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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Zur 200jährigen Geburtstagsfeier Georg Friedrich Händel’s.


Wie viele bedeutende Männer der Kunst und Wissenschaft auch aus den niederen Schichten des deutschen Bürgerstandes hervorgegangen sind, so haben doch nur Wenige dessen treulichste Eigenschaften: Ehrbarkeit, Ausdauer, Festigkeit und Stärke des Charakters, in gleichem Maße in ihr höheres Leben und Wirken hinübergenommen, wie der mächtige Meister der Tonkunst, dessen Jubelfest wir in diesen Tagen begehen. Händel gleicht hierin Luther. Sein Vater, der sich vom einfachen Barbier zum fürstlichen Leibchirurgus emporgeschwungen, glaubte mit seinem ihm aus zweiter Ehe am 23. Febr. 1685 zu Halle geborenen zweiten Sohn, Georg Friedrich, schon hoch hinauszu wollen, als er ihn zum Gelehrten bestimmte: die Natur des Knaben aber hatte Höheres mit ihm im Sinne. Selten oder nie hat der Beruf eines Genies sich so frühzeitig angekündigt. Musikalische Instrumente waren das Lieblingsspiel des Knaben, der sich aus ihnen bald ein Orchester zusammengesetzt hatte. Ja, da er zur Schule heranwuchs, erschien dem Vater der musikalische Trieb bereits so mächtig in dem Knaben, daß er durch ihn seine Pläne für gefährdet hielt und Allem wehrte, was demselben weitere Nahrung zu bieten schien. Heimlich nur konnte der Kleine ihn zu befriedigen suchen, heimlich wurde ein Klavichord ins Haus unters Dach geschmuggelt, heimlich, wenn Alles schon schlief, bildete er hier sein Talent weiter aus. Eine Reise nach Weißenfels, wo der Vater Geschäfte bei Hof hatte, sollte jedoch eine Wendung herbeiführen. Der siebenjährige Knabe erregte hier unter den Musikern die größte Verwunderung, und da ihn eines Tages zum Schluß des Gottesdienstes der Organist auf die Orgelbank hob, um seine Künste ihn zeigen zu lassen, lenkte dieses sogar des Fürsten Aufmerksamkeit auf ihn hin, der Vater und Sohn zu sich her beschied, dem ersteren sein Vorurtheil gegen die Musik verwies und ihn ermahnte, sich dem Winke der Natur und Vorsehung nicht zu widersetzen, dem Knaben aber die Taschen mit blinkenden Goldstücken füllte. Obschon der Alte auf seiner Meinung bestehen blieb, erhielt Georg Friedrich doch nun einen Lehrer, was er dem Vater durch emsigen Fleiß in der Schule vergalt. Zachau war ein tüchtiger Orgelspieler, im Kontrapunkte bewandert und überhaupt ein trefflicher Führer. Georg Friedrich lernte bei ihm nacheinander Klavier und Orgel, Violine und Oboe und so allmählich das ganze Orchester kennen und entwickelte sich rasch zu einem ebenso sichern Virtuosen wie fruchtbaren Komponisten.

Auch nach dem Tode des Vaters fuhr Händel noch fort, sich dessen Lieblingswunsche zu beugen. Er durchlief die Klassen der lateinischen Schule, bezog 1702 die Universität seiner Vaterstadt, und wenn er daneben auch zeitweilig den Organisten der Hauptkirche vertrat, wendete er sich doch erst nach glücklich bestandenem juristischen Examen mit Einwilligung seiner Familie dem Studium der Musik als ausschließlichem Lebensberufe zu.


Georg Friedrich Händel.
Nach dem Gemälde von Hudson, gestochen von J. Faber 1749.


Hamburg war damals zu einem Mittelpunkte der nationalen musikalisischen Bestrebungen geworden, wo Keiser mit großem Erfolge der italienischen und französischen Oper eine deutsche entgegenzustellen versucht hatte. Hierhin wendete Händel zunächst seine Schritte. Mit der Bescheidenheit eines Lernenden trat er auf, obwohl er im Orgelspiele schon ein Meister war und der eitle Matheson zugestehen mußte, ihm manchen „Kontrapunktgriff“ zu verdanken. Dagegen gewann er hier neue Einblicke in das Wesen der Melodie und des Gesanges, sodaß er, selbst Keiser gegenüber, dem er in der ausdrucksvollen Behandlung des Recitativs und der Arie Vieles verdankte, mit seinen Opern „Almira“ und „Nero“ Triumphe feierte. Indessen war sein Blick immer auf Italien als die hohe Schule der Musik, insbesondere der Oper, gerichtet. Was andere Nationen, dem scholastischen Geiste ihrer Zeit entsprechend, auch Großes in der Musik gewirkt, es erhielt doch erst in Italien, im Geiste der Renaissance, die Weihe der Schönheit. Auch hier verstand Händel, durch bescheidenes Auftreten sich mit der Neigung die Achtung der großen und stolzen italienischen Meister rasch zu erwerben. Er wurde thatsächlich Mitglied der römischen „Arcadia“, obschon er, um es auch formell werden zu können, noch nicht das nöthige Alter besaß. Mit Corelli, Ottoboni, Scarlatti u. A. wurde er innig befreundet. Sein Talent, vielleicht auch seine Persönlichkeit, zog die gefeiertste Sängerin des Landes, Vittoria Tesi, ihm nach. Sie theilte zu Florenz in seinem „Rodrigo“, zu Venedig in seiner „Agrippina“ seine Triumphe. Wo er erschien, wurde der „Caro Sassone“ von der Volksgunst emporgetragen und die sonst so eifersüchtigen italischen Musiker sahen es neidlos mit an. In Rom entstand neben seiner „Resurrezione“ und einer Reihe von Psalmen sein „Trionfo del tempo e del disinganno“. Zweimal hat Händel ihn neu überarbeitet.

Dieses ist vielleicht das schönste Werk seiner Jugend. Er konnte nun einmal nicht ruhen, seinen Lieblingswerken oder einzelnen Theilen derselben eine neue, höhere Form, einzelnen seiner Motive oder auch nur Theilen davon eine neue Entwickelung zu geben. Was man ihm oft als Armuth ausgelegt hat, zeugt vielmehr für den Reichthum und die Stärke seines nach immer größerer Vollendung ringenden Geistes.

Unter den vielen Bekanntschaften, die Händel in Italien gemacht, befanden sich auch verschiedene vornehme Engländer, die ihn zum Besuch ihres Landes einluden. Doch folgte er zunächst den Aufforderungen des Barons von Kielmannsegge und des Kapellmeisters Steffani, sie nach Hannover zu begleiten, auf deren Empfehlung er hier von dem neuen hannöverschen Kurfürsten zum Kapellmeister ernannt wurde. Ehe er dieses Amt jedoch antrat, ging er nach London (1710), wo die von Purcell auf eine überraschende Höhe gehobene nationale Musik eben Gefahr lief, von den Italienern wieder völlig erdrückt zu werden. In Händel erschien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_113.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)