Seite:Die Gartenlaube (1885) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Es war mehr das Boudoir einer Dame, als ein Herrenzimmer, in welches Herr Lamprecht seine Schwiegermutter eintreten ließ. Rosenholz und Seide, Aquarellbilder und ein sanftes Rosalicht, das von den Vorhängen und Polsterbezügen ausging – dies zarte Gemisch bildete zusammen eines jener süßen Nestchen, in welchen man sich eine schöne junge Frau behaglich zusammengeschmiegt denkt – und hier hatte in der That Herrn Lamprecht’s verstorbene Frau gewohnt.

Die Frau Amtsräthin ging auf einen der kleinen Lehnstühle zu, die, halb in die Spitzen und Seidenfalten der Vorhänge vergraben, die tiefen Fensterwinkel füllten. Ihr kam in diesem Raum nur selten noch der Gedanke an die Tochter, die einst hier gewaltet; sie war es gewohnt, ihren Schwiegersohn an dem kleinen Schreibtisch sitzen und all das zierliche Geräth benutzen zu sehen. Ein Mann von starken Leidenschaften, hatte er sich nach dem Tode der jungen Frau in seinem ersten Schmerz hier eingeschlossen, und seitdem war das Zimmerchen sein Tusculum verblieben.

„Ach, wie reizend!“ rief die alte Dame und blieb wie angefesselt vor dem Schreibtisch stehen, neben welchem sie sich eben niedersetzen wollte. Sie war auch reizend, die Malerei in Wasserfarben da auf dem Medaillon einer Briefmappe – ein durchsichtiges Gegitter von zartem Farrenkraut, und dahinter wie eingefangen ein Stückchen des geheimnißvollen Sprießens, Lebens und Webens nahe dem Waldboden. „Eine originelle Idee, und wie sauber ausgeführt!“ setzte die Frau Amtsräthin hinzu und nahm die Lorgnette zu Hilfe. „Hier das Blumengeistchen, wie es sich begehrlich aus seinem Glockenblumenhäuschen nach der Erdbeere hinüberreckt – wirklich ganz allerliebst! … Eine Arbeit von schöner Damenhand, Balduin? – Hab’ ich Recht?“ –

„Möglich!“ meinte er achselzuckend mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Mappe, während er sich bemühte, ein schief-hängendes Bild an der Wand gerade zu rücken. „Die Industrie rekrutirt ja heutzutage eine ganze Armee helfender Kräfte auch aus der Frauenwelt –“

„Also nicht speziell für Dich ausgedacht?“

„Für mich?!“ – Der kleine Nagel, der das Bild seitwärts in gerader Linie festhalten sollte, war herausgefallen – der große, stattliche Mann bog sich tief nieder, um den Flüchtling auf dem Teppich zu suchen, und als er sich wieder aufrichtete, da hatte ihm das Bücken das ganze Blut nach dem Kopfe getrieben ... „Liebe Mama, sollten Sie wirklich von dem allermächtigsten Faktor in unserem modernen Leben, dem Egoismus, nichts wissen, und könnten Sie in der That glauben, daß man heutzutage irgend Etwas ganz umsonst, ohne die geringste Hoffnung auf Erfolg thue?“

Er sagte das noch abgewendet, wobei er den Nagel wieder in die Wand zu drücken suchte. Nun erst wandte er der alten Dame sein Gesicht voll zu – um seinen Mund zuckte es bitter und spöttisch. „Nehmen wir doch einmal alle die schönen Damenhände unserer Kreise durch, und sagen Sie mir, welche von ihnen wohl im Stande sein würde, eine solch künstlerische, die größte Geduld erfordernde Aufgabe auszuführen für einen Mann, der – nicht mehr zu haben ist!“

Er trat auf das andere Fenster zu, während sich die alte Dame in ihrem kleinen, weichen Lehnstuhl zusammenschmiegte. „Nun ja, darin magst Du wohl Recht haben!“ sagte sie lächelnd und in dem gleichmüthigen Tone, wie man längst Feststehendes, Unanfechtbares und sattsam Bekanntes zugiebt. „Es ist allerdings stadtkundig, daß unsere arme, theure Fanny Dein Gelöbniß der Treue für Zeit und Ewigkeit mit in das Grab genommen hat. Erst vorgestern Abend wieder war bei Hofe die Rede davon. Die Herzogin sprach von der Zeit, wo meine arme Tochter noch gelebt und eine vielbeneidete Frau gewesen sei, und der Herzog meinte, man solle doch ja die sogenannte gute, alte Zeit mit ihrem Biedersinn im Gegensatz zu der heutigen nicht immer herausstreichen; der hochangesehene, wegen seiner Strenge fast gefürchtete alte Justus Lamprecht zum Beispiel habe in seiner Jugendzeit einen Treuschwur in eklatantester Weise gebrochen, während ihn sein Urenkel durch edle Festigkeit beschäme!“

