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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Ich bekam immer förmliches Herzklopfen, wenn sie plötzlich auf den Gang heraustrat, so strahlend frisch und anmuthig, so unbeschreiblich lieblich, wie eine Märchenfee! Die hätte ich mit tausend Freuden ,Tante‘ genannt – bei der herzoglichen Nichte werde ich’s selbstverständlich bei einem tiefen Vorstellungsknix und der Frage nach gnädigem Befinden bewenden lassen!“

Sie sprach mit jenem Gemisch von Scherz und Ernst, das ihr ganzes Wesen charakterisirte, und der Vater ging in dem langsamen Tempo, wie sie angegeben, neben ihr. Er hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt, als sei er in seinen eigenen Gedankengang versunken und höre kaum auf das Geplauder; aber sein Herz schlug stark und ungestüm gegen ihren Arm – ruhig war er nicht.

„Und nun im Ernst – mit der Baronin Tochter ist’s nichts, Papa, wirklich nicht – das wäre ein zu theurer Spaß!“ fuhr sie in demselben Tone fort. „Ich meine, was fange ich mit einem bloßen Namen an, wenn ich mein ganzes Sein und Wesen, wie ich nun einmal bin, dafür hingegeben habe? Ein schlechter Tausch! … Der gute Hans Billingen mag mich ja wohl gern haben – ich denke es nur, weil er für den Moment so total den Kopf verloren hat, daß er allen Ernstes um mich freit – aber ein entsetzlicher Katzenjammer bliebe für ihn nicht aus, das weiß ich! Der lange, dicke Goliath ist ein Hasenfuß, der ganz gehörig unter dem mütterlichen Pantoffel steht, und diese Mama ragt ebenso thurmhaft und vierschrötig neben dem Sohne in die Höhe – und nun denke Dir Deine dünne, schmale Grete dazwischen, denke Dir, wie ihr die fürchterlich adelstolze alte Schwiegermutter ein Federchen um das andere aus den Flügeln rupft, auf daß sie nie wieder zurück kann in das heimische Nest und die vornehme Welt nicht den Kukuk an seinen Federn erkenne! … Und über die Schamröthe auf den Wangen dieser meiner Schwiegermama sollten sich die alten Herren droben freuen? Denke doch nicht! Sie würden sich für die ‚siebenzinkige‘ gerade so bedanken wie ich!“

Sie hemmte ihre Schritte, vertrat ihm den Weg und legte die Hände auf seine Schultern. „Gelt, Papa,“ bat sie beweglich, „Du quälst mich nicht auch noch, wie es die Andern machen? Du lässest Deine ‚Schneeflocke‘ wirbeln, wie sie will? Alt genug bin ich ja doch auch, um meinen Weg selbst zu finden!“

Er strich mit der Hand über den Lockenkopf, der sich an seine Brust schmiegte. „Nein, ich zwinge Dich nicht, Gretchen,“ antwortete er mit einer Sanftheit, die sie ergriff. „Vor Jahren hätte ich meine ganze Autorität eingesetzt, um Dich zu bestimmen; heute aber will ich Dich nicht verlieren – denn verloren wärst Du mir in der Familie, wie Du sie schilderst, doppelt verloren, wie die Verhältnisse jetzt liegen … Der Sturm draußen rüttelt an meiner Seele wie eine fanatische Predigerstimme, und ich bin müde und mürbe. Ich brauche meinen kleinen Kameraden mit seinen hellen Augen, seinem strammen Rechtsgefühle – wohl in der allernächsten Zeit, Grete –“

„Abgemacht!“ rief sie und schüttelte ihm die Hand, kräftig und herzhaft, in der That wie ein Kriegskamerad. „Nun bin ich ruhig, Papa! Gerade jetzt, wo so Manche unseres Standes eingeschüchtert unterducken und katzbuckeln und zu ihrem eigenen Schaden Altes, Vermorschtes neu stützen helfen, thut ein energisches Lebenszeichen des Bürgerstolzes noth, und sei es auch nur der eines – Mädchens. … Und nun will ich gehen und Dir ein Glas frischen Wassers holen – Du wirst immer heißer im Gesicht!“

Er hielt sie zurück mit dem Bemerken, daß er in seinem Zimmer ein Medikament gegen die Schwindelanfälle habe, die ihn wieder einmal täglich heimsuchten. Mit heißen Lippen küßte er sie auf die Stirn und ging hinaus.

„Das kommt und vergeht wie ein Dieb in der Nacht! Mache Dir keine Sorgen, Gretel!“ sagte Tante Sophie, die eben mit einem Arme voll Eßgeräth eingetreten war, um den Abendtisch herzurichten, zu dem besorgten jungen Mädchen. Sie ergriff die Weinflasche und hielt sie gegen das Licht. „Leer bis auf eine kleine Neige!“ schalt sie ärgerlich. „Da brauchst Du Dich nicht zu wundern, wenn der Kopf roth wird. Der Doktor eifert jahraus, jahrein gegen die starken Weine; wenn aber ein Schreck oder eine Sorge fortgespült werden soll, da muß allemal vom stärksten her! Sie werden eben nie klüger, die Herren!“


14.

