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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ueber diesen Kreis hinaus strebt das dritte, das „Liederbuch des deutschen Volkes“ in seiner neuen Auflage. Dieses Buch ist seit 1843 im Gange. Bisher aber hatte der eigentliche Urheber desselben sich nicht genannt, und erst in dieser neuesten Auflage erfahren wir, daß es kein Geringerer ist, als der nun vierundachtzigjährige Greis an Jahren und Jüngling im Herzen, der tapfere Streiter auf geistigem und geistlichem Gebiete, Karl Hase, über ein halb Jahrhundert der Stolz und Schmuck der Universität Jena. Das genügt vollauf zur Empfehlung des Buchs für Alle, welche sich freuen, zum „deutschen Volk“ zu gehören. Daß der an Geist so reiche und noch so frische ehrwürdige Herr sich für die Arbeit an der neuen Auflage die zwei bewährten Männer Dahn und Reinecke zu Gehülfen beigezogen, dient zu der Beruhigung, daß Niemand an diesem Festgeschenk einen Fehlkauf zu bereuen haben werde.

Auch die epische Poesie hat für den Weihnachtstisch manches Empfehlenswerthe aufzuweisen.

An die Spitze stellen wir das Werk eines Siebenbürger Sachsen: „Reinold. Ein Bild aus den Karpathen, von Gustav Schüller. 2. Auflage, Wien, Carl Graeser.“ Es ist ein vaterländisches Heldenlied, denn es schildert das Leben der Deutschen und ihren Kampf gegen die Türken in und vor Hermannstadt um die Mitte des 15. Jahrhunderts. So einfach die Handlung an sich ist, so mannigfach sind die auftretenden Gestalten, und die Darstellung fesselt durch ihre edle Sprache und durch die kräftigen, von feinem Humor überall rechtzeitig erfrischten Schilderungen den Leser vom Anfang bis zum Ende. Das Büchlein Schüller’s ist trotz seiner einfachen Ausstattung eines der werthvollsten Festgeschenke.

Dem Kaiser Wilhelm gewidmet ist:„Königin Luise. Vaterländische Romanzen von Gustav Weck. Paderborn, Ferdinand Schöningh.“ Der Dichter theilt den reichen Inhalt seiner Dichtung in drei Bücher: 1) Segnend und gesegnet, 2) Aus Tagen des Leids, 3) durch Kreuz zur Krone. Jede der 32 Romanzen ist eine tüchtige Leistung, alle greifen tief zu Herzen, alle sind ihres erhabenen Gegenstandes würdig; wer nur eine derselben gelesen hat, legt das Buch nicht wieder aus der Hand, bevor er sie alle gelesen.

Empfehlenswerth ist ferner die von Anna Forstenheim in Wien episch behandelte rumänische Volkssage von „Manoli“ (Wien, Carl Konegen), dem ehrgeizigen Baumeister, der bei dem Kirchenbau von Argis sein eigenes Weib einmauern ließ, wie er dem Bösen gelobt hatte, damit dieser sein Meisterwerk vollenden helfe; ebenso Ewald Böcker’s lyrisch-episches Gedicht „Melitta“ (Frankfurt am Main, C. Jügel’s Nachfolger [Moritz Abendroth]), das vor uns das ergreifende Bild eines stillen Familienschicksals – den Untergang zweier Liebenden – aus unserm letzten großen Kriege entrollt.

Neben der gewöhnlichen kleinen und der großen illustrirten Prachtausgabe von Victor von Scheffel’sTrompeter von Säckingen“ erscheint nun bei Bonz in Stuttgart auch eine handliche kleine Prachtausgabe mit den Bildern von A. von Werner, welche auch in dieser Verkleinerung nichts von ihrer bekannten Wirkung verlieren.

Die vielen Verehrer der dichterischen Schöpfungen von Adolf Friedrich Graf von Schack erfreuen sich einer neuen Gabe desselben, die unter dem Titel „Tag- und Nachtstücke“ (Stuttgart, J. G. Cotta’sche Buchhandlung) eine Reihe poetischer Erzählungen enthält, welche sowohl durch ihre interessanten, den verschiedensten Zeiten und Welttheilen entnommenen Stoffe, als durch die meisterhafte Behandlung sich auch viele neue Freunde edlerer Poesie erwerben werden.

An diese Festgeschenke schließen sich gleich würdig an: Ludwig Soyaux’ „Renate“, eine Künstlergeschichte vom Rhein (Reudnitz bei Leipzig, A. H. Payne). Scene und Staffage unterstützen den Dichter in der Vollendung eines lebensvollen Familienbildes, das reich an ergreifenden Einzelnheiten ist und überall dem Volkston sein Recht läßt. Ferner:

H. Bruns’ „König Enzio“ (Bremen, J. Kühtmann); M. E. delle Grazie’s „Hermann“, deutsches Heldengedicht in zwölf Gesängen (2. Aufl., Wien, Karl Konegen); Anna Weidenmüller’s „Schildheiß“, eine deutsche Sage in sieben Gesängen (Kassel, A. Freyschmidt); und schließlich eine neue Bearbeitung des nächst dem Nibelungenliede größten deutschen Heldengedichtes, das, wie jenes, dem deutschen Volke noch immer fremd geblieben: „Gudrunlied“. In neuhochdeutschen Versen nachgedichtet von Dr. Richard Weitbrecht (Stuttgart, J. B. Metzler) soll in dieser Form endlich auch für die weitesten gebildeten Kreise unserer Nation ansprechend und fesselnd gemacht werden, und wir freuen uns, sagen zu können, daß dem Verfasser dies gelungen ist.

Auf dem üppigsten Felde poetischer Production, dem des lyrischen Gedichts, ist die Auswahl schwerer, als auf jedem anderen, nicht nur weil die Menge des Gebotenen eine so große, sondern weil auch der Geschmack der Menschen so verschieden ist. Untrüglich kann hier nur die Empfehlung neuer Auflagen bewährter Dichter sein. Wir nennen hier vor Allen die unseren Lesern zunächst stehenden Lyriker der „Gartenlaube“, von welchen soeben erschienen:

Albert Traeger’s „Gedichte“ in der 16. vermehrten Auflage;

Emil Rittershaus’ „Neue Gedichte“ in 4. Auflage; dazu eine Sammlung: „Am Rhein und beim Wein“.

Ernst Scherenberg, „Gedichte“ und „Neue Gedichte“ in 2. Auflage.

Rudolf von Gottschall, „Friedens- und Kriegsgedichte“ („Janus“) in 2. Auflage.

Auch an die Poesie lieber Todten, R. Prutz’ „Buch der Liebe“ (5. Auflage) und L. Schefer’s „Letzte Klänge“, „Für Haus und Herz“, darf hier wohl erinnert werden. Eine neue Bereicherung desselben Verlags sind die sehr geschmackvoll ausgestatteten „Heimchen“, Gedichte von A. Ohorn.

Ebenso erfreut uns eine dritte vermehrte Auflage von Paul Heyse’s Gedichten (Berlin, W. Hertz [Besser’sche Buchhandlung]). Sollten diese von Rechtswegen auch keiner Empfehlung mehr bedürfen, so sind doch seltsamer Weise selbst die Verehrer Heyse’s so daran gewöhnt, in diesem Dichter ausschließlich den Novellisten zu bewundern, daß sie dem Lyriker kaum Beachtung schenken. Und doch sind Heyse’s lyrische Gedichte aus dem echten Golde der Poesie geprägt! Möchte sich diese Erkenntniß mehr und mehr auch in jenen Kreisen verbreiten, in welchen man leider nur zu leicht geneigt ist, glänzendes Truggold für echtes zu nehmen.

Nicht zu den alten, aber zu den beachtenswerthen Gaben der Dicht kunst gehören: „Bunte Blätter. Dichtungen aus Heimath und Fremde von Albert Kleinschmidt. (Bensheim, Lehrmittelanstalt J. Ehrhard u. Comp.) Der sehr begabte Verfasser (geborener Gothaer, jetzt Seminarlehrer zu Bensheim an der Bergstraße) zeigt sich, wie sein Geistesverwandter Hermann Lingg von ihm rühmt, eifrig bemüht, dem Gebiete der Lyrik neuen Stoff zuzuführen und sich correctester Form zu befleißigen. Je schwerer es heute einem Anfänger gemacht wird, desto mehr ist es einem so braven Ringer zu wünschen, daß er im Strom der lyrischen Erscheinungen mit obenauf komme. Wer nur ein Stück von jeder der vier Abtheilungen dieser Gedichte (Völkerleben, Zonenbilder, Im Wechsel der Tage, Liebesklänge) gelesen, wird das Buch behalten, und schon das Lied „Meiner Mutter“ muß dem Dichter die Herzen gewinnen.

Zu den jüngsten Dichterinnen der „Gartenlaube“ gehört Sophie von Khuenberg (in Graz), deren kleine, geschmackvoll gedruckte Sammlung „Frost und Flammen“ (Leipzig, A. G. Liebeskind) so reich an zarten, sinnigen Blüthen echter Poesie ist, daß sie als Weihnachtsgabe ihren Platz zieren wird.

Doppelt zu beachten, um ihres Werths und des Schicksals willen, dem der Verfasser erlag, sind die „Gedichte von Heinrich Leuthold“ (Frauenfeld, J. Huber), jenem genialen Schweizer, welcher nach einem harten, ruhelosen Leben mit unnachtetem Geist im Irrenhause Burghölzli bei Zürich am 1. Juli 1879, im zweiundfünfzigsten Jahre, gestorben ist. Die trefflich ausgestattete 3. Auflage enthält auch das Bildniß und eine Lebensdarstellung des Dichters aus der Feder Jacob Baechtold’s in Zürich, die wir als ein schönes Denkmal für das Grab des armen Dichters anerkennen müssen. Die Gedichte sind eine würdige Weihnachtsgabe.

Heinrich Vierordt’s „Lieder und Balladen“ erhielten eine Fortsetzung „Neue Balladen“ (Heidelberg, C. Winter’sche Universitätsbuchhandlung). Der junge süddeutsche Dichter versteht es, wirksame Stoffe aus dem Völker- und Fürstenleben zu wählen und bewährt Kraft und Wärme für entsprechende Darstellung. Die neuen Balladen schließen mit der trefflichen Dichtung „Der Traum von Miramar“, welche die Eigenthümlichkeiten seiner Schaffensweise nach allen Seiten darthut. Freunden der Balladenpoesie ist damit eine Festfreude zu bereiten.

Auch auf dem Gebiete des Romans, der Novelle und Erzählung wird von Autoren und Verlegern für die Weihnachts- und Neujahrszeit fleißig gearbeitet, und es liegt uns auch von diesen des Preiswürdigen Vieles vor. Wir behalten uns vor, in unserer nächsten Nummer darüber kurz zu berichten. Fr. Hfm.     


IV.

Zum Schluß möchten wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf die jenigen Erzeugnisse des Buchhandels lenken, die praktische Ziele verfolgen: auf die populär-wissenschaftliche Literatur und Werke, welche zu allerlei nüblichen Beschäftigungen anleiten sollen.

Wir denken zunächst an die populäre Naturwissenschaft. Sie weist eine stattliche Reihe von Werken auf, die nach den einzelnen Disciplinen und dem Alter der Leser in besondere Classen zerfallen. Schon für das Kindesalter weiß sie zu sorgen und liefert ihm jene unzerreißbaren Bücher, in denen es von Thieren und Pflanzen aller Art wimmelt. Für diese Weihnacht ist in diesem Genre in C. Hänselmann’s Verlag in Stuttgart die „Naturgeschichte“ erschienen, die auf 20 unzerreißbaren Foliotafeln dem Kinde 300 Thierarten vorführt. Ein Naturforscher muß über diese Thierbilder lachen, ein Künstler würde vor ihnen davonlaufen, aber der Pädagoge wird sie unbedingt als zweckmäßig loben. Die Thierbilder sind nämlich ihren Originalen in der Natur nur ähnlich und ihre charakteristischen Merkmale stark übertrieben, wir sehen sozusagen Thierschablonen. Aber gerade dadurch erreicht das Bilderbuch seinen Zweck, dem Kinde prägen sich bei dem Anblicke dieser Bilder die grellsten Farben ein: es merkt sich für immer, daß dieser Vogel einen rothen, jener einen blauen Kopf hat, und damit ist der Zweck des Buches erfüllt, die „unzerreißbaren“ Tafeln werden doch zerrissen, bevor das Knabenalter erreicht wird.

In diesem muß die Natur mit schärferem Auge beobachtet werden, jetzt muß dafür gesorgt werden, daß kein falscher Begriff, keine Unwahrheit sich dem Gedächtnisse einprägt. Das beste Unterrichtsmittel bleibt allerdings die Natur selbst, und der Knabe wandert hinaus, um Pflanzen zu sammeln und Schmetterlinge zu fangen. Da heißt es aber, diesen Trieb durch gute Hülfsmittel zu unterstützen, und nun treten an Stelle der „Bilderbücher“ gute Bilderatlanten, nun ist es an der Zeit, dem jungen Pflanzensammler ein Buch wie „Botanischer Bilderatlas“ von Karl Hoffmann (Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart) oder dem Schmetterlingsjäger das „Buch der Schmetterlinge und Raupen“ von Dr. H. Rockstroh (Halle, Herm. Gesenius) in die Hand zu geben. Als Leitfaden zur Naturbeobachtung und Führer auf Ausflügen und Sammelexcursionen leistet auch vorzügliche Dienste das reich ausgestattete zweibändige Werk „Deutschlands Thierwelt nach ihren Standorten eingetheilt“ von Prof. Dr. Gustav Jäger (Verlag von Gebr. Kröner, Stuttgart). Bis in das Jünglingsalter werden alsdann diese Bücher eine unerschöpfliche Quelle der Belehrung für die Beschenkten bleiben, und mit ihrer Hülfe werden die kleinen Naturfreunde etwas sehr Wichtiges lernen, die in Feld und Flur gefundenen Pflanzen und Insecten ohne Hülfe des Lehrers zu classificiren, sie werden auf ihrem Lieblingsgebiete frühzeitig zu dem, was im Leben so ungemein wichtig ist, zu selbstständigen Arbeitern.

Und wenn noch einige Jahre vergehen, so wird der Freund des Pflanzenreiches freudig nach der ihm dargebotenen Reihe von Vorträgen aus dem Gebiete der Botanik von Dr. Ferdinand Cohn greifen, die

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