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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


vergönnt ist. Da naht der College X., der seit Jahren dem Reichstage angehört und unseren Mann sofort belehrt, daß es im Hause ein Lesezimmer, ein Schreibzimmer, ein Sprechzimmer, eine Bibliothek mit großartigen Nebenräumen giebt. Er führt ihn durch alle diese Herrlichkeit und unser Neuling bemerkt, er fühle sich wie zu Hause, kein Klub der Welt biete so viele Bequemlichkeiten.

Es folgt ein weihevolles Stündchen der Vertiefung in die Schriftstücke, dadurch kommt man doch ein wenig in Zug und kann schon mit ruhigerem Gewissen in die erste Fraktionssitzung am Abend gehen. Da wird dann die Präsidentenwahl besprochen. Nach mehrstündigem Hin- und Herdebattiren wird man einig. Morgen geht es zur Eröffnungssitzung in den weißen Saal des Schlosses, wo man im Halbkreise mit den Kollegen vor dem Kaiser stehen soll, dann folgt im Reichstage die erste Sitzung. Die Tribünen sind da meist spärlich besetzt, der neue Volksvertreter hatte gehofft, daß sein erstmaliges Erscheinen im Saale weit mehr Neugierige herbeigeführt haben würde.

Das älteste Mitglied, diesmal der berühmte Heerführer Graf Moltke, eröffnet die Sitzung. Ein Namensaufruf stellt die Zahl der Anwesenden fest, die Novizen müssen die erste Rede halten, sie besteht aus dem einfachen Worte: Hier! Dabei prüft man bereits die Stärke des Organs und - „es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.“ Nur zu schnell ist das Geschäft beendet, das wichtigere bringt die nächste Sitzung mit der Wahl des Präsidenten. Das ist eine geschäftige Bewegung vor derselben im Foyer! In dichten Gruppen stehen die Angehörigen der einzelnen Fraktionen zusammen, Jeder weiß vom Verhalten, von den Plänen der anderen Fraktionen Wunderdinge zu berichten; ein kleiner Herr mit interessantem Kopf, den nur wenige Haare noch bedecken, zieht zweifellos das meiste Interesse auf sich, unter der Brille blitzen die klugen Augen, das beredte Mienenspiel zeigt dem von ferne zuschauenden, daß der kleine Herr gewichtige Mittheilungen zu machen hat, es ist Excellenz Windthorst. Am Ende des Foyers bemerkt man in einer lebhaft plaudernden Gruppe die bekannten Erscheinungen der Abgeordneten Virchow, Richter, Rickert, Bamberger, Löwe; dort stehen die Nationalliberalen, aus ihrer Mitte tritt der würdige Abgeordnete v. Benda hervor, und die Herren in besonders eleganter Toilette, die lebhaft plaudernd um einen Tisch sitzen, sind – die Socialdemokraten, die man sich nach unseren Witzblättern kaum anders als mit schäbigen Kleidern und aufgestülptem Schlapphut denken kann. Jetzt tönt das Zeichen der elektrischen Glocken durch das ganze Haus, schnell leert sich das Foyer, man eilt in den Saal und nimmt anfänglich die Plätze ein. Die Diener bringen nun die Wahlurnen herbei, die in antiker Form aus Erz gegossen und von einem Deckel, dem die Kaiserkrone als Griff dient, verschlossen sind. Sie werden auf den „Tisch des Hauses“ niedergesetzt, der Alterspräsident läßt den Namensaufruf vollziehen und jeder Einzelne hat nun einen Zettel in die geöffnete Urne zu legen. Wie viele neue Namen werden da genannt! Man ist begierig die Novizen kennen zu lernen, und jene wieder freuen sich auf die Bekanntschaft der berühmten Kollegen; die allgemeine Aufregung bekundet sich im Verlassen der Plätze. Bald umstehen die Reichsboten Kopf an Kopf den Tisch des Hauses, „mit Würde und Hoheit angethan“ schreiten die neuen Herren zum Wahlgeschäft, sie fühlen, daß zahlreiche Blicke gewichtiger Leute auf sie gerichtet sind. – Alphabetisch wird der Namensaufruf rekapitulirt, die Urnen werden vor den Alterspräsidenten hingestellt, die provisorischen Schriftführer zählen die Stimmen, der Alterspräsident überwacht die Zählung, endlich erfolgt die Publikation des Ergebnisses.

