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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

machen … Ich habe es übrigens satt bis zum Ueberdruß, dieses ewige Geklätsch unter unseren Leuten – das Haus kommt förmlich in Verruf! Es ist von jeher ein Fehler gewesen, daß man den Flügel so gar nicht benutzt hat; dadurch hat das verrückte Traumgespenst einer alten Amme von Jahr zu Jahr an Boden gewonnen. Dem will ich ein Ende machen! Am liebsten nähme ich gleich ein paar Porzellandreher sammt Familien aus Dambach herein; aber die Leute müßten dann stets durch den Flursaal, an meinen Thüren vorbei, und der Lärm paßt mir nicht! Da werde ich denn kurzen Proceß machen und selbst einmal eine Zeitlang ab und zu in Frau Dorotheens Zimmer hausen –“

„Das wäre allerdings ein Radikalmittel!“ warf die Frau Amtsräthin lächelnd ein.

„Und eine verschließbare Thür, die den Gang nach dem Flursaal hin abschlösse, wäre wohl auch am Platze – da hätten die Hasenfüße, die hier oben zu thun haben, keinen Grund mehr, um die Ecke zu schielen und sich so lange mit Wonne zu gruseln, bis sie ihr eigenes Hirngespinst gesehen haben … Ich will mir die Sache einmal überlegen!“

Er griff nach einer Bonbonniere auf dem Schreibtisch. „Na seht, da haben sich ja doch noch so ein paar Leckerle verkrochen!“ sagte er und füllte den Kindern die Händchen mit Bonbons. „So – nun geht wieder hinunter! Der Papa hat viel zu schreiben.“

„Und der Schlüssel, Papa? Hast Du den ganz vergessen?“ fragte die kleine Margarete. „Tante Sophie will jetzt gleich hinauf und die Fenster aufmachen. Sie sagt, es käme kein Regen, und die Nachtluft müßte einmal so recht durchfegen; und morgen sollen die Stuben und der Gang gescheuert werden.“

Herr Lamprecht wurde roth vor Aerger. „Zum Henker mit dieser ewigen Scheuerei!“ brach er los und fuhr ungeduldig mit der Hand durch sein reiches Haar. „Vor einigen Tagen hat der Flursaal förmlich geschwommen, und das Scharren und Kratzen der Scheuerwische brummt mir heute noch in den Ohren … Daraus wird nichts! Gehe Du nur hinunter, Gretchen, und sage der Tante, das habe Zeit, ich würde selbst mit ihr sprechen!“

Die Kinder trollten sich, und auch die Frau Amtsräthin zog die Pelerine fester über die Schultern, um zu gehen. Sie verabschiedete sich in ziemlich gemessener Weise. Ihre Herzensbeklemmung war sie nicht losgeworden; der Herr Porzellanmaler saß fester als je im Packhause, und der sonst so ritterlich galante Schwiegersohn fing an, recht unangenehm bockbeinig zu werden. Und auch jetzt, trotz seiner respektvollen Verbeugung, zeigten seine Augen nichts weniger als Reue und Abbitte – weit eher die heimliche, brennende Ungeduld, allein zu sein. Sichtlich geärgert rauschte sie hinaus.

Er blieb bewegungslos mitten im Zimmer stehen. Draußen fiel die Flurthür ins Schloß, dann trippelten die Goldkäferschuhchen Stufe um Stufe aufwärts; er horchte, bis auch der letzte Laut im hallenden Treppenhause erstarb – dann sprang er mit einem Satze an den Schreibtisch, riß die Briefmappe an sein Herz, an seinen Mund, strich mit der Hand wiederholt über das kleine Aquarellbild, als wolle er den Blick der alten Dame, der darauf geruht, fortwischen, und verschloß die Mappe in den Schreibtischkasten. Das war das Werk einiger Sekunden gewesen. Gleich darauf war das Zimmer leer … Dafür kamen bald leichte Abendschatten herein; der Rosaschein erblaßte, und im Zwielicht wurde das von der Wand herniedersehende Bildniß der verstorbenen Frau Fanny unheimlich lebendig, so sprechend lebendig, als werde die lebensgroße Gestalt im nächsten Augenblick die graue Atlasschleppe aufnehmen und auf den Teppich hernieder steigen, um, grau und hager und die großen Augen voll leidenschaftlichen Feuers, dahinzuhuschen, wie – die selige Frau Judith …




4.

