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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

von Johanniskäfern scheint in die Straße hereingeweht zu sein; aus dem letzten Dachfensterchen schimmern die zuckenden Flämmchen, tauchen auf, verschwinden. Aus Hunderten sind bald Tausende geworden, aus blitzenden Tropfen ein leuchtender Strom, eine Milchstraße von Lichtern, ein Sternenhimmel. Keine Hand erscheint ohne ein Lichtchen, und diese Hände fahren auf und fahren nieder und hinter allen erscheint ein lachendes Gesicht, angestrahlt von dem gelben Flammenschein. Welche Lust in diesen Gesichtern der glattwangigen Knaben, der schwarzbärtigen Männer, der übermüthigen Frauen und Mädchen! Die Narrheit hat ihren Höhepunkt erreicht, das ist der Moccoli-Abend, an ihm wird der Prinz Karneval zu Grabe getragen, nachdem man ihm im wörtlichsten Sinne das Lebenslicht ausgeblasen. Nach diesem Lebenslicht, dem Moccolo, hascht Jung und Alt in wirbelnder Hast, es auszulöschen mit Kraft der Lungen, mit tappenden Händen, wehenden Taschentüchern, mit Stöcken, Stangen, Fahnen und Blasebälgen, im offenen Sprung oder durch schleichende Hinterlist. „Es ist gestorben, das Moccolo! Welche Schande, ohne Moccolo!“ Geschrei, Gelächter, Angstrufe aus dem gar zu argen Gedränge ... Die ganze Walpurgisnacht wird lebendig, und nirgends besser als hierher passen die Verse des Mephistopheles:

„Das drängt und stößt, das rutscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!“

„Moccoli“.

Mit diesem sinnbethörenden Gebrülle aus tausend Kehlen, denen acht lustbewegte Tage den süßen Schmelz doch schon einigermaßen genommen, mit dem Erlöschen des letzten Moccolo hat die Freude für diesmal ein Ende. Die ganze bunte Zauberwelt, die unser Auge erfreut, nimmt die gestaltenlose ernste Nacht unter ihren grauen Mantel. Morgen ist Aschermittwoch, die soll dich an den Tod erinnern nach dem lustigen Schattenspiel des kurzen Lebensrausches.

Die Gaslaternen blinzeln zu dem tiefblauen Himmel hinan, im tiefen Schatten liegen die Seitengäßchen ... Schritte verhallen in der Ferne, hier noch ein verspäteter Wagen, ein Liebespaar unter einem Thorbogen ... ernst, fast bedrohlich schauen die altersschwarzen Ruinen über den Platz herein ... ein Duft von Gras und Kraut haucht von der Campagna herüber. War es ein Traum?

Der Lumpensammler hat sein Werk begonnen, er hält eine reiche Ernte: bunte Kleiderfetzen, Spitzenreste, abgerissene Schleifen und Bänder, halbverbrannte Taschentücher und unzählige Wachskerzenstümpfchen füllen seinen Korb. Wenn es ihm von Werth wäre, er könnte auch manches Herz finden, das im Gedränge an irgend eine „Here“ verloren gegangen ist.

Ist dieser Lumpensammler aber ein Pessimist, so seufzt er am Ende seiner Arbeit und spricht: „Ach, in ein paar Jahren giebt es keinen römischen Karneval mehr!“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_118.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2019)