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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

bei „Belle-Vue“, einem hoch über dem Seespiegel gelegenen Hôtel, seine schönste Entfaltung erreicht; von der Terrasse dieses Hôtels bieten sich entzückende Ausblicke auf den Wald und auf die weiße Bucht mit ihrem regen Schiffsverkehre. Auf dem östlichen Ufer erheben sich die mächtigen Marine-Anlagen und die schmucken Ortschaften Ellerbeck und Neumühlen, von denen namentlich die erstere als Lieferant der berühmten Kieler Sprotten und Bücklinge weit und breit bekannt ist und deren eigenartige Boote, Einbäume (mit einem Mast) genannt, zur charakteristischen Staffage des Hafens gehören.

Die Bucht selber gliedert sich in zwei Theile, der äußere verengt sich bei Friedrichsort, dem Sperrfort des Hafens, zu einer nur 1200 Meter breiten See-Enge, und von hier streckt sich dann der eigentliche Hafen 10 Kilometer weit ins Land hinein, an seiner breitesten Stelle sich bis zu 3000 Meter erweiternd.

Die berühmten Marine-Anlagen erheben sich, wie schon gesagt, auf dem östlichen Ufer, an einer Einbuchtung bei Ellerbeck, nahe genug der Stadt und Eisenbahn, aber doch völlig getrennt vom Handelshafen. Die kaiserlichen Werften, ein gewaltiges, erst vor wenig Jahren vollendetes Etablissement, in dem jahraus, jahrein 3000 bis 4000 Menschen beschäftigt sind, enthalten zwei mächtige Bassins für Schiffsbau und Schiffsausrüstung, in denen als erstes Fahrzeug 1874 die Panzerfregatte Friedrich der Große erbaut wurde, dann drei Hellinge (zum Ablaufen neu gebauter Schiffe), vier große Trockendocks (zum Ausbessern des Schiffsrumpfes), Schwimmdocks etc., sowie zahlreiche Werkstätten, in welchen Alles zur Takelung und anderweitigen Ausrüstung der Fahrzeuge Nöthige angefertigt oder wenigstens aufgestapelt wird.

Partie bei Düsternbrook.
Originalzeichnung von F. Keller-Leuzinger.

Die Herstellung eines Kriegsschiffes ist ja längst eine so komplicirte, die verschiedenartigsten Industriezweige, und zwar in deren großartigster Ausbildung, in Anspruch nehmende Sache geworden, daß an eine vollständige Koncentrirung und einheitliche Leitung der betreffenden Arbeiten nicht mehr zu denken ist.

Das Holz, früher das wichtigste Material für den Schiffsbau, ist durch das Eisen nahezu gänzlich verdrängt worden, und im Binnenlande, meist fern von der See liegende Hochöfen, Gießereien und Walzwerke der größten Art sind es, die den Stoff liefern, aus welchem jene feuerspeienden Kolosse konstruirt werden, welche bei den modernen Seekriegen in erster Linie in Betracht kommen.

Es hat auf diesem Gebiete eine Umwälzung stattgefunden: nicht nur, daß die alten Dreidecker aus Nelson’s Zeit mit zahlreichen, aber wenig leistungsfähigen Geschützen gänzlich verschwunden sind, sondern auch jene schlanker gebauten, zum Theil schon unter Dampf gehenden Fahrzeuge aus den vierziger und fünfziger Jahren markiren einen längst überwundenen Standpunkt. Die modernen Schlachtschiffe sind riesige Zerstörungsmaschinen von verhältnißmäßig gedrungenem Bau, bei denen wenige, aber dem schwersten Kaliber angehörige Geschütze in einer durch nahezu meterdicke Panzerung geschützten Kasematte untergebracht sind, während der Rest des Schiffsrumpfes bis unter die Wasserlinie herunter durch eine leichtere Eisenverkleidung wenigstens gegen schwächere Projektile geschützt ist.

Jede unnütze Zuthat, jedes Bauwerk, jeder Schmuck ist vermieden, und nur der Reichsadler, sowie eine Kaiserkrone in goldenem Relief bezeichnen den Staat und den Kriegsherrn, dem das mächtige

Gebäude zugehört. Und doch entbehrt das Ganze keineswegs einer gewissen strengen Schönheit, indem besonders die scharfen Linien des mit einem kühn geschwungenen Sporne versehenen Buges denselben befriedigenden Eindruck machen, wie gewisse Architekturformen, in denen die rein konstruktiven oder mathematischen Grundlinien ungestört zur Geltung kommen. Nur der eigenthümlich malerische Charakter, den die Kriegsschiffe älterer Konstruktion, mit den bauchigen Flanken, dem breiten Bug und dem hochansteigenden, reichgeschnitzten Hintertheil hatten, ging verloren, ebenso wie durch die Einführung des Dampfes als Triebkraft und die damit verbundene Vereinfachung der Takelage jenes graziöse,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_164.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2019)