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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

städtische Wagemeister wog die Person, und der Stadtschreiber stellte darüber das Certificat aus.

Es sind uns mehrere solcher Urkunden in holländischer Sprache erhalten. Als Beispiel diene eine der letzten, aus dem Jahre 1717, welche ein holländisches Ehepaar betrifft:

Wir Bürgermeister, Schöffen und Räthe der Stadt Oudewater in Holland thun kund und bescheinigen hiermit auf Ansuchen des Klaas Ariens van den Dool, gebürtig zu Noordeloos, gegen sieben und dreißig Jahre alt, mit blauen Augen, dunkelbraun von Haut und Haar, – und der Neeltje Ariens Kersbergen, gebürtig von Lakerveld, gegen ein und dreißig Jahre alt, von mäßiger Postur, braun von Haut, mit blauen Augen, – Mann und Frau, wohnhaft auf dem Dool unter Meerkerk, – daß heute vor uns erschienen sind die Herren Dirk van der Lee und Gerrit Ingen van Liesveld, Schöffen dieser Stadt, zugleich mit Jan Racaute, geschworenem Wagmeister, welche auf Ansuchen der Bittsteller erklärten, sie wollten wahr und wahrhaft sein; daß sodann durch den vorgenannten Wagmeister auf ernstliches Ansuchen der Bittsteller in Gegenwart der vorgenannten Herren Schöffen und anderer notabler Personen der vorgenannte Klaas Ariens mit der gewöhnlichen Wage und dem richtigen Troy-Gewicht, wie man es stets in dieser Stadtwage gebraucht, ist gewogen worden, nachdem Philipp van der Werf, Gerichtsbote dieser Stadt, erklärt hatte, daß derselbe Klaas durch ihn entkleidet und Schuhe, Strümpfe sammt den andern Kleidern ausgezogen worden seien, und so allein im Hemde, ohne daß er irgend etwas Schweres an sich hatte, ist derselbe hundert und zwei und zwanzig Pfund schwer befunden worden. Darauf ist die vorgenannte Neeltje Ariens damit gewogen worden, nachdem Jacomyntje Aerts Dekker, Stadthebamme allhier, erklärt hatte, daß die mehrgemeldete Neeltje von ihr war entkleidet, Schuhe und Strümpfe ausgezogen worden, und so allein bedeckt von ihrem Hemde und ihrem schwarzen Frauenmantel (falie), mit lose von ihrem Haupte hangenden Haaren, ohne daß sie irgend etwas Schweres bei sich hatte, ist dieselbe Person hundert und zehn Pfund schwer befunden worden. Dem gemäß bescheinigen wir, daß das vorgenannte Gewicht beider Personen mit deren natürlicher Leibesbeschaffenheit sehr wohl zusammenstimmend ist befunden worden, und da sie hierüber unseren offenen Bestätigungsbrief sich erbaten, um sich desselben gehörigen Falles zu bedienen, haben wir ihnen denselben nicht verweigern können noch wollen.
Alles ohne Betrug und zum Beweise der Wahrheit haben wir dies mit unserem Stadtsiegel und der Unterschrift unseres Stadtschreibers bekräftigt am 21. Juni 1727.
Adriaan Maas.     
Gebühren.
Schöffen       1 Gulden 16 Stüber
Stadtschreiber 2 18
Bote 12
Wagmeister 12
Hebamme 12
Summa 6 Gulden 10 Stüber.

Zahlreiche solche Bittsteller kamen freiwillig nach Oudewater, ohne von ihrem Gerichte dahin geschickt zu sein; denn es war das beste Mittel, jeden auftauchenden Verdacht der Zauberei gleich im Keime zu ersticken. So wurde einmal ein Mann in einem ungenannten deutschen Ort von einem andern, mit dem er in Streit gerathen war, als Hexenmeister verschrieen. Seine Freunde riethen ihm gleich, sich in Oudewater wiegen zu lassen, und er reiste auch dahin, unterließ aber die Probe aus Unschlüssigkeit oder Furcht und kehrte ohne Attest in seine Heimath zurück. Die Folge war natürlich, daß sich nun das Gerücht verbreitete, er sei gewogen und zu leicht befunden worden, und der Richter, dem das zu Ohren kam, stellte einen Haftsbefehl gegen ihn aus. Zu seinem Heile wurde er noch rechtzeitig gewarnt und entfloh. Er traf mit einem zusammen, dem es ähnlich ergangen war, und dieser rieth ihm dringend, nach Oudewater zurückzukehren. Er faßte sich ein Herz, ging hin, ließ sich wiegen und brachte die gewünschte Bescheinigung nach Hause. Damit war sein guter Name wieder hergestellt, und der Richter gab ihm sein Vermögen, das er bereits confiscirt hatte, wieder heraus.

Vor allen andern Menschen waren diejenigen, die ein herumziehendes Leben führten, beim Volke der Zauberei verdächtig. In manchen Gegenden, wie am Niederrhein, war das Wort Zigeunerin gleichbedeutend mit Hexe. Daher lag es diesen Heimathlosen besonders nahe, in Oudewater ihre Zuflucht zu suchen. Eine solche Scene hat der Künstler, dem wir unsere Abbildung verdanken, dargestellt. Wir sehen da allerlei fahrendes Volk, eine Zigeunerbande und Bittsteller in Pilgertracht, welche vor der Rathscommission erschienen sind, am sich den rettenden Vorweis zu holen.

Nach unverbürgter Ueberlieferung datierten diese Proben bis in’s Jahr 1773. Die letzte, von der wir sichere Kunde haben, wurde im Jahre 1754 mit einem Mann und einer Frau aus dem Münsterlande vorgenommen.W. H.     


Zwei Weihnachtsepisteln.

Von Victor Blüthgen.

20. December 1884.
  Lieber Alfred!

Ich muß schreiben; ich sage Dir: ich muß. Es ist durchaus nöthig, daß ich mich gegen irgendwen ausspreche, wenn sich der Aerger nicht versetzen und mich Karlsbad oder Kissingen in den Rachen werfen soll. Und Du bist Junggeselle (danke Gott!), das heißt, Du wirst meine Auslassungen nicht auf dem Umwege über Deine Frau an die meinige befördern – was mir nicht gerade angenehm wäre und Du kannst Nutzen daraus ziehen, für den Fall, daß Deine vorgerückten Jahre Dich so wenig vor Heirathsgedanken schützen sollten, wie mich die meinen geschützt haben.

Diese Weihnachtsbeschererei bringt mich noch um. Jedes Jahr dieselbe Geschichte – gute Vorsätze, und dann: am Ende wird’s wieder so „wie voriges Jahr es am heiligen Abend war“ – singt eben der Chorus meiner Drei (meine Frau ist ausgegangen, „einkaufen“ natürlich). Diese Kannibalen können hier singen, während ich mir die Haare ausraufen möchte! Natürlich: Lottchen hat wahrscheinlich ihre diesjährige Landschaft schon fertig (drei solche Monstra hängen bereits eingerahmt in meinem Zimmer; es „wäre ja unrecht, wenn man dem Kinde die Freude nicht machte!“), Fritz hat seine laubgesägte Console oder etwas Aehnliches vermuthlich auch bereits zum Polirer geschleppt, wenigstens höre ich nicht mehr dieses entsetzliche Rasseln, das mich seit Wochen nervös gemacht hat. O, wie freut sich der gute Papa auf diesen mißrathenen Staubfänger, den er künftig mit dem Blick zu zerbrechen fürchten muß! Und Angela hat mir bereits in einem unbewachten Augenblicke angedeutet, daß ich mich auf eine unvergleichliche Fröbel-Kindergartenstickerei gefaßt machen darf. Dabei sitzen nun diese Würmer seit Wochen krumm und plagen sich, statt Schneemänner zu bauen und sich mit Bällen zu werfen und Abends rechtzeitig schlafen zu gehen, denn außer den Eltern werden auch noch die lieben Onkel und Tanten, Vettern und Cousinen von ihnen beglückt. Nun denke Dir unsere beschränkten Räume im Winter – ein armer Oberlehrer kann nicht für Jedes ein Zimmer heizen. Ich komme vom Spaziergang, sofort stürzt es durch alle Thüren davon: „Papa kommt!“ Eine Zeitlang war ich von der gesammten Familie wie ein Aussätziger gemieden. „Hast Du auch nichts gesehen, Papa?“ Hundertmal versichert man das Gegentheil, und wenn sie abgehen, hängen sie doch die Köpfe: „Jetzt ist mir die ganze Freude verdorben.“ Was meine Frau mir wieder stickt – natürlich muß sie sticken, da sie augenleidend ist – weiß ich nicht. Ein Sophakissen, einen altdeutschen Schoner, einen Tischläufer, was die Berliner „Compotchaussee“ nennen – kurz irgend etwas, was wahrscheinlich ganz nett, aber mit gewebtem Muster um die Hälfte billiger und reichlich so hübsch in einem Laden zu haben wäre. Siehst Du, das ärgert mich am meisten: diese Geschenke verderben den Charakter; natürlich bin ich Weihnachten gezwungen, vor Freude außer mir zu sein über die Gaben der Liebe – –

Wenn das Glück gut ist und das Sophakissen besonders gerathen, bekomme ich es überhaupt nur Weihnachten zu sehen. Später ist es mit einer weißen Häkeldecke verhängt und wird vertrauten Freundinnen in Stunden besonderer Seelenannäherung enthüllt. Geschlafen habe ich noch auf keinem. Der Sophaschoner wird, um ihn zu schonen, für hohe Festtage

verwahrt (ich habe im vorigen Jahre solch ein Prachtstück bekommen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_861.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)