Herr Lamprecht war hinter der rothen Gardine verschwunden. Er hatte die Hände auf den Fenstersims gestützt und sah über den Marktbrunnen hinweg in die gegenüberliegende, vom Markt bergaufsteigende Gasse hinein. – Der schöne Mann hatte ein merkwürdiges Gesicht. Stolz, oder vielmehr Hochmuth, in so scharfer Linie ausgeprägt, würde jedem anderen Antlitz etwas gleichsam Versteinertes gegeben haben; hier aber wirkte ein feuriges Blut unverkennbar überwältigend. Es machte die Augen in unbezähmbarer Wildheit auffunkeln und ließ ein sanftverlangendes Lächeln unwiderstehlich um seine Lippen spielen, es jagte den Gluthstrom des Jähzornes in die Stirnadern und hauchte die Blässe des Seelenschmerzes in die Wangen. Jetzt aber, bei den letzten Worten der alten Dame, schlug Herr Lamprecht die Augen nieder. Er sah aus, als habe er die Stützen seiner Seele, die stolze Zuversicht, den Mannestrotz, das Vollbewußtsein reichen Besitzes nach innen und außen für einen Moment vollständig verloren – nahezu wie ein gescholtener und beschämter Schulknabe stand er da, den dunkelbärtigen Kopf tief gesenkt und sich die Lippen fast wund beißend.

„Nun, Balduin!“ rief die Frau Amtsräthin und bog sich spähend vor, weil es so still blieb in der Fensterecke. „Freut es Dich nicht, daß man bei Hofe eine so schmeichelhafte Meinung von Dir hat?“

Das Rascheln der Seidengardine verschlang den tiefen Seufzer, der ihm über die Lippen zitterte, während er in das Zimmer zurücktrat. „Der Herzog scheint diese edle Eigenschaft lieber an Anderen zu bewundern, als an sich selbst – er hat eine zweite Frau!“ sagte er bitter.

„Ich bitte Dich ums Himmelswillen, was führst Du für eine Sprache!“ fuhr die alte Dame ganz alterirt empor. „Danken wir Gott, daß wir allein sind! Hoffentlich haben diese Wände keine Ohren! – Nein, nein, Balduin, ich fasse es wirklich nicht, wie Du Dir eine solche Kritik erlauben magst!“ setzte sie kopfschüttelnd hinzu. „Das ist ja doch ein ganz anderer Fall! Die erste Gemahlin war sehr kränklich –“

„Bitte, Mama, ereifern Sie sich nicht! Lassen wir doch das!“

„Nun ja, lassen wir das!“ ahmte sie ihm nach. „Du hast gut reden! An Dich wird der Versucher freilich nie heräntreten. Nach Fanny muß es Dir selbstverständlich ganz unmöglich sein, auch nur ein vorübergehendes Interesse für eine Andere zu fassen. Die Herzogin Friederike dagegen –“

„War boshaft und häßlich.“ Herr Lamprecht warf diese Worte offenbar nur ein, um das Thema auf fremdem Terrain festzuhalten.

Sie schüttelte abermals mißbilligend den Kopf. „Diese Ausdrücke würde ich mir selbst nie gestatten – der Glanz und die Auszeichnung hoher Geburt versöhnen und verschönern. Uebrigens ist ja dabei wie gesagt ein himmelweiter Unterschied: den Herzog band kein Versprechen; er war frei und vollkommen berechtigt, eine neue Ehe zu schließen.“

Damit lehnte sie sich wieder in ihren Stuhl zurück, schob die Spitzenbarben ihrer Haube mit einer sanftgelassenen Bewegung aus dem Gesicht und faltete im Schoß die Hände, auf die sie gedankenvoll niedersah, „Du kannst derartige Dilemma’s überhaupt nicht beurtheilen, lieber Balduin. Fanny war Deine erste und einzige Liebe, und wir gaben Dir mit Freuden unsere Tochter. Und als Du Dich mit ihr verlobtest, da weinten Deine Eltern Freudenthränen und nannten Dich ihren Stolz, weil sich die Neigung Deines Herzens nach oben und nie und nimmer in unglückseliger Jugendverirrung abwärts gerichtet habe“ – mit einem tiefen Seufzer unterbrach sie sich und blickte bekümmert vor sich hin. „Gott weiß am besten, welch sorgsam behütende, pflichtgetreue Mutter ich zu allen Zeiten gewesen bin, gewiß nicht weniger, als Deine Eltern; und doch muß es mir passiren, daß mein Sohn auf Abwege geräth – Herbert macht mir in der letzten Zeit unbeschreiblichen Aerger!“

„Wie, der Mustersohn, Mama?“ rief Herr Lamprecht. Er war während der langen Rede seiner Schwiegermutter auf- und abgeschrittenn den Kopf vorgeneigt und in mechanischem Tempo auf die regelmäßig verstreuten Rosenbouquets im Teppichmuster tretend. Jetzt blieb er an der entgegengesetzten Wand des Zimmers stehen und sah spöttisch fragend über die Schulter zurück.

„Hm!“ räusperte sich die Frau Amtsräthin und reckte ihr Figürchen ziemlich gereizt empor. „Das ist er ja wohl in vieler Beziehung auch noch. Er hat ein großes Ziel –“

„Ei ja, wie ich schon vorhin unten im Hofe sagte. Er wird einmal steigen und steigen, bis er mit seinen Fußtritten alle

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_023.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2019)