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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Die Ballschuhe.
Von Arthur von Loy.


Comtesse Ida Hahn saß im Erkerzimmer des väterlichen Schlosses und überzog sich eigenhändig ein Paar rosa Atlasschuhe. Wahre Kinderfüßchen, die Füßchen Aschenbrödels mußten es sein, die diese zierlich kleinen Formen tragen konnten. Ihre junge Besitzerin befestigte eine Schmetterlingsschleife auf dem kurzen Spann, nähte schmale Kreuzbänder an – es war zu Mitte der zwanziger Jahre – und betrachtete dann das vollendete Werk mit unverhehlter Zufriedenheit. Sie dachte dabei an die hübsche Geschichte, welche man anläßlich der Verlobung der Königin Luise erzählt. Ob es wohl wahr gewesen war, daß die junge Prinzeß von Mecklenburg-Strelitz auch just gesessen und sich ihre Ballschuhe frisch bezogen hatte, als der preußische Kronprinz, nachmalig Friedrich Wilhelm der Dritte, von Berlin kam, um ihre Hand zu erbitten?

Die Comtesse seufzte, indem sie sehnsüchtig durchs Fenster auf die langen öden Schneeflächen der Heimath hinausblickte. Holstein und Mecklenburg – wohl waren es zwei reizende gesegnete Schwesterländer, besonders im Sommer, wenn die üppigen Kornfelder und die goldenen Rapssaaten bis zum Horizonte wogten und der Storch sein Familienleben auf den grauen Strohdächern der malerisch gestreuten Einzelgehöfte entwickelte. Wo fand man einen schöneren Strand, an welchem die schaumgekrönten Wogen des herrlichen grün-blauen Baltischen Meeres unmittelbar die prächtigsten Buchenwälder bespülten, und nirgends langweilige Sanddünen störten? Aber ach, war die Ratnr auch poetisch, so gestaltete sich das Leben desto prosaischer. „Praktisch und uninteressant“ lautete seine Devise. Die Frauen redeten hier nur von kleinen Kindern und schlechten Dienstboten, die Männer sprachen über Pferde und Dünger; waren diese Themata erschöpft, so bildete das Wetter den eisernen Bestand der Unterhaltung für beide Geschlechter. Das ergab eine dürre trostlose Atmosphäre für ein phantasiereiches Köpfchen, dessen Stirn sogar der Genius der Poesie geküßt hatte! Und deßhalb entschädigte sich die nach Glück und Abwechselung dürstende Seele des erst einundzwanzigjährigen Mädchens längst durch die Zauberkreise eines selbstgeschaffenen Traumlebens, in welches aber die frühreife Klugheit der Comtesse auch schon zuweilen einige graue Fäden der Resignation mit einwebte. Doch die holde Illusion der Jugend drängte trotz des Mangels an Wahrscheinlichkeit noch zu einem freudigen Abschlusse; und so hoffte auch Ida heimlich auf einen Befreier, der gleich dem Märchenritter hergezogen käme, um das Dornröschen aus den Banden der Alltäglichkeit zu erlösen, in denen es ersticken zu müssen wähnte.

Die Thür des Erkerzimmers ward jetzt hastig geöffnet, und ein älterer Herr, welcher vornehm und excentrisch zugleich aussah, trat herein. Er hielt einen Brief in den Händen, dessen Inhalt ihn offenbar bewegt hatte.

Ida war es gewohnt, ihren Papa aufgeregt und von bestimmten Ideen hingenommen zu sehen, doch zählte er trotzdem zur Klasse der zärtlich rücksichtsvollen Väter. Sie durfte deßhalb erstaunt sein, daß er heute ohne Weiteres auf sie zu schritt, sie unter das Kinn faßte, ihr prüfend ins Gesicht schaute, so ungenirt, als betrachte er ein Bild, dann die Hand mit einer kleinen unschmeichelhaften Geberde des Mißmuthes wieder sinken ließ und voll ungeduldigen Bedauerns sagte:

„Ich fürchte, Ida, .. Du bekommst niemals einen Mann!“

„Weil ich ein Blaustrumpf bin?“ meinte die Comtesse erröthend.

„Nun, Dein Schreiben schreckt wohl hin und wieder auch Jemand ab, aber davon rede ich doch jetzt nicht. Nein, weil wir zur armen Linie gehören und Dein Vater der ‚Theatergraf‘ ist, jener sanguinische Thor, welcher sein Herz an das deutsche Theater gehängt hat und gleich einem zweiten Wilhelm Meister die Welt mit einer Schauspielertruppe durchzieht, die er ernährt und bekleidet ... weil Du die Tochter des allgekannten ‚verdrehten‘ Hahn bist, deßhalb nimmt Dich Keiner!“ rief der alte Graf mit überquellender Bitterkeit. „Wer möchte der Schwiegersohn des Verschwenders werden, der, immer wieder von Neuem hoffend auf unverbürgte Lorbeeren und noch ungewissere Einnahmen, das Vermögen seiner Familie hinopfert ...“

„Von wem ist denn der Brief?“ fragte Ida den sich immer mehr Aufregenden, in der liebevollen Absicht, ihn von seinen plötzlichen Reue-Anfällen, die ja doch keine Aenderung der Dinge erzielten, abzulenken.

„Das ist ein Schreiben des Erbgrafen Friedrich aus Schloß Basedow, der auch nur Glück hat, wie alle Dummen und Reichen,“ antwortete der Gefragte übellaunig.

„Inwiefern?“ forschte die Comtesse.

„Nun, Du weißt es ja auch, daß man sagt, der junge Erbgraf von Hahn-Basedow ginge auf Freiersfüßen. Zum Zweck der Brautschau scheint er zuerst eine Rundreise durch Holstein und Mecklenburg machen zu wollen - gnädig berücksichtigt auch der stolze Vetter von der reichen Linie den armen Ast der Familie dabei. Auf morgen hat er sich herablassend bei seinem halbbankerotten Verwandten angemeldet – morgen, wo wir den großen Ball geben, zu dem ich die ganze hochadelige Nachbarschaft zusammengetrommelt habe, der ich unter dem Vorwande eines ‚Balles‘ ein auserlesenes theatralisches Quodlibet darzubieten gedachte, um unsere unlitterarische Gesellschaft etwas aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln und für mein Theater zu erwärmen! Nun werden meine guten Schauspieler vor ungeduldigen Zuhörern spielen, die Jugend wird ungestüm zum Tanze drängen, und Erbgraf Friedrich wird der Held des Abends sein. Dem machen wir es mit unserer Mühe und unseren Kosten wahrlich prächtig bequem! Denn einen volleren Strauß liebreizender Mädchenblumen sieht er schwerlich je wieder vereint, als er morgen bei uns findet. Die reichen Bernstorffs, Bülows, Moltkes und Stojentins, sie werden jubeln über den wunderbaren Freiersmann, den das blinde Glück ihnen auf die Bahn wirft, und ihn wahrscheinlich auch erringen, denn Geld drängt sich ja stets zum Gelde ... und ich bin es gewohnt, für Andere zu arbeiten.“

Die väterlichen Worte frischten ein halbverlöschtes Bild in der töchterlichen Erinnerung wieder auf. Vor etlichen Jahren hatte Ida den Erbgrafen Friedrich auf einem Rennen gesehen. Da war er ein mannhaft hübscher Jüngling gewesen, mit kecker Miene und flotten Manieren, von schlau berechnenden Müttern und heirathsfähigen Töchtern wie ein Stück Kuchen von hungrigen Fliegen umschwärmt. Ein wildes Pferd hatte er mit leichter Mühe gebändigt und dann unter Paukenklang und Beifallsrufen „den Fürstenpreis“ aus großherzoglicher Hand erhalten. ... Die junge Comtesse war dem glücklichen Sieger damals wahrlich nicht gram gewesen – er hatte ihr sogar sehr gut gefallen!

Der alte Graf ging im Zimmer umher, wie Jemand, der ausschließlich mit einem Gedanken beschäftigt ist. Beim Vorüberschreiten fiel sein Blick auf die rosa Ballschuhe, welche zierlich gepaart auf der Tochter Schoß lagen. „Reizend!“ rief er ganz entzückt, erfaßte die Schuhe und hielt sie betrachtend empor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_119.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2019)