Der neue Präsident, dessen Leitung die Geschäfte des Reichstages anvertraut sind, erhebt sich, um die Annahme der Wahl seinerseits zu erklären. Es ist diesmal ein ganz besonders interessanter Vorgang, denn der Gewählte ist - im Reichstage wenigstens - ein Neuling. Es ist eine hohe, stattliche Gestalt, an Körpergröße würde ihn kaum eines der jetzigen Mitglieder überragen. Der Abgeordnete von Wedell-Piesdorf ist zweifellos äußerlich ein würdiger Repräsentant des deutschen Reichstages, welcher seit seinem Bestehen zum siebenten Male einen neuen Präsidenten erhält. Die Herren Simson, von Forckenbeck, von Seydewitz, von Goßler (der jetzige preußische Kultusminister), Graf Arnim-Boitzenburg und von Levetzow waren die Vorgänger des Herrn von Wedell-Piesdorf. Wir folgen ihm jetzt auf den Präsidentensitz, freuen uns seines scharf geschnittenen, ausdrucksvollen Kopfes, dem der spärliche Haarwuchs in der Erscheinung keinen Abbruch thut und der volle graublonde Bart, der das Kinn umgiebt, recht gut steht, noch mehr aber freuen wir uns an dem hellen Klange seines Organs, wie es kaum einem seiner Vorgänger zu Gebote stand.

Mit den üblichen Worten des Dankes für die Wahl und dem Versprechen der Unparteilichkeit tritt er das neue Amt an, dann folgt der Dank an den Alterspräsidenten, die Mitglieder erheben sich von ihren Plätzen, während Graf Moltke den Präsidentensitz verläßt. Der erste und zweite Vice-Präsident werden durch Zuruf gewählt; Freiherr von Franckenstein, der bayerische Staatsrath und nun erster Vice- Präsident des Reichstages, ist fast so groß wie der Präsident, der zweite, der preußische Amtsgerichtsrath Hoffmann (Abgeordneter für Gera), ist ein Männlein von kleiner Statur und eleganter Beweglichkeit, der einen fast hübsch zu nennenden Kopf trägt, das dichte kurz geschorene dunkle Haar, der braune Schnurrbart und der forsche Knebelbart geben ihm beinah den Typus eines Franzosen. Wenn Herr Hoffmann zwischen seinen Kollegen im Reichstagspräsidium steht, im einfachen schwarzen Frack, während die Uniformen des preußischen Regierungspräsidenten und des bayerischen Staatsrates den imposanten Eindruck der Erscheinungen jener noch erhöhen, so erscheint er – abgesehen von Frack und Uniformrock – wie ein David, dem zur Rechten und zur Linken ein Goliath entgegentritt.

Während man solchen Betrachtungen sich hingiebt, ist auch die Schriftführerwahl durch Akklamation beendet und das Haus konstituirt. Mit der nächsten Sitzung kann die Arbeit beginnen. Schnell leert sich der Saal, im Foyer verabschiedet man sich, die Pforten des Hauses werden weit geöffnet, draußen auf der Straße stehen dichte Gruppen Schaulustiger, der Portier, bedeckt mit dem Dreimaster und mit dem großen Stab in der Hand, bleibt in steifer Positur, bis der letzte Abgeordnete das Haus verlassen hat. Mit demselben Moment aber hält der Hausmeister, eine wahre Hünengestalt, gefolgt von einem Dutzend Frauen mit Kehrbesen und Bürsten seinen Einzug in den Sitzungssaal, der nun für die nächste Sitzung hergerichtet wird.

Mit aufmerksamer Neugierde sieht unser Neuling all diesen Vorgängen zu. Ein Kollege, ein berühmter Redner, naht sich und stört ihn in der stillen Betrachtung.

„Nun Verehrtester, jetzt geht es an die Arbeit!“

Schnell faßt sich der Angeredete. Auf diesem geweihten Boden heißt es schlagfertig sein. Er blickt zu dem gefeierten Manne empor und sagt: „Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort.“

„Ach,“ seufzt der Andere, „wenn sie sich nur immer so glatt abwickelte, wie heute, bei der Präsidentenwahl, dann wollte ich alle Reden schenken.“ G.     




Blätter und Blüthen.

