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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

wenn die Kinder lebten – und damit das viele Geld zusammen bliebe … Du verstehst mich doch?“

„Vater!“ schrie sie auf einmal auf, „Du willst damit doch nicht sagen, daß Du mich dem Lopez Canelo zugeschworen hast?“

„Wie gesagt, mit Handschlag gelobten wir uns und nahmen das heilige Abendmahl darauf – und ein Schurke wäre der, der sein Wort nicht hielte – denn Kinder sind ein Eigenthum, mit dem man nach Belieben schalten kann …“

„Vater! Du wirst mich dem Fremden nicht mitgeben wollen!“

„Unterbrich mich nicht. Morgen vielleicht schon kommt Lopez Canelo … und die kleine folgsame Lu wird Hochzeit machen ...“

„Mit Lopez, den ich nicht liebe?“

„Du wirst es lernen.“

„Nie!“

„Lu,“ rief er und schwankte der Thüre zu, an der er sich noch einmal umwandte, „Du kennst einen alten Soldaten noch nicht! Das Ehrenwort! Du wirst einen alten Soldaten nicht wortbrüchig machen … nein, das wirst Du nicht!“ … hier fing er auf einmal an zu weinen und taumelte dann unsicher hinaus.

Lu hatte die Hände fest ineinander gefaltet und starrte eine Weile mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin. Dann nahm sie den entsetzlichen Brief vor und begann ihn zu lesen. So hatte der Vater sie damals also verkauft, für 1857 Pesos war sie das Eigenthum eines fremden Mannes geworden, der sie in sein fernes Land nehmen konnte, obgleich sie ihn nie, nie lieben würde ...

Die Erfüllung des Vertrages.

Mußte sie gehorchen? Gab es keinen Ausweg? Zum ersten Male hatte sie einen Konflikt der Pflichten vor sich, und solche Konflikte – ohne den Menschen wesentlich zu ändern – geben ihm Gelegenheit, die in ihm schlummernden Keime zum Guten oder Bösen zu entwickeln. Sie war in so tiefe Gedanken versunken, daß sie ihrer Freundin Eintritt gar nicht bemerkt hatte.

Concha, welche nach dem letzten Geständniß sehr begierig war zu wissen, ob sich nicht wieder etwas Wichtiges zugetragen, hatte kaum erfahren, was für eine neue Sorge der alte Mateos über ihre liebe Guadalupe gebracht, als sie in den leidenschaftlichsten Zorn ausbrach.

„Aber Du darfst nicht geopfert werden,“ rief sie, „es ist zu grausam! Du sagst: ich will nicht, basta! Ich weiß gewiß, daß ich mich nicht zwingen ließe. Und mein Papa wird diesem Señor Mateos seine Meinung schon sagen, wenn ich ihn bitte, daß er sich Deiner annimmt …“

„Denke doch nur, Concha, daß mein Vater einen Schwur gethan hat, Du weißt, was das heißt! Erinnerst Du Dich nicht, was die Schwester Paula uns von Jephta erzählt hat, dessen Tochter auch geopfert werden mußte?“

„Ach, ich will von diesen alten Geschichten gar nichts hören! Jephta, das war ein Feldherr, dessen Wille mußte natürlich geschehen. Aber wenn Jephta nur ein Kastellan gewesen wäre, so hätte ihm seine Tochter nichts vorgetanzt und hätte sich noch weniger opfern lassen.“

„Bedenke doch, wenn Dein Vater in der Kirche etwas beschworen hätte und könnte es um Deinetwillen nicht halten! Wolltest Du Schande und Gewissensbisse über Deinen Vater bringen?“

„Mir scheint, daß, wenn Einer Unrecht thut, so soll er nicht einen Andern dafür schlagen lassen.“

„Aber, Concha, er hat nicht gemeint Unrecht zu thun. Er hat geglaubt, daß es zu meinem Besten wäre, wenn er mich dem Lopez verspräche; er dachte, daß es mich glücklich machen würde.“

„Zu Deinem Besten! Heilige Jungfrau – er hat an sein Geld gedacht, und daß Du immer ein Engel für ihn sein würdest, wie Du schon damals warst. Aber wenn der Andere – Du weißt, wen ich meine – wenn der auch von dem Lopez nichts wissen wollte?“

„O, sprich nicht davon, Concha, es darf nicht sein … Denke Dir, ein Kind, das Fluch auf seinen Vater ladet … wie könnte, es je glücklich sein – je die Augen zum Himmel aufheben und beten … Da – lies den Brief, Du wirst sehen, daß ich nicht anders kann.“

Der fürchterliche Brief! Concha betrachtete ihn mit Grausen, als ob die Schrift kabbalistische Zeichen enthielte, welche das Unglück herauf beschworen hätten.

„Was hast Du Deinem Vater geantwortet?“ frug Concha, als sie sich mühsam durch das Dokument durchbuchstabirt.

„Er verlangte keine Antwort; er verlangte nur Gehorsam.“

„Und natürlich wirst Du gehorchen, denn Du bist viel zu gut. Du bist eine Heilige, und Heilige ließen sich immer martern, von Felsen herunterstürzen und geduldig schlachten! Ich werde noch zu Dir beten, meine heilige, süße Lu!“

Und das lebhafte kleine Ding warf sich vor der Freundin nieder, legte ihren Kopf in deren Schoß, umklammerte ihre Kniee und bedeckte ihre Hände mit leidenschaftlichen Küssen.

Plötzlich sprang sie auf.

„Du weinst!“ rief sie, denn sie hatte zwei heiße Tropfen auf ihrer Stirn gefühlt. „O, weine nur nicht, ich will mit Lopez reden, ja, ich werde es thun! Ich werde ihm sagen, daß Du

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 065. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_065.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2019)