In der Wohnstube wurden die Rollvorhänge herabgelassen. Wer mochte auch noch hinaussehen auf den Markt, wo sich die unglücklichen Menschenwesen, die das gebieterische „Muß“ ins Freie trieb, als unförmliche, flatternde Kleiderbündel mit Lebensgefahr um die Straßenecken kämpften, wo der heulende Unhold das Wasser im Brunnenbecken wüthend peitschte und mit Allem, was nicht niet- und nagelfest, bis über die Dachfirste hinauf Fangball spielte. Es war bitterkalt geworden; aber Tante Sophie löschte das Feuer im Ofen und stellte dafür die summende Theemaschine auf den Tisch – heute müsse man von innen heizen, sagte sie, in die Schlöte dürfe kein Feuerfunke mehr kommen. Sie hatte noch einmal die Runde durch das ganze Haus gemacht und alle Thüren, Fenster und Bodenluken untersucht und meinte, sie wolle sich nicht wundern, wenn heute Nacht auch noch das Dach des Vorderhauses auf den Markt herunterspaziert käme – da oben sei es fürchterlich.

Ein behagliches Zusammensein gab es heute nicht. Der Kommerzienrath wollte nicht essen und blieb oben, und auch Reinhold zog sich, nachdem er mürrisch schweigend eine Tasse Thee getrunken, mit seinem unbesiegbaren Zorn über die Verwüstung des Packhauses in seine Stube zurück. So blieben Tante Sophie und Margarete allein und wachten der gefahrdrohenden Nacht entgegen. Auch die Dienstleute gingen nicht zu Bette. Sie saßen in der Küche bei einander; die Mägde steckten frierend die Arme unter die Schürze, und die Männer kauten an der kalten Pfeife und horchten in stummer Sorge auf das furchtbare Anschwellen der Sturmesstimme. … War es doch, als wolle der Orkan die uralte, kleine Stadt, die, seit einem Jahrtausend als ein treuer Wächter an die Pforte des Thüringerwaldes geschmiegt, allen Stürmen, allen Kriegsungewittern getrotzt hatte, in dieser einen Nacht wie ein Kinderspielzeug in Splitter und Scherben zusammenschütteln. Unter seinen Stößen erbebte die Erde, Schlöte und Ziegel rasselten von den Dächern und zerbarsten auf dem Straßenpflaster, und in das Gebrüll und Zornesschnauben hinein mischte es sich wie unirdisches Wehklagen, als seien unter den Fußtritten des Dahinrasenden draußen auf dem stillen Flecke vor dem Thore die tiefgebetteten Schläfer erwacht und durchirrten suchend die Gassen, in denen sie vor Zeiten gewandelt.

Und gegen die zwölfte Stunde that sich die Stubenthür auf und Bärbe erschien auf der Schwelle, ganz blaß, schaudergeschüttelt und den Zeigefinger der Rechten nach der Zimmerdecke emporgereckt. Es tappe und trampele wie mit Reiterstiefeln ganz gräulich oben im Gange, und dazwischen werde gepocht und geklopft, als wenn Jemand eingesperrt sei und „heraus wolle“, zischelte sie hinter ihren zusammenschlagenden Zähnen, verschwand aber sofort wieder hinter der sacht zugedrückten Thür, als sich Tante Sophie, ohne ein Wort zu sagen, aus der Sofa-Ecke erhob, die Sturmlaterne anzündete und mit Margarete das Zimmer verließ.

Oben im Flursaale brauste ihnen ein Zugwind entgegen, der sie zurückzuwerfen drohte. Auf dem letzten Büffet brannte die große Tischlampe des Kommerzienrathes, und die Thür nach dem Gange stand weit offen. – Von dort her pfiff und orgelte es allerdings, als sause das wilde Heer durch den langen, dunklen Schlund. Tante Sophie trug schleunigst die Lampe, aus welcher die windgejagte Flamme hoch emporschlug, auf das geschützte vordere Büffet, und währenddem betrat Margarete mit hochgehobener Laterne den Gang.

Der Sturm hatte das Fenster am Ende des Ganges eingedrückt; sein eisiges Blasen und Fauchen kam dort direkt vom Himmel herein; er warf den aufgerissenen Flügel schmetternd hin und her und riß und stieß an den hingelehnten Bildern, von denen ein Theil bereits am Boden lag – das war wohl das Tappen und Pochen gewesen. Aber das Fenster war ja so klein; durch dieses enge Viereck konnte sich unmöglich die gewaltige Windsbraut zwängen, die das Mädchen wüthend anfiel und Gang und Flursaal mit ihrem Tosen erfüllte. Margarete kämpfte sich vorwärts, und da prallte sie plötzlich zurück.

Sie stand vor dem Treppchen, das seitwärts nach der Bodenkammer im Packhause hinabführte; sonst war das eine düstere, abgeschlossene Ecke; jetzt aber sah der dämmernde Himmel mit seinen Sternbildern durch das Dachgerippe des Packhauses herein – der nie benutzte Thürflügel hing zurückgeworfen nur halb in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_174.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)