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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dasselbe wie 24:10, ja eigentlich auch für Schlesien nicht gilt, wo es sich wie 27:28 stellt, also von einer Majorität nicht wohl gesprochen werden kann. Und diese Zahlen fallen um so mehr ins Gewicht, als die Deutschen in diesen Ländern zumeist kompakt beisammen wohnen, wodurch die Gefahr einer Entnationalisirung, wie Hartmann ja selbst fühlt, sehr vermindert wird. So sind in Steiermark 44 der 68 Gerichtsbezirke des Landes ganz von Deutschen besiedelt, wobei das Procentverhältniß der eingesprengten Slaven nur in 3 dieser Bezirke sich bis 1 erhebt. In Kärnten sind 17 von den 29 Gerichtsbezirken des Landes deutsch, und nur in einem dieser Bezirke steigt das Procentverhältniß auf 1. In Schlesien sind 15 von 27 Gerichtsbezirken deutsch. In einem dieser Bezirke finden sich 13, in einem anderen 1½ Procent, in allen übrigen aber gar keine oder nur Bruchtheile eines Procentes Slaven. Ebenso hätte sich Hartmann leicht überzeugen können, daß es ganz falsch ist, die unter einander und mit dem Deutschen Reiche zumeist in unmittelbarem geographischen Zusammenhange stehenden deutschen Bestandtheile Oesterreichs als Sprachinseln zu erklären und vollends falsch, die vorwaltend an der Elbe und Eger liegenden Wohnsitze der Deutschen Böhmens als „kompakte Sprachinsel an der Moldau“ zu bezeichnen, welch letzterer Fluß hauptsächlich durch tschechisches Sprachgebiet strömt.

Und ist etwa in jenen ehemaligen deutschen Bundesprovinzen Oesterreichs, die in der That eine slavische Majorität haben, der Untergang des Deutschthums schon besiegelt, wenn diese Majorität „zum vollen Bewußtsein ihrer Macht erwacht“?

In Böhmen stellt sich das Verhältniß der Deutschen zu den Slaven wie 20:34. Als eine zusammenhängende, stellenweise bis 13 Meilen breite Zone zieht sich das deutsche Sprachgebiet an der Grenze dieses Landes und zumeist zugleich des Deutschen Reiches von Nordosten nach Südwesten hin. In vielen Gerichtsbezirken dieses Gebietes macht die slavische Bevölkerung nicht einmal 1 Procent, in vielen anderen höchstens 3 Procent der Gesammtbevölkerung aus. Die Zahl der Deutschen in Böhmen, welche in der Diaspora leben oder in abseits von diesem Gebiete liegenden wirklichen Sprachinseln, ist verhältnißmäßig gering. Ist dies eine Lage, welche die Auszehrung des Deutschthums durch die Slaven in Böhmen selbst nur wahrscheinlich macht?

Sogar für Mähren, wo die Dinge im Ganzen ungünstiger liegen und das Verhältniß der Deutschen zu den Slaven auf 62:150 herabsinkt, muß dies verneint werden, nachdem das Deutschthum dort in allen größeren Städten und in 17 von den 75 Gerichtsbezirken des Landes stark überwiegt, und zwar in letzteren derart, daß die Slaven oft nur ein Bruchtheil eines Procentes der Bevölkerung erreichen. Weit eher könnte eine solche Wahrscheinlichkeit für Krain und Ungarn angenommen werden, wo das Deutschthum allerdings mehr inselartig verstreut ist. Indessen so leicht der Deutsche in der Diaspora in Städten seine Nationalität einbüßt, so zäh hält sie der deutsche Landmann im allgemeinen fest. Und wenn die Deutschen in Siebenbürgen, im Banate und in Gottschee ihre Nationalität durch Jahrhunderte rein erhalten haben, so darf wohl auch einige Widerstandsfähigkeit ihrerseits für die Zukunft erwartet werden, wo allerdings die politischen Verhältnisse für die Erhaltung ihrer Nationalität ungünstiger liegen dürften als bisher, dagegen aber der unschätzbare Vortheil bestehen wird, daß die modernen Mittel für den geistigen und persönlichen Verkehr auch weit aus einander liegende Theile eines Volksthumes bis zu einem gewissen Grade zu einem Ganzen verbinden und das lähmende Gefühl der Isolirung in keinem der Theile aufkommen lassen, falls die Angehörigen jenes Volksthumes allerwärts einigermaßen ihre Schuldigkeit thun.