Innsbruckerin. (Mit Illustration S. 21.) Das dunkle „Korsettel“, mit den bauschigen Aermeln, am Hals viereckig ausgeschnitten und mit rothem Besatz verbrämt, dazu der weiße aufstehende Spitzenkragen, vom schwarzen seidenen „Halsflor“ umschlungen, das ist die kleidsame Tracht, an der wir auf unserm Bilde sofort „’s Tiroler Madel“ erkennen. Den breitkrämpigen Hut mit den rothen Schnüren darauf hat unsere Schöne allerdings daheim gelassen. Dafür hat sie ein gelbes grobes Strohhütlein aufgesetzt, wie es die Sennerinnen auf der Alm und die Dirnen bei der Feldarbeit tragen. ’s ist freilich kein Staatsstück, aber was thut’s am Ende? Es paßt doch weit besser als der altmodische Filz zu dem hübschen, fast feinen Gesichtchen mit den großen schwarzen Augen, die uns so treuherzig anblicken. Und wie neckisch das dunkle Kräuselhaar um Stirn und Schläfe unter dem bunt gefütterten Hutrande sich vordrängt! Ob es unsere Tirolerin wohl selbst weiß, daß sie so hübsch ist, so weit hübscher als manche Damen in der Stadt drinnen? - Vielleicht! - Vielleicht hat sie eben deshalb jeden landesüblichen Schmuck verschmäht, mit dem andere Mädchen sich putzen; selbst die kleinen goldenen oder silbernen Ohrgehänge, die sonst ihre Kameradinnen zu tragen pflegen, sie braucht sie nicht! J. C. M.     


Hoffen und Harren. (Mit Illustration S. 25.) „Mademoiselle, mein Herz liegt in Ketten vor Ihnen. Jeder Gedanke in mir ist Weihrauch der Anbetung für Sie, mein Pulsschlag nichts mehr als ein Zittern unter der Macht Ihrer Reize. Wenn das schöne Erbtheil der weiblichen Natur, jenes zärtliche Mitleid mit dem Elend, Ihnen nicht versagt ist, geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen ohne Zeugen zu sagen, welch ein Abgrund voll Schmerz und Verzweiflung nach Ihnen verlangt hat. Ihr armer Sklave, Mademoiselle ...“ – „Erwarten Sie mich um 8 Uhr Abends auf der Bank unter der Ulme.“ Das ist die Vorgeschichte. Er ist ein armer verliebter Thor, und sie ein gottloser Schelm, daran läßt unsere graziöse Illustration keinen Zweifel übrig. Da sitzt er und überlegt mit klopfendem Herzen, was er ihr sagen will, um sie zu rühren – o, sie wird ihm das vielleicht erschweren, aber endlich wird sie ihn erhören; wie würde sie sonst diese Friedenstaube von Billet gesandt haben! Indessen steht sie bereits mit der spottlustigen Freundin, von Malven und Amoretten gedeckt am Treppenfuße und betrachtet ihr Opfer. „Pst – da ist er, der Vulkan von Liebe, der Abgrund voll Schmerz und Verzweiflung. Man muß dieses Feuer mit einem kalten Gusse behandeln.“

Sie werden ihn lachend begrüßen, und er wird gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Vielleicht hat er die Lektion verdient.

Einstweilen sitzt er noch, eine bedauerliche Illustration des alten: Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. V. B.     


Ein Schüler Meister Schilling’s. (Mit Illustration S. 28.) Wer im Frühjahre 1884 die Hamburger Kunstausstellung besuchte, wird sich gewiß eines mächtig wirkenden Kunstwerks erinnern, das unaufhörlich neue Zuschauergruppen an sich zog, und das in überlebensgroßen Verhältnissen einen altgermanischen Krieger zu Roß darstellte, der von einer Walküre in den Krieg geführt wird.

Vielleicht halfen zwei Umstände das Interesse an dem Werk erhöhen: der junge Künstler Bruno Kruse, der Urheber desselben, ist ein Hamburger Kind, der von Hamburger reichen Kunstfreunden gestützt wird, und dann war das Werk in derselben Werkstatt entstanden, aus welcher das Niederwalddenkmal hervorging, also eine Frucht der Schilling’schen Schule, die ja beim gesammten deutschen Volk eine so warme, begeisterte Aufnahme gefunden.

Wir wollen uns nicht zu sehr bei der Idee aufhalten, die dem Kunstwerke zu Grunde liegt, die altnordischen Sagenbücher geben besser Aufschluß, als wir auf diesem engen Raume ihn zu bieten vermögen. Nur über die Auffassung des Künstlers seien einige Worte gesagt. Kruse hat offenbar in dem Krieger die physische Kraft und den Todesmuth darstellen wollen, die Walküre ist dagegen das geistige Prinzip, das ihn beherrscht und das ihn unwiderstehlich zum Sieg oder in den Tod treibt. Ueber die Ursache des Kampfes läßt uns der Künstler im Dunkeln, auch im Antlitz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_035.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2020)