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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Geräth knüpften und jeden Winkel belebten! Nur feierlicher, aber geheimnißvoller gewiß nicht war ihr beim Beschreiten der marmorbelegten Korridore alter venezianischer Paläste zu Muthe gewesen, als jetzt im Vaterhause, wo die Gangdielen unter ihren Tritten seufzten und die Gestalten der alten Leinenhändler die Wand entlang mit gespenstigem Leben aus dem Halbdunkel auftauchten, in ihrer Reihe immer nur von einer der stummen, geschlossenen Thüren unterbrochen, hinter denen so manches Geheimniß schlafen mochte.

Wohl hatte der Papa einst das hier seit vielen Jahren herrschende Schweigen gestört und sich in den verrufenen Zimmern einquartiert, um das abergläubische Gesinde von seiner Gespensterfurcht zu kuriren, er war auch bei seiner jedesmaligen Heimkehr, die zu jener Zeit stets nur für wenige Wochen seine Reisen unterbrach, mit Vorliebe in diesem seinem „Tusculum“ verblieben. Aber schon nach zwei Jahren hatte sich das geändert; der Ausblick in den stillen Hof mochte ihm doch auf die Dauer nicht behagt haben. Nach einer fast halbjährigen Abwesenheit hatte er eines Tages von der Schweiz aus angeordnet, daß das ehemalige Boudoir seiner verstorbenen Frau wieder für ihn hergerichtet werde. Margarete erinnerte sich noch, daß damals zu ihrer Betrübniß die rosenfarbene Polstereinrichtung, die Aquarelle und Rosenholzmöbel in ein anderes Zimmer geschafft und durch ein dunkles Meublement ersetzt worden waren. Und als er nach Hause gekommen, da hatte er das große Oelbild seiner verstorbenen Frau, das einzige, welches seinen Platz an der Wand behauptet, sofort in den anstoßenden Salon hängen lassen; der Anblick des Bildes, ebenso wie die ganze Einrichtung scheine ihm neuerdings die alte Wunde aufzureißen, hatte die Großmama gemeint und deßhalb das Arrangement vollkommen gebilligt. Die Zimmer im Seitenflügel aber waren unter seiner speciellen Aufsicht wieder in den früheren Stand versetzt worden – auch nicht der geringste Gegenstand der modernen Einrichtung war darin verblieben – dann hatte er lüften und scheuern lassen, hatte eigenhändig die Vorhänge zugezogen und den Schlüssel, wie früher auch, an sich genommen. –

Margarete bückte sich und sah durch das weite Schlüsselloch in das Zimmer mit dem herrlichen Deckengemälde. Wie Kirchenluft wehte es sie an, und die abgeblaßten, transparenten Klatschblumenbouqetts der Seidengardinen hauchten drinnen über Dielen und Wände einen schwach röthlichen Schein. Arme, schöne Dore! In ihrem kurzen Leben angebetet, auf den Händen getragen, hatte sie ihr ertrotztes Glück mit einem frühen Tode gebüßt, und nun sollten der Psyche auch noch bis in alle Ewigkeit die Flügel geknebelt sein, auf daß sie immer wieder angstvoll gegen die zwei engen Wände des düsteren Ganges aufflattern müsse!

Wie durch fernes Nebelgewoge dämmerte in dem jungen Mädchen die Erinnerung an die Weißverschleierte auf. Die mächtigen Reise-Eindrücke, die sie draußen in der Welt empfangen, das hochgesteigerte geistige Leben im Hause des berühmten Onkels hatten diese Episode ihrer Kinderzeit ziemlich in ihrem Gedächtniß verwischt, so zwar, daß sie schließlich selbst oft gemeint, der ganze seltsame Vorfall sei doch wohl auf den Ausbruch ihrer damaligen schweren Nervenkrankheit zurückzuführen. In diesem Augenblicke jedoch, wo sie wieder vor derselben Thür stand, aus welcher „das Huschende“ damals gekommen war, und schräg gegenüber den riesigen Kleiderschrank stehen sah, hinter welchen sie sich versteckt, da gewann der Vorgang wieder schärfere Umrisse, und es war ihr plötzlich, als müsse sie auch jetzt, wie in jenem Moment, das Geklapper der forteilenden kleinen Absätze wieder hören.

(Fortsetzung folgt.)




Deutsches Frauenlos im Ausland.

Zur Gründung eines deutschen Frauenheims in Wien.