Letzteres setzt allerdings ein wechselseitiges Gefühl der Zusammengehörigkeit voraus, das Kundgebungen, wie jene Hartmann’s, freilich bei den Deutschen nicht zu fördern vermögen. Indessen sprechen doch andere Kundgebungen wieder so deutlich für eine langsame aber stetige Ausbreitung, für ein langsames aber stetiges Erstarken dieses Gefühles in Deutschland und Oesterreich, daß man wohl die Erhaltung des Deutschthums selbst in seinen am meisten bedrohten Gebieten in Oesterreich-Ungarn hoffen darf, ohne daß sich Deutschland deßhalb in „Kriege und unhaltbare Eroberungen“ einzulassen braucht. Und wenn die Auseinandersetzungen Hartmann’s zum Theil durch die Furcht hervorgerufen sein sollten, daß die Deutschen Oesterreichs „verlangen könnten, daß Deutschland, „um das Deutschthum der Brüder im Auslande zu retten, sich in Kriege und unhaltbare Eroberungen stürzen solle“, so kann ihm die beruhigende Versicherung gegeben werden, daß kein einigermaßen klar denkender Kopf, insbesondere kein ernster Politiker unter den Deutschen Oesterreichs an ein solches Verlangen denkt. Selbst die äußersten Kolonnen des linken Flügels der deutschen Partei in Oesterreich fordern, wie ganz deutlich aus ihren Programmen hervorgeht, nichts Anderes als Sicherung des Bündnisses zwischen Deutschland und Oesterreich durch einen staatsrechtlichen, parlamentarisch sanktionirten Vertrag und Herstellung einer engeren Interessengemeinschaft zwischen beiden Reichen durch einheitliche Lösung einzelner wirthschaftlicher und anderweiter Fragen der Gesetzgebung – eine Forderung, die im Einklang steht mit dem Programm, das Fürst Bismarck selbst für die Beziehungen der beiden Reiche zu einander aufgestellt hat, und die jedem Annexionsstreben schnurstracks zuwider ist.

Und wer die Verhältnisse in Oesterreich einigermaßen kennt, wird trotz aller denunciatorischen Gegenversicherungen der Feinde des Deutschthums in diesem Reiche, unter denen die „Auchdeutschen“ nicht in letzter Reihe stehen, zugeben müssen, daß das Streben der deutschfühlenden Patrioten daselbst in dieser Frage auf nichts Anderes gerichtet ist, auf nichts Anderes gerichtet sein kann, als auf die Ausbreitung des Nationalbewußtseins unter den Volksgenosen und die allmähliche Besiegung des Widerstandes gegen die oben bezeichnete Forderung. Dieser Widerstand besteht zum Theil selbst in deutschen Kreisen noch, in denen, entsprechend dem großen Beharrungsvermögen, das den Deutschen überhaupt eigenthümlich ist, der alte anerzogene Gegensatz zu Preußen und eine menschlich gewiß entschuldbare Eifersucht auf dasselbe noch nicht allerseits erloschen ist.

Freilich müßte auch ein solches Streben als aussichtslos erscheinen, wenn man mit Hartmann annimmt, daß „die bestgemeinten Bemühungen der Patrioten nicht hinreichen werden, um in den niederen Klassen der Deutschen den Erbfehler derselben, den Mangel an nationalem Stolz gründlich zu ändern.

Dieser Annahme Hartmann’s aber stehen die Erfahrungen, die man in Oesterreich in den letzten Jahren gemacht hat, durchaus entgegen. Gerade in der „niederen“ Masse des deutschen Volkes bricht sich daselbst das deutsche Nationalbewußtsein siegreich Bahn, und wenn diese Erscheinung sich auch zunächst nur an den eigentlichen Wahlstätten des nationalen Kampfes deutlich kund giebt, wo freilich das übermüthige Treiben der nationalen Gegner noch rascher und wirksamer erzieht als die bestgemeinten Bemühungen der gebildeten deutschen Patrioten, so sprechen doch auch mancherlei Zeichen dafür, daß es in nicht allzuferner Zeit gelingen wird, auch in den deutschen Alpenländern Oesterreichs kräftigere Regungen deutschen Nationalgefühls wachzurufen, wenn die Patrioten nur beharrlich arbeiten und, was bis jetzt zumeist versäumt wurde, ihre Arbeit gerade auf die „niedere“ Masse des Volkes konzentriren. Durch „geistige, moralische und pekuniäre Unterstützung“ in dieser Arbeit aber können die Angehörigen Deutschlands unter strenger Einhaltung aller der Rücksichten, welche die politische Lage dem Geber wie dem Empfänger auferlegt, eine nationale Pflicht gegen die Deutschen Oesterreichs erfüllen ohne mit Hartmann glauben zu müssen, dadurch nur deren „Todeskampf“ zu verlängern.

Mit all Dem soll aber durchaus nicht etwa behauptet werden, daß das Deutschthum in Oesterreich nicht bedroht ist, daß es keine Verluste erlitten und keine weiteren Verluste zu gewärtigen hat. Es muß zugegeben werden, daß in Städten wie Prag und Pesth, die noch vor wenigen Jahrzehnten einen deutschen Anstrich hatten, jetzt ein nichtdeutsches Volksthum sich vorwaltend geltend macht, daß an den Sprachgrenzen da und dort ein Abbröckeln zu bemerken ist, und daß oft an und für sich unbedeutende slavische Minoritäten mitten im deutschen Sprachgebiete, die vordem kaum wahrnehmbar waren, dort einen förmlichen Krieg gegen das Deutschthum organisiren. Um sich durch solche Erscheinungen aber nicht über Gebühr in Schrecken versetzen zu lassen, darf man nicht übersehen, daß die „niedere“ Masse des Volkes in jenen Städten auch früher nicht deutsch war, und daß die Veränderung, die sich im Anstrich jener Städte vollzogen hat, zum guten Theil auf die weit größere Regsamkeit und das erhöhte Selbstbewußtsein dieser Masse zu schieben ist, sowie daß das Deutschthum in Oesterreich auf dem Wege ist, gar Manches von dem, was es an Ausbreitung verloren hat, durch schärfere Ausprägung und Vertiefung

zu ersetzen. Zudem bricht sich bei den Deutschen Oesterreichs immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_150.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2020)