betrug, und mit Recht.“

„Ja, das ist’s! Wollte die Frau durchaus ihre Ehe lösen, so mußte sie es voll mutiger Offenheit und in loyaler Weise thun.“

„Die Scheidung soll jetzt, wie ich höre, eingeleitet werden, und Herr von Einsiedel bewirbt sich um eine Anstellung. Diesen Morgen lauteten auch leider die Nachrichten über den Zustand der trefflichen alten Frau von Werthern, die Milli jetzt pflegt, äußerst bedenklich.“

In diesem Augenblicke meldete der Lakai den Wagen der Frau Oberstallmeister.

Beide Damen erhoben sich. Luise war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um die Freundin noch zurückhalten zu mögen; sie schlug jedoch vor, man solle den schöneren und längeren Weg über die Terrasse und durch den Park nach dem vorderen Hofplatz wählen, wo der Wagen am Portal hielt.

Wenige Minuten, nachdem die Damen durch die Terrassenthür den Salon verlassen hatten, trat der Herzog, aus dem vordern Schloß kommend, in das leere Gemach.

Er hatte, als er vom Pferde stieg, mit Befriedigung gehört, daß Frau von Stein bei seiner Gemahlin sei: noch immer empfand er eine unbestimmte Scheu vor dem Alleinsein mit Luisen. Jetzt, da er Niemand im Zimmer fand, athmete er erleichtert auf.

Er hatte sich Goethes neue Erinnerung vielfach überlegt; die Liebeleien, welche sein Herz anderweitig gefesselt hatten, waren sämmtlich in Nichts verflogen. Milli, Gretchen und alle die Frauen und Mädchen, die seine Phantasie beschäftigten, denen er vorübergehend huldigte, ließen ihm keinen tieferen Eindruck zurück. Der Freund traf doch vielleicht die Wahrheit, wenn er sagte, daß Luise die Reizendste von allen sei. Vielleicht gelang es ihm auch, noch ihre Kälte zu besiegen und mit ihr sich zu einem unbefangen traulichen Bunde zu vereinigen, wie er es so lebhaft begehrte. Der Versuch dazu mußte noch einmal gemacht werden, hierin hatte Goethe Recht.

Als der Herzog sich in dem leeren Salon umsah, traf sein Blick auf die Wiege, in der sein Kind schlief. Er fühlte sein Herz lebhafter schlagen in einer plötzlichen und natürlichen Regung für dies kleine Geschöpf, an dem er bislang so wenig Theil genommen hatte. War es doch sein und zugleich ein natürliches Band zwischen ihm und Luise! Er schämte sich, ein so gleichgültiger Vater gewesen zu sein, und freute sich, daß er hier ganz unbeachtet der sich lebhaft regenden Herzensempfindung folgen konnte.

Er schlug die Umhänge des Bettchens zurück und neigte sich über das Kind. Aber das war ja kein rötliches Fröschlein mehr! Weiß, rund und reizvoll in jeder Form lag ein kleines Engelsbild vor ihm. Jetzt schlug es ein Paar lachende blaue Augen aus, hob das Köpfchen aus dem Kissen und griff nach seinen Wangen. Er beugte sich tiefer und bedeckte das zarte Gesicht mit vorsichtigen Küssen.

„Du liebes, süßes Geschöpf,“ murmelte er, „und ich wußte kaum von Dir und kümmerte mich nicht um Dich!“

Als er sich jetzt wieder empor richtete, streckte die Kleine ihre Arme höher nach ihm aus. Er hatte nie ein kleines Kind berührt, nun aber, als das hülflose Wesen ihn anlachte und allerlei drollige Laute plapperte, umfaßte er es, hob es heraus, drückte den weichen kleinen Körper innig an sich und erwiderte das wortlose Geplauder des Kindes auf seine Weise.

„Du beklagst Dich, armes Carolinchen,“ sagte er zärtlich, „daß Du solch einen schlechten Vater hast, der sich gar nicht um Dich kümmert, und Du bist doch ein so hübsches Prinzeßchen, wie man sich nur wünschen kann. Ja, ja, armes Ding, das soll nun besser werden, wir sind jetzt gute Freunde, Du bist mein Schätzchen, mein Herzenskind, und sollst es bleiben!“

Wer weiß, wie lange der junge Vater, dieser ersten liebevolle Regung folgend, sich noch der Unterhaltung mit seinem Kinde hingegeben, wenn nicht eine weiche, zitternde Frauenstimme dicht hinter ihm „Karl!“ gerufen hätte.

Er sah sich um, Luise stand da und sah ihn freundlich an. Sorgsam legte er die Kleine wieder in ihre Wiege, dann trat er tief bewegt aus seine Frau zu:

„Vergieb mir,“ sagte er, ihre Hand ergreifend, „daß ich Euch Beide vernachlässigte. Wie das möglich war, weiß ich in diesem Augenblicke wirklich nicht zu sagen.“

„O, ich wollte ja Dich um Vergebung bitten! Eben bin ich mir bewußt geworden, daß ich Dir mit meiner Eifersucht auf Milli bitteres Unrecht gethan, daß ich in allen den Jahren ohne rechten Grund verschlossen und kalt gegen Dich gewesen bin.“

„Luise, liebes Weib! So sollen wir uns endlich wirklich angehören?“ rief er, sie beglückt in seine Arme schließend.

Inniger als es je geschehen, zärtlicher als in der ersten Zeit ihrer Ehe fanden sich ihre Lippen, umfaßten sie sich gegenseitig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_810.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)