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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ach, der ist ja noch gar nicht gekocht!“ lachte der Kleine. „Ich muß doch erst Späne vom Boden herunterholen und klein machen.“

„Mir scheint, sie machen Dich zum Aschenputtel da drüben,“ sagte der Kommerzienrath, indem seine dunklen Augen aufblitzend das Packhaus suchten.

„Meinst Du, das schade dem Bürschchen?“ fragte sein Schwiegervater. „Ich habe auch als neunjährige kleine Krabbe Holz für die Küche klein gemacht und bin in Feld und Stall zur Hand gewesen, wie ein Hirtenjunge – bleibt das etwa an dem Manne kleben? ... Was hat denn solch ein armer kleiner Schlucker für eine Zukunft? – Da ist Etwas faul und nicht in der Ordnung, so viel merk’ ich, und ob man je über das Meer wiederkommen und seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit thun wird, das fragt sich – mit dem Worthalten in solchen Dingen ist heutzutage nicht viel los. Na, und der Alte dort –“ er zeigte nach dem Packhause – „der wird gerade auch nicht schwer an seinem Geldkasten zu schleppen haben; da heißt’s einmal für den Mosje da, sich durchschlagen und alle Kraft aufwenden, daß im großen Weltgetriebe der Kopf oben bleibt –“

„Ich will ihn später ins Komptoir nehmen,“ fiel der Kommerzienrath ein; er legte dabei seine Hand wie unwillkürlich schützend auf den braunen Lockenkopf, als gehe ihm der Gedanke, daß dieses prächtige Kind im Kampf ums Dasein untergehen könne, ans Herz.

„Na, das ist ein Wort, Balduin, das freut mich! Dann zieh’ Dir aber auch den da drin –“ er neigte den Kopf nach dem Komptoirfenster, hinter welchem sich eben wieder die Vorhangsfalten verrätherisch bewegten – „erst besser, sonst giebt’s Mord und Todtschlag.“

Er klopfte seiner Enkelin zärtlich die Wange und reichte Tante Sophie abschiednehmend die Hand. „Auf Wiedersehen, Base Sophie!“ – er nannte sie stets so – „Ich werde diese Nacht wieder einmal in meiner Stadtkoje logiren – möchte gern einen Abend mit Herbert und der Gretel zusammen sein. Bitte, es droben bei der Gestrengen allerunterthänigst zu vermelden!“ setzte er mit einer ironisch feierlichen Verbeugung hinzu und trat hinaus auf den Marktplatz.

Der Kommerzienrath blieb noch einen Moment wie angefesselt stehen. Er sah, zurückgewendet, wie seine Tochter dem fortstürmenden Knaben bis weit in den Hof hinein nachflog, ihm mit beiden Händen in das reiche Lockenhaar fuhr und den lachenden kleinen Bengel küßte. Das war ein liebliches Bild, anziehend genug, um wohl einen Jeden das Fortgehen vergessen zu machen ...

„Na, da hat sie ihn ja schon beim Schlafittchen!“ sagte Bärbe, die am Küchenfenster hantirte und schräg hinaus die Gruppe im Hofe auch sehen konnte, schmunzelnd zu der Hausmagd. „Dachte mirs doch gleich, daß unser braves Gretel mit dem Reinhold und der im oberen Stocke nicht in ein Horn blasen würde. Der kleine Schlingel mit seinem schönen Krauskopfe thuts ja einem Jeden an, der ein Herz und keinen Stein in der Brust hat ... Da läuft er hin und will sich ausschütten vor Lachen über den Spaß, daß ihn das schöne Mädchen bei den Haaren erwischt hat! ’S ist doch ’was Schönes um die liebe Jugend! Das mußt Du doch selbst sagen, Jette – ’s ist gleich ein ganz anderes Leben, wenn so ein junges Blut unter uns alte Husaren kommt! Das frischt auf!“

Und sie that ein paar kräftige Züge aus dem geliebten Kaffetopfe und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war heiß in der Küche. Der mächtige Brat- und Backherd glühte, und liebliche Küchendüfte schwebten in die sonnendurchfunkelte Herbstluft hinaus – es wurde gebacken, als solle eine ganze Kompagnie heißhungeriger Soldaten vom Manöver einrücken; war aber Alles nur der einzigen heimgekehrten Tochter des Hauses zu Ehren ...




11.

„Aber wahr ists, Gretel – bist doch noch genau derselbige Kindskopf, wie dazumal, wo Du mir auf Tritt und Schritt nachgelaufen bist, beide Hände an meinen Rockfalten, ganz einerlei, ob’s auf den Boden oder in den Keller ging!“ sagte Tante Sophie halb lachend, halb ärgerlich in einer der späteren Nachmittagsstunden des anderen Tages. Sie stand im rothen Salon der Beletage, und der Hausknecht reichte ihr die Bilder von den Wänden herab. Alle nach dem Flursaal mündenden Thüren der Zimmerreihe standen offen; das Tageslicht fiel durch lauter vorhangentblößte Fenster, und aufgescheuchte Staubwölkchen flirrten und tanzten lustig in den Flursaal hinaus. Neue Tapeten, neue Gardinen, Portieren und Teppiche sollten für die voraussichtlich glänzende, gesellschaftlich belebte Wintersaison in die Zimmer kommen – das gab auf Wochen hinaus einen fürchterlichen Rumor.