Drunten in der Familienwohnung war man inzwischen mit den Strapazen des berühmten Bleichtages glücklich zu Ende gekommen. Bärbe hantirte bereits wieder in ihrer blitzblanken, geräumigen Küche und bereitete das Abendessen. Der Kalbsbraten wurde pünktlich besorgt und Salat und Kompot hergerichtet; aber es ging dabei nicht besonders friedfertig zu. Das Küchengeschirr klapperte verdächtig laut gegeneinander, Kartoffeln rollten und hüpften vom Küchentisch auf den Boden, und die Thür der Bratmaschine rasselte auf und zu, als solle sie aus den Angeln fliegen … Jungfer Bärbe war in der grimmigsten Laune. Tante Sophie hatte ihr nochmals in ganz exemplarischer Weise den Text gelesen, weil sie die Waschfrauen mit ihrer drastischen Beschreibung des wackelnden Vorhanges so kopfscheu gemacht hatte, daß sie es ablehnten, die Scheuerei in dem spukhaften Flügel zu besorgen … Also außer dem Schreck auch noch eine Strafpredigt für die alte Bärbe, die sich doch nöthigenfalls todtschlägen ließ für die Familie Lamprecht – Notabene, für Fräulein Sophie noch ganz extra! … War man denn wirklich so stockblind, so verrannt in Leichtsinn und Unglauben, daß man nicht sah, wie das Unheil schon über dem Hause stand, dick und kohlrabenschwarz wie das schönste Hagelwetter? Hatte es nicht jedesmal Tod und Verderbniß zu bedeuten, wenn die Geister in dem dunklen Gange hin- und herliefen? Da brauchte man nur durch die Stadt zu gehen – ja wohl, von Haus zu Haus konnte man gehen, und in den Damengesellschaften, wie bei den Weibern am Waschtrog, überall konnte man Dinge über das Unwesen in Lamprecht’s Hause zu hören kriegen, daß Einem die Haare zu Berge standen … Aber da saß „man“ nun urgemüthlich drüben am Wohnstubenfenster und flickte dem Speisemeister in der Hochzeit zu Kana das zerrissene Gesicht wieder zusammen, als ob alles Heil der Welt von dem alten Tafeltuch abhänge und sonst nichts als eitel Sonnenschein im Hause wäre. Na, immer zu! Einmal kam’s, das stand fest! … Und die Küchen-Kassandra griff bei diesem Monolog ab und zu nach einem großen irdenen Topf auf der Bratmaschine, um mit einem Schluck verspäteten Nachmittagkaffees den Aerger hinunter zu würgen.

„Man“ saß übrigens nicht so urgemüthlich am Wohnstubenfenster; denn es war eine böse Aufgabe für Tante Sophiens kunstfertige Hand, die Züge des Speisemeisters wieder in die ursprünglichen Linien zu bringen, ohne daß die Stopferei sichtbar wurde. Und so überaus behaglich fühlte sich Margarete am anderen Fenster auch nicht. Die Heidelbeerflecken waren mittels einer sauberen Schürze dem beleidigten Auge entzogen worden; dann hatte Tante Sophie die Kleine bei den Schultern gefaßt und sehr energischer Weise an den großen Tisch im Fensterbogen dirigirt. „So – nun werden die Schularbeiten gemacht! Und Klexe giebt’s nicht – nimm Dich zusammen, Gretel!“ hatte sie gesagt.

Da hieß es nun stillsitzen inmitten der vier dicken Wände und den Federhalter fest umklammern, auf daß er nicht seine Extraspaziergänge auf dem weißen Papier mache! … Droben am Abendhimmel färbten sich die Schäferwölkchen rosenroth; das Fenster stand offen und aus der gegenüberliegenden, bergansteigenden Gasse quollen ganze Ströme süßen Lindenblüthenduftes herüber; sie kamen durch das Thurmthor der Stadtmauer, in welchem die Gasse droben mündete, und über die uralten, geschwärzten Mauern selbst her, hinter welchen die prachtvolle Lindenallee hinlief.

Und vom Marktplatz schallte allerhand Thun und Treiben herein. Lehrjungen gingen pfeifend mit der weitbauchigen Steinflasche vorbei, um das Abendbier zu holen; aus allen Gassen kamen Mädchen und Frauen mit Holzbutten an den Marktbrunnen, und die Mägde hielten Blechsiebe unter das Brunnenrohr und ließen das frische, glitzernde Wasser über den grünen Beetsalat hinrauschen – das war so hübsch, man mußte immer wieder hinsehen. Und unter dem Fenster neckten sich im Vorübergehen zwei kleine Bettelmädchen. Margarete bog sich hinaus, griff in die Tasche und warf ihnen die vom Papa erhaltenen Bonbons in die aufgenommenen Schürzchen.

„Recht, Gretel!“ meinte Tante Sophie. „Ihr nascht mir in der letzten Zeit ohnehin viel zu viel, und die Kinder freut’s.“

„Ich verschenke meine Bonbons nicht,“ sagte Reinhold, der auf dem Eßtisch einen Thurm von seinen Bausteinen aufstellte. „Ich hebe sie mir auf. Bärbe sagt auch immer bei Allem: ‚wer weiß, wie man’s wieder brauchen kann!‘“

„Potztausend, unserm Jungen guckt ja der Kaufmann aus allen Hautfältchen!“ lachte Tante Sophie und stopfte emsig weiter.

Ja, die Tante hatte Recht – sie naschten in der letzten Zeit viel zu viel, die beiden Kinder! Das süße Zeug wollte gar nicht mehr munden … Wie anders doch der Papa geworden war! Früher waren sie stundenlang oben bei ihm gewesen; er hatte sie auf seinem Rücken reiten lassen, hatte ihnen Bilder gezeigt und erklärt, Geschichten erzählt und Papierschiffchen gemacht, und jetzt? Jetzt lief er immer im Zimmer auf und ab, wenn sie kamen; er machte auch öfter böse Augen und sagte barsch, sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_038.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2019)