Ganz Wien sprach unlängst kurze Zeit hindurch vom menschlichen Elend im Allgemeinen und Studentenelend im Besonderen. Ein ergreifender Fall hatte alle Herzen gerührt. Vor Gericht war ein junger Student erschienen, welchen die Polizeimannschaft in der Nacht auf der Straße halberfroren aufgegriffen hatte. Der junge Mann war heimlich aus seiner ärmlichen Kammer gegangen, weil er seiner Wirthin, einer armen Wittwe, gegen 25 Mark schuldig geworden war, ohne zahlen zu können. Es war ihm nicht gelungen, Beschäftigung in Nachhilfestunden oder dergleichen zu finden und sich so etwas Geld zu verdienen; er hatte fast Alles, was er sein Eigen nannte, selbst seine besseren Kleider, verkauft. Keine Hoffnung bot sich ihm, überall wurde er abgewiesen. Da faßte er in seiner Verzweiflung den Entschluß, sich das Leben zu nehmen, und einige Stationen vor Wien legte er sich auf die Schienen, um sich von einem daherkommenden Eisenbahnzuge überfahren zu lassen. Allein man bemerkte glücklicher Weise sein Vorhaben, und um nicht von dem Bahnwärter festgenommen zu werden, flüchtete er nach Wien zurück. Vor Hunger und Müdigkeit fiel er endlich zusammen und wurde so aufgefunden.

Nun stand er vor Gericht unter der Anklage des Betruges an seiner Wirthin. Doch er wurde freigesprochen, da die wackere Frau in der Zuversicht, von dem ihr als fleißig bekannten jungen Mann früher oder später einmal das Geld zu erhalten, dabei beharrte, nicht beschädigt worden zu sein.

Mit warmen Worten der Theilnahme und des Bedauerns mußte der Richter indessen dem Studenten ankündigen, daß ihm wegen gänzlicher Mittellosigkeit die Abschiebung von Wien nach der Heimath bevorstehe. Als am Tage darauf aber durch die Zeitungen der Bericht über diese Gerichtsverhandlung bekannt wurde, da liefen für den armen Studenten alsbald, theils sogar auf telegraphischem Wege, so zahlreiche Spenden von den verschiedensten Seiten ein, daß der junge Mann auf der Polizei erschien um zu bitten, es möchten keine Gaben mehr für ihn angenommen werden, da er Unterstützung und namentlich Verdienst durch Privatstunden vollauf erhalten habe, um seine Studien fortsetzen zu können, und er sprach den Wunsch aus, daß weitere Spenden anderen Studenten, welche hilfsbedürftiger seien, als er jetzt, zugewendet werden möchten.

Wie seltsam ist es doch um das menschliche Herz bestellt! So warm und erregbar es auch empfinden mag, wird es doch inmitten der Hast des modernen Erwerbs- und Verkehrslebens und bei den Tag für Tag sich häufenden Berichten über Verbrechen, Selbstmorde und andere traurige Ausgänge menschlichen Elends in seinem Mitgefühle abgestumpft und scheinbar theilnahmlos für das Geschick der Unglücklichen. Das ist um so beklagenswerther, als der Kampf ums Dasein härter und schwieriger geworden ist denn je zuvor und den Einzelnen zwingt, möglichst ausschließlich das eigene Schicksal im Auge zu behalten. Was Uhland einst vom Kriege gedichtet:

„Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wärs ein Sttttk von mir.
000000
Kann dir die Hand nicht geben“ –

gilt leider in der Gegenwart auch vom Frieden, wenn nicht einmal zufällig der Einzelne aus der Masse „den guten Kameraden“ vor sich liegen sieht und unmittelbar im Angesichte der Noth ihm die Hand reicht. Die das am ehesten können, stehen aber selten an Stellen, wo die Kugeln des Schicksals pfeifen und treffen.

Ein Zufall hat es gefügt, daß im Lichte der Oeffentlichkeit viele tausend Menschen jenen armen braven Studenten haben fallen sehen, daß sie sich beeilten, ihm die Hand zu reichen. Hätte den jungen Mann die Lokomotive erfaßt und getödtet, so hätte man weiter kein Wort gesagt, und nur die Zahl der Selbstmorde wäre um einen Fall vergrößert worden.

Dem armen Studenten ist geholfen worden und mit ihm vielen seiner Leidensgenossen. Es giebt indessen noch andere schicksalsverwandte Kreise, denen Hilfe und Rath nicht minder nöthig sind und – wenn rechtzeitig gebracht – nicht minder wirksam kommen würden. Hierzu gehören in erster Reihe die deutschen Gouvernanten, Erzieherinnen, Gesellschafterinnen etc. im Auslande. Wo da die Noth eintritt, sollte vor Allem geholfen werden, denn dieselbe ist stets mit besonderen Gefahren verbunden, und so organisirt sollte diese Hilfe werden, daß sie zu rechter Zeit und an richtiger Stelle gespendet wird.

Unglück zu ertragen ist hart für einen Mann, härter noch

für eine Frau, aber am härtesten für Diejenigen, welche davon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_130.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2021)