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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

unterstützen das Bierschenken vom Fasse, obgleich es diesen Genuß namhaft verbilligt, weil sie ein wenig von dem deutschen Schenkensitzen ebenfalls als eine nicht unzulässige Ableitung von der Gefahr des rasch hinuntergegossenen Branntweins ansehen. Aber in dem Heimathlande des Kneipens darf davon wohl etwas abgesetzt werden. Viele unserer heimgebliebenen Landsleute thun des Guten zuviel, muthen ihrer Zeit, ihrer Kasse und ihrer Kraft in den täglichen Wirthshaussitzungen mehr zu, als mit gesundem Vorwärtskommen verträglich ist. Das Haus entbehrt sie; der Gattin fehlt der Gatte, den Kindern der Vater. Eigentliches Kneipen muß Ausnahme sein, nicht Regel, gleichwie die Feste! Dann allein bleibt ihm auch frisch der Reiz, durch welchen es zur Erhöhung eines freudigen und schöpferischen Lebensgefühles beiträgt.
A. Lammers.     


Guadalupe.

Von Clara Biller.
(Schluß.)


Der Gedanke, 1857 Pesos als Eigenthum bar ausgezahlt zu bekommen, ließ José Mateos für den Augenblick jede andre Bedingung des alten Vertrags vergessen, namentlich die, welche sein Freund Canelo betreffs der beiderseitigen Kinder in dem Briefe noch besonders erwähnt hatte. Er hatte in den letzten zehn Jahren keinen sehnlicheren Wunsch gekannt, als noch einmal im Besitze seines schönen Goldes zu sein. Wie oft hatte er sich seitdem vergegenwärtigt, was für ein köstlicher Anblick es für ihn gewesen, als der alte Gasper Yelvez, der Kollekteur, ihm seinen Gewinn damals auf den Tisch zählte! Zehn kleine Häufchen Goldes! Die Reue, es fortgegeben zu haben, er war ihrer ledig, das schöne Gold kam wieder!

Wenn er die ihm täglich drückender werdende Last seiner Schulden abgetragen, so blieb ihm mehr als dreimal so viel wie der damalige Gewinn übrig … Die finsterblickenden Augen klärtem sich seit langen langen Tagen zum ersten Male wieder in einen freudestrahlenden Blick …

Es war eine gute Weile vergangen, ehe es ihm nur einfiel, daß seine Tochter mit der Sache auch etwas zu schaffen habe. Aber als er sie jetzt mit in Berechnung zog, wurde sein Glück dadurch nicht mehr gestört.

Mädchen sind fürs Heirathen bestimmt – die Aussicht auf eine gute Heirath kann also nur erfreulich wirken. Ich werde Lu glücklich machen, wenn ich ihr die Verbindung mit diesem trefflichen Lopez ankündige. Canelo lobt ihn ja, und der muß ihn natürlich am besten kennen. Die Trennung wird ihr anfangs schwer ankommen – aber es ist ja in dem Briefe gar nicht die Rede davon, daß Lopez nach der Havana zurückkehren soll – vielleicht kommt es nur darauf an, ihm eine Stellung in Segovia zu suchen – und da muß man sich eben umthun! Lu ist stets ein gutes und gehorsames Kind gewesen – sie wird nun, wo das Schicksal endlich einmal Einsehen mit meinem Verdienst hat, mir die Freude daran nicht verderben!

So beruhigte Mateos sich. Er wollte ihr nicht gleich die volle Wahrheit mittheilen, aber sie noch denselben Abend etwas auszuhorchen, schien ihm geboten.

Und so packte er seinen Brief zusammen und ging hinunter an die Fontaine, wo sie, wie immer, arbeitete.

Felipe stand richtig wieder neben ihr! Gut, daß morgen die Zeit um war, wo der galante Baumeister im Schlosse zu thun hatte – das fehlte noch, daß sich ein Anderer jetzt aufspiele und ihr den Gehorsam schwer mache! Sie hatten sein Kommen nicht bemerkt; er war noch von der Thür gedeckt.

Felipe hatte den Platz verlassen, an dem er gezeichnet, und war Lu gegenüber getreten. Aber er hatte nicht mehr den ruhig forschenden Blick, mit dem er sie zuerst betrachtet, es lag jetzt etwas wie verhaltene Gluth darin. Sie arbeitete noch, obgleich die Dämmerung bereits angebrochen war. Die Finger, welche stets den gleichen Griff ausführen, lassen den Augen wenig zu thun übrig.

„Sie sollten endlich Ruhe geben,“ hörte Mateos Felipe sagen „die Hände müssen vom Brechen der spitzen Halme ohnedies schmerzen … Meine Zeit ist nun bald um“ – er sprach ruhig, und doch lag etwas in der Stimme, was Lu’s Herz erbeben machte – „und ich bin noch nicht einmal ins Thal gekommen; wollen wir zusammen nach Fuencisla hinunter gehen?“

„Papa hat es nicht gern, wenn ich spazieren gehe ohne ihn.“

„Natürlich nicht,“ fuhr Mateos schnell dazwischen, „die jungen Dinger gehören zum Vater, wie die jungen Lämmer zum Hirten – der Vater weiß allein, was ihnen gut ist … Das Geschäft beendet, Herr Baumeister?“ fügte er mit einem Blick auf Felipe’s kleine Staffelei hinzu.

„Ja,“ erwiderte Felipe, „ich habe längst Feierabend gemacht, nur die Señorita will sich keine Ruhe gönnen.“

„So gehört sichs, so gehört sichs,“ entgegnete der Alte mit einem wenig einschmeichelnden Tone, „beim Frauenzimmer müssen die Hände immer thätig sein – feiern die Hände, so arbeitet der Kopf, und der steckt bei ihnen voll thörichter Gedanken.“

Und damit, ohne die fleißigen Finger in ihrer Bewegung zu stören, legte er seine Hand auf Lu’s Schulter und dirigirte sie langsam, aber sicher nach der Thür. „Gute Nacht, Herr Baumeister, gute Nacht!“

Lu erwiderte den Gruß des jungen Mannes mit einem etwas ernsten Blick, aber sie leistete der Bewegung des Vaters keinen Widerstand.

„Es thut mir leid, daß dieser – dieser Felipe Currito hier eingetroffen ist. Ein vorlauter Bursche, würde gern den Herrn spielen!“ brummte Mateos, sobald sie ins Zimmer traten.

„Warum, mein lieber Papa? Er arbeitet fleißig und behandelt mich achtungsvoll. Ach, und wenn Du wüßtest, was ich Alles von ihm gelernt habe!“

„Gelernt? Ich will nicht hoffen, daß Du von ihm etwas annimmst! Ein ganz schwächlicher Mensch – was ist das für eine Profession, den Ratten und Mäusen in alten Gebäuden nachzujagen – die Luft zu messen und über zerbrochene Azulejos[1] in Bewunderung zu gerathen. Du machst Dich über ihn lustig – nicht, Lu?“

„Nein, ich habe nicht gesagt, daß ich mich über ihn lustig mache, im Gegentheil, ich – ich halte viel von ihm – und …“

Der Alte schlug heftig auf den Tisch. „Was für ungereimtes Zeug Du sprichst! Laß mich nicht denken, daß Dir der Mensch etwas gilt! Was für Dich gehört, weiß ich am besten. Der Felipe nicht, das nimm als Warnung!“

Lu bebte. Was wollte der Vater mit seiner plötzlichen Heftigkeit? Ihr den Abschied von Felipe noch schwerer machen, indem er diesen schmähte? Aber sie schwieg, sie wußte, daß sein Zorn sich am schnellsten legte, wenn er durch Widerstand nicht gereizt wurde.

Als er sie so geduldig sah, obgleich es wie Schmerz um ihre Lippen zuckte, überkam ihn Reue. Das war doch vielleicht nicht die rechte Art, sie für den ausgezeichneten Sohn des alten Canelo zu gewinnen. Er mußte sie zarter anfassen. Und so ging er langsam auf sie zu, nahm plötzlich ihre Hand und begann sie leise zu streicheln.

Bei der ungewohnten Liebkosung löste sich der Gram des armen Mädchens in Thränen, die sich langsam die Wangen herab stahlen.

„Du sollst glücklich werden, Lu!“ rief er, als hielte er Lu’s Glück zur Vertheilung bereits sicher in der Hand. „Du sollst bald sehr glücklich werden Kind!“ und wie segnend legte er zum ersten Male seine Rechte auf ihre Stirn.

Sie faßte nach der Hand und zog sie an ihre Lippen, aber die Thränen hörten trotzdem nicht auf zu fließen.

Der Gedanke an das viele Geld, das er im Geiste schon wieder vor sich sah, trug natürlich wesentlich dazu bei, Mateos’ Zorn so schnell zu besänftigen und ihn in diese glückverheißende Stimmung zu versetzen.

  1. Irdene Fliesen, mit denen namentlich die Araber ihre Fußböden auslegten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_063.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)