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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ei, nun ja – Du hast Recht – die Singerei im Packhause wird auch mir nachgerade zu viel!“ bestätigte die Großmama und sah ihn besorgt von der Seite an. „Aber es fällt mir doch im ganzen Leben nicht ein, mich darüber zu ärgern! Hübsch ruhig, Reinhold! Die Familie im Packhause ist für uns ein notwendiges Uebel, an welches man sich mit der Zeit gewöhnt – Du wirst es auch lernen.“

„Nein, Großmama, grundsätzlich nicht!“ versetzte der junge Mann, während er mit nervöser Hast seine Serviette zusammenfaltete und sie auf den Tisch warf.

„Puh, wie heftig!“ lachte Fräulein von Taubeneck – was für herrliche Zähne sie hatte! „Viel Lärm um Nichts! Es ist mir nicht erfindlich, wie sich Mama durch die paar Töne unterbrechen lassen konnte, noch weniger aber begreife ich Ihren Zorn, Herr Lamprecht – so Etwas höre ich gar nicht.“ – Sie hob den weißen, bis an die Schulter entblößten Arm, nahm eine schöne Orange von dem Tafelaufsatze und fing an, sie zu schälen.

Reinhold’s bleiches Gesicht röthete sich ein wenig – er schämte sich seiner Heftigkeit. „Ich ärgere mich nur,“ entschuldigte er sich, „daß man den Singsang so widerspruchslos hinnehmen muß. Der eitle Bursch sieht jedenfalls, daß wir Gesellschaft haben, und meint, er gehöre auch dazu – unverschämt! – Er will um jeden Preis bewundert sein.“

„Wenn Du das denkst, da bist Du aber stark auf dem Holzwege, Reinhold!“ sagte Tante Sophie eben hinter ihm weggehend. Sie hatte bisher an der Kaffeemaschine ihres Amtes gewaltet und einen starkduftenden Trank gebraut, dessen erste Tasse sie auf einem Silbertellerchen der Frau von Taubeneck persönlich präsentirte. Sie war in ihrem schweren, schwarzseidenen Ripskleide; das volle, graue Haar saß wie immer in zwei glänzenden Scheitelpuffen zu beiden Seiten der hellen Stirn, und darüber her fiel eine schöne schwarze Spitze. Sie sah ganz vornehm aus, die mittelgroße, gutkonservirte Gestalt mit ihrem sicheren Auftreten. Und die Zuckerschale von der Tafel nehmend, setzte sie hinzu: „Der Kleine fragt viel nach Unsereinem; der singt für sich selber wie der Vogel auf dem Zweig. Das quillt ihm nur so aus der Brust, und ich hab’ zu jeder Stunde meine Freude dran – ’s ist die reine Pracht und Herrlichkeit, eine wahre Gottesstimme! Hören Sie’s?“ Sie sah sprechend über die Tafelrunde hin und neigte den Kopf nach der Richtung des Hofes.

„Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre!“ sang der Knabe drüben im Packhause – eine lieblichere Stimme hatte wohl noch nie zur Ehre Gottes gesungen.

Reinhold warf der Tante einen Blick zu, der die Lauscherin im Fensterwinkel empörte. „Wie kannst Du Dich unterstehen, in diesem auserwählten Kreise mitzureden?“ Diese Frage lag deutlich genug in den hochmüthigen, fast farblosen Augen, und daneben sprühte die tiefste Erbitterung. Margarete kannte ja das schmale, fleischlose Gesicht, auf welchem das Muskelspiel so harte, scharfe Linien zog, in jeder Regung, sie hatte es als Kind ängstlich studiren gelernt, aus schwesterlicher Liebe und auch, weil man gewohnt war, sie für jeden Heftigkeitsausbruch des schwächlichen Knaben verantwortlich zu machen. Geändert hatte er sich nicht; er war immer gewohnt gewesen, um seines Leidens willen in Allem seinen Kopf durchsetzen zu dürfen; auch jetzt trieb ihm sein bodenloser Eigensinn das Blut dunkel nach dem Gesicht; nervös unruhig griff seine Hand nach verschiedenem Geräthe auf der Tafel und stieß es durch einander, bis ein scharfes Klirren die unwillkürlich Lauschende aufschreckte.

„Pardon, ich war sehr ungeschickt!“ stammelte er kurzathmig. „Aber die Stimme macht mich ganz nervös – sie klingt mir im Ohre, wie wenn ein Trinkglas mit nassem Finger bestrichen wird.“

„Nun, dem ist ja abzuhelfen, Reinhold,“ sagte Herbert beruhigend. Er stand auf und kam heraus in den Flursaal, um die der Salonthür gegenüberliegenden offenen Fensterflügel zu schließen. ...

Also auch darin hatte sich nichts geändert. Reinhold war stets Herbert’s Protegé und Liebling gewesen, und wie einst der Primaner und Student beeifert gewesen war, dem kränklichen Neffen alles Aergerliche und Verstimmende aus dem Wege zu räumen, so that es auch zu dieser Stunde noch der Herr Landrath. ...

Den Flursaal entlang gehend, inspizirte er auch die anderen Fenster und kam an Margaretens Versteck heran. Sie drückte sich tiefer in die finstere Ecke, und dabei rieb sich ihr Seidenkleid knisternd an der Wand.

„Ist Jemand hier?“ fragte er aufhorchend.

Sie lachte in sich hinein. „Ja,“ sagte sie halblaut; „aber kein Dieb oder Mörder, auch nicht die Ahne Dorothee aus der Spukstube – Du brauchst Dich nicht zu fürchten, Onkel Herbert – es ist nur die Grete aus Berlin!“

Damit trat sie aus dem Fensterwinkel – ein schlankes Mädchen, das sich lächelnd, mit lässiger Grazie ein wenig vorbog, um sich zur Bestätigung von dem letzten Schrägstreifen des Kerzenlichtes bescheinen zu lassen.

Er war unwillkürlich zurückgewichen und sah sie an, als traue er seinen eigenen Augen nicht. „Margarete?“ wiederholte er ungewiß, fragend und reichte ihr etwas zögernd die Hand hin; sie legte die ihre kühl hinein, und er ließ sie ohne Druck wieder fallen – eine recht steife Begrüßung, aber ganz in der Ordnung. „So bei Nacht und Nebel kommst Du heim?“ fragte er wieder. „Und Niemand im Hause weiß um Dein Kommen?“

Ihre dunklen Augen blitzten ihn muthwillig an. „Ja weißt Du, einen Kurier wollte ich nicht vorausschicken – das kommt ein bischen zu theuer für meine Einkünfte; und da dachte ich mir, unterbringen werden sie Dich schon zu Hause, auch wenn Du unverhofft kommst.“

„Nun, wenn ich einen Augenblick im Zweifel war, ob die junge Dame da wirklich die übermüthige Grete sei, so weiß ich’s jetzt – Du kommst zurück, wie Du gegangen bist!“

„Ich will’s hoffen, Onkel!“

Er wandte das Gesicht halb zur Seite, und da war’s, als gehe ein leises Lächeln durch seine Züge. „Was soll aber nun werden?“ fragte er. „Willst Du nicht herein kommen?“

„O, beileibe nicht! Die Herbstkühle in den Kleidern, Staub und Ruß auf dem Gesicht; dazu eine heruntergetretene Falbel am Rock und ein Paar zerplatzter Handschuhe in der Tasche – ein schönes Debüt vor dem Staatsfrack und brillanten Hofschleppen!“ – Sie deutete nach dem Salon, wo bereits wieder eine laute, lebhafte Konversation im Gange war. „Auf keinen Fall, Onkel! Du wirst Dich doch nicht so mit mir blamiren wollen?!“

„Nun, wie Du willst,“ sagte er kühl und zuckte die Schultern. „Willst Du, daß ich Dir den Papa oder Tante Sophie herausschicke?“

„Gott behüte!“ Sie trat unwillkürlich weiter vor und streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten; dabei tauchte ihr Kopf für einen Moment tief in das herüberströmende Licht – ein feiner, anziehender Kopf, den dunkle Locken umwogten. – „Gott behüte – was denkst Du? Zu einer Begrüßung im Dunklen sind mir die Beiden viel zu lieb! – Ich muß ihre Gesichter klar vor mir haben, muß sehen, ob sie sich auch freuen ... Und müssen denn die da drüben durchaus wissen, daß Du mich als Horcherin an der Wand ertappt hast? – Ich schäme mich ohnehin genug. Aber das Licht hier oben lockte zu verführerisch, und da taumelte die dumme Motte hinein! ... Nun gehe ich wieder – ich habe genug gesehen!“ –

„So? Und was hast Du denn gesehen?“

„O, sehr viel Schönheit, wirkliche, bewunderungswürdige Schönheit, Onkel! Aber auch viel Vornehmheit, viel – Herablassung – zu viel für unser Haus!“

„Die Deinen finden das nicht!“ sagte er scharf.

„Es scheint so,“ gab sie achselzuckend zu. „Die sind aber auch viel gescheiter als ich. Mir hat von jeher der Dünkel meiner Ahnen, der alten Leinenhändler, im Blute gesteckt – ich lasse mir nicht gern Etwas schenken.“

Er trat von ihr weg. „Ich werde Dich wohl nun Deinem Schicksal überlassen müssen,“ sagte er trocken, mit einer leichten, steifen Neigung des Kopfes.

„O, bitte – nur noch einen Augenblick! Wäre ich die Frau mit den Karfunkelsteinen, dann könnte ich ungefährdet verschwinden und brauchte Dich nicht zu inkommodiren; so aber muß ich Dich bitten, für einen Moment die Salonthür zu schließen, damit ich vorüber kann.“

Er schritt rasch nach der Thür, ergriff beide Flügel und zog sie hinter sich zu. Margarete flog durch den Flursaal; sie hörte, wie drinnen einstimmig gegen das Schließen der Thür

protestirt wurde, und ehe sie die äußere Thür hinter sich zudrückte, sah sie noch, wie die beiden Flügel langsam wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_092.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2019)