„Hier oben ist nichts für Dich, Gretel, Trotzkopf!“ wiederholte die Tante nachdrücklicher und winkte abwehrend dem jungen Mädchen, das lachend nun erst recht auf der Schwelle Posto faßte. „Es zieht und stäubt – ganz unverschämt stäubt’s, sag’ ich Dir! Möchte nur wissen wo er immer wieder herkommt, der verflixte graue Puder! Da rennt man das ganze Jahr durch mit Wischtuch und Staubwedel hier oben herum, als wenns extra bezahlt würde – und nun solche Wolken! Die Alten da oben“ – sie zeigte auf verschiedene, noch hängende Oelbilder längst vermoderter Geschlechter – „müssen sie geradezu aus ihren Perücken und Haarbeuteln schütteln ... und Dein Pudelkopf wird davon gerade auch nicht schöner werden, Gretel!“

„Schadet nichts, Tante! Ich bleibe da, und ehe Du Dich versiehst, hast Du auch meine beiden Hände wieder an Deinen Rockfalten. Es ist eine gar verwirrte Zeit, in der wir leben, der moderne Thurmbau zu Babel – nur umgekehrt – wir bauen nach unten, in die stockdunkle Nacht hinein. Man weiß kaum noch, was recht, was schlecht, was krumm oder gerade, erlaubt oder verpönt ist, einen solchen Mischmasch der Begriffe haben die famosen ‚Baubeflissenen nach unten‘ zu Stande gebracht. Und da muß ein junges Ding wie ich froh sein, wenn es sich an einen richtigen Steuermann festklammern kann – und der bist Du, Tante!“

„Geh weg! Ich dächte doch, gerade Du hättest Dein Köpfchen für Dich und ließest Dir nicht so leicht ein X für ein U vormachen ... Da, hilf mir – wenn Du denn durchaus nicht fortzubringen bist – nimm sie am anderen Ende, ich kann sie nicht allein schleppen, die schöne Dore!“

Und Margarete ergriff das eben von der Wand gehobene Bild und half es über den Flursaal hinweg in den spukhaften Gang tragen, dessen Thür heute weit zurückgeschlagen war. Dort lehnte schon eine ganze Reihe abgenommener Bilder an den Wänden; da standen sie geschützt: kein vorübergehender Fuß berührte sie, und nicht ein zudringlicher Sonnenstrahl schädigte ihre Farben.

Sie war in der That schwer, die Frau mit den Karfunkelsteinen. Sie stand in einem geschnitzten, reichvergoldeten, wenn auch nahezu erblindeten Rahmen, der eine von breitem Band umwundene Rosen- und Myrthenguirlande bildete. Die Frau hielt ja auch ein paar Myrthenzweiglein lässig zwischen den schlanken Fingern – so war sie jedenfalls als Braut gemalt. Das Bild war ein Kniestück, das junge Weib in smaragdfarbener, mit Silberblumen durchwirkter Brokatrobe darstellend – aber was für ein Weib war das!

Margarete hatte oft in kindlicher Neugier zu dem Bilde aufgeblickt; aber was hatte sie damals von der Beseelung einer Gestalt, von der Darstellungskraft des Pinsels verstanden? Es war ihr immer nur aufgefallen, daß die hohe Frisur, die bei all den anderen Lamprecht’schen Hausfrauen und Töchtern schneeweißer Puder bestäubte, ihre tiefe Schwärze behauptet hatte. Jetzt kniete das junge Mädchen auf den Dielen vor dem Bilde und sagte sich angesichts dieser erstaunlichen Haarfülle, aus deren nachtdunklem Geschlinge die täuschend gemalten fünf Rubinensterne förmlich glitzerte, und von welchem einzelne gelöste Ringel schlangenhaft weich auch über die zarte Brustwölbung hinabsanken, daß diese Frau sich kühn und energisch gegen die herrschende Mode und die Verunglimpfung ihres stolzesten Schmuckes verwahrt habe. Jetzt war es auch begreiflich, daß ihr der Volksmund das Wandern nach dem Tode angedichtet. Ihre Zeitgenossen, welche das Feuer aus diesen mächtigen dunklen Augen in Wirklichkeit hatten sprühen sehen, und vor welchen die zarte, bis in die graziös gebogenen Fingerspitzen hinein beseelte Erscheinung leibhaftig gewandelt und geathmet, sie hatten an ein wirkliches Sterben und Erlöschen solchen Zaubers nicht glauben können.

Es war doch etwas Wunderbares um so ein urdeutsches, altes Haus mit seinen Traditionen, die sich an das altfränkische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_128.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2020)