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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

größte Anrecht habe, die Erste zu sein, die diese Kunde erfuhr, oder ob ich mich sehnte, das Mutterauge ein einziges Mal in freudigem Stolze auf mich gerichtet zu sehen, – ich vermag es nicht mehr zu entscheiden.

Ich fand sie nicht in der Ladenstube, auch im Laden selbst war es still; nur die Schwester saß hinter dem Ladentische und nähte an weißem Linnen für ihre Mitgift, und vor ihr saß der Bräutigam, der herüber gekommen war, um ein Stündchen mit ihr zu verplaudern. Auf Beider Gesicht lag Frühlingssonmenschein. Sie fuhr erschreckt empor, die Emilie; oben sei die Mutter, sagte sie dann lachend, oben in der Stube.

Ich stieg die Treppe hinan und trat ein; es war das sogenannte Putzzimmer, hatte eine geblümte Tapete, helle Birkenmöbel, schneeweiße Gardinen und einen Glasschrank mit vielen vergoldeten Tassen. Hier fand ich die Mutter vor dem Schreibsecretär, in dem sie ihre Ersparnisse, ihre Andenken und Briefschaften aufzubewahren pflegte. Sie schrieb – nein, sie machte Striche mit einer Bleifeder, so eifrig, daß sie erst dann aufschaute, als ich neben ihr stand und meine Hand auf ihre Schulter legte.

,Du, Hans?‘ sagte sie, und an ihren Zügen bemerkte ich, daß etwas Frohes sie beschäftigte, siehst Du, eine Freude hat man doch ’mal wieder. Friedrich’s Principal schreibt mir da, er habe so großes Vertrauen zu ihm, daß er ihn in einer Zahlungsangelegenheit nach Mailand schicken will – das freut mein Herz, Hans; es ist Schneid in dem Jungen! Und nebenbei kann er Geschäftsverbindungen in Mailand und Zürich anknüpfen, die uns nützen werden, und er lernt ein Stückchen Welt kennen obendrein. Und Du,‘ – sie ließ mich nicht zu Worte kommen – ,da siehst Du, ich male mir sogar schon diese Zukunft aus. Das da‘ – und sie wies mir ein Blatt Papier, auf dem ein großes Viereck gezeichnet stand, mit lauter kleinen Quadraten darinnen – ‚das ist unser Haus, und hier – guck – wo unser jämmerlich kleines Schaufensterchen ist, da will ich die Mauer durchbrechen und ein großes Fenster machen lassen, damit Licht wird in dem Gewölbe und die Waaren besser ausgelegt werden können, die wir führen. Ich hab’s dem seligen Vater immer und immer gesagt, aber er war nicht dafür; er meinte, die Kunden kämen so auch. Nun ja; aber ich hab’ ’mal meine Freude daran und der Friedrich soll sie auch haben. Und, Hans, da Du einmal hier bist – ich wollte schon immer mit Dir sprechen – könntest mir auch einmal einen Gefallen thun. Gelt? Einen einzigen!‘ Und sie sah auf zu mir mit den blizenden braunen Augen. ‚Willst?‘ fragte sie; ‚einmal könntest Du der ‚goldenen Elle‘ wohl etwas nützen! Schau, Du bist ja bekannt bei der Frau Fürstin; – ich meine, es würde sich gar fein machen, wenn auf dem Schilde draußen unter der Firma zu lesen wäre: ‚Hoflieferant‘. Gelt, das könntest Du ihr sagen? Sie hat ohnehin erst vor ein paar Tagen an die sechszig Ellen Vorhangszeug bei mir kaufen lassen.“

Ich antwortete nicht sogleich; mir war es ein peinlicher Gedanke, der hohen Frau mit dieser Bitte zu nahen, da ich ja doch außer beim Vorlesen meinen Mund zu keinem Worte zu öffnen wagte in ihrer Gegenwart. Vielleicht war es kleinlich von mir – aber wie man so ist in jenen gesegneten Jahren. Und ich fragte gepreßt:

‚Thäte es nicht eine schriftliche Bitte, Mutter? ich würde sie Dir aufsetzen und schreiben.‘

Sie antwortete nicht gleich; sie schob hastig die Papiere zusammen und erhob sich, eine Purpurröthe auf dem Antlitz. ‚Schon gut!‘ sagte sie kurz und schloß den Schrank.

‚Es ist ja keine Ungefälligkeit, Mutter – ich glaube nur, daß dieser Weg der richtigere –‘ sprach ich fast flehend.

,Schon gut – ja, ja,‘ erwiderte sie, ‚bemühe Dich nicht. Wolltest Du sonst etwas?‘ setzte sie hinzu.

‚Ja, ich kam Dir zu sagen, daß ich das Examen bestanden habe.‘

,So, so! Nun, ich gratulire!‘ – das klang kühl, und kühl wie ein Nordwind hauchte es mein warmes Herz an und ließ alles Gute, alles Liebe darin erstarren. – Ich stand noch eine Weile, meinte, sie müsse etwas sagen; aber sie schaute angelegentlich zum Fenster hinaus.

‚Guten Abend!‘ wünschte ich dann nicht allzu höflich und verließ die Stube.

Das war das Letzte; an sich klein und unbedeutend, baute es eine Riesenschranke auf zwischen Mutter und Sohn. Die Schwester kam wenige Tage später weinend in meine Kammer: ‚Hans, was hattest Du mit der Mutter? Sie hat dem Pathen erzählt, Du seist ein unleidlich hoffährtiger Geck geworden, der sich ihrer und unseres Hauses schäme.‘

,Habt nur Geduld,‘ erwiderte ich ruhig, aber voll innern Grimmes, ‚ich befreie Euch bald schon von meiner Gegenwart, ich gehe in acht Tagen nach Jena –‘

Mein alter Magister lag auf dem Krankenbette, als ich schied. Ich war den ganzen Tag um ihn, saß an seinem Lager und ließ mir von ihm berichten über das akademische Thun und Treiben und nahm dankbar einen Empfehlungsbrief an den Professor Reinhold in Empfang, der ein Freund von ihm war. Ich wollte Philosophie studiren.

Der Mondschein ruhte in voller Pracht auf der schlummernden Erde, als ich, von ihm gegangen, noch einmal diesen Garten durchschritt. Dort lag das Schloß schweigend und still, und ich starrte hinüber, als müßte ich noch einmal jene vornehme Frauengestalt erblicken, mit dem Zug geheimen Kummers um den feinen Mund, die von Kindheit an mein Herz erfüllte als das Schönste und Lieblichste, was es gab. – Wenn ich einmal ein Liebchen hätte, müsse es ihr ähnlich sein, meinte ich. Recht wie ein Schwärmer pflückte ich ein paar Vergißmeinnicht, die an der Pforte wuchsen, durch welche sie oft geschritten; dann ging ich heim durch die stillen mondhellen Straßen. Es flimmerte um die Linden, es zitterte auf den Wasserstrahlen des Ritterbrunnens und wob sich um die Zackengiebel des alten Rathhauses; es schien mir Alles so anders als sonst, so viel schöner; – oder machte es die weiche Abschiedsstimmung?

Leise schlich ich die Stufen hinauf in die Kammer. Mein Köfferchen stand gepackt, wohl versorgt mit Wäsche und Kleidern; in aller Morgenfrühe wollte ich mit der Post fort. Ermüdet warf ich mich auf mein Bette und konnte doch nicht schlafen, ich hatte der Mutter nicht Lebewohl! gesagt, nur der Schwester den Auftrag dazu gegeben. Nun flackerte die alte Sehnsucht nach einem herzlichen Wort mächtig auf in dieser Stunde; ich gedachte der Vergangenheit, besonders des Vaters und wie es ihn immer so herzlich betrübte, wenn ich der Mutter scheu auswich. ‚Sie ist eine so gute Seele, Hans‘, hatte er noch kurz vor seinem Tode zu mir gesagt.

Ich erhob mich und ging auf Strümpfen die Treppe hinab bis vor ihre Schlafstube. Ich war in der Stimmung, vor ihrem Bette niederzuknieen und sie für irgend etwas um Verzeihung zu bitten – nur um noch ein gutes Wort zu hören. Aber sie war noch nicht zur Ruhe; ich hörte Schritte drinnen, und jetzt die Stimme der Schwester: ‚ Mutter, besinne Dich doch, gieb ihm selbst das Geld!‘ – das war mein Reisegeld.

‚Nein!‘ klang die helle Stimme der Mutter, ‚so, wie wir Beide uns gegenüber stehen, ist’s besser, wir reden nicht mehr mit einander. Gieb Du ihm die Tasche!‘

‚Aber Mutter!‘ bat das Mädchen flehend.

‚Red’ mir nicht drein!‘ rief sie, ‚und wenn er noch zehnmal gelehrter wäre, seines Vaters Hantirung braucht er darum nicht zu verachten und uns dazu. Mag er hingehen, wo es vornehm ist; mein Trost wird auch kommen; wenigstens ist mir ein Sohn geblieben!‘

Am andern Morgen zog ich aus dem Vaterhaus, ohne Sang und Klang. Die Mutter schlief noch, ich sah sie nicht mehr; die Schwester stand bleich in der Hausthür und zerdrückte eine Thräne. Ich wandte mich noch einmal um an der Rathhausecke, ihr zu winken, aber sie schaute mir nicht nach, sie hatte schon den Kopf gewendet und sah nach der Löwenapotheke hinüber, drinnen ihr Schatz hauste. Ich mußte grimmig auflachen; ich ging fort wie ein Ausgestoßener, wie ein Verlorener!


Es ward ein wunderlicher Gesell aus mir in dieser Seelenstimmung, zur Hälfte voll der brennendsten Lebenslust, zur andern Hälfte grillig, schwermüthig, weltverachtend.

Ich brauchte mich just nicht zu eilen mit meinem Studium. Das Erbtheil, das ich zu erhoffen, sicherte mich vor des Lebens Noth zu jeder Zeit, und jetzt hatte ich von meiner Mutter einen fast zu reichen Wechsel. So stak ich bis über die Ohren in dem akademischen Treiben jener Tage, und nächst den Kneipereien und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